"Ihr verhöhnt die Opfer" – Mitinitiator von #allesdichtmachen rechnet mit Kritikern ab

Sie verhöhnten die COVID-19-Opfer: Das und anderes wurde den Schauspielern vorgeworfen, die im Zuge der Aktion #allesdichtmachen die Corona-Politik der Regierung kritisiert hatten. Nun wehrt sich einer der Initiatoren – in sehr deutlichen Worten.

Der Regisseur Dietrich Brüggemann, einer der Mitinitiatoren und Teilnehmer von #allesdichtmachen, hat die Internetaktion in deutlichen Worten verteidigt und den Kritikern der Aktion schwere Vorwürfe gemacht.

Unter den Hashtags #allesdichtmachen​ und #lockdownfürimmer​ hatten etwa 50 Schauspieler, darunter Jan Josef Liefers, Volker Brandt und Ulrich Tukur, satirisch die Maßnahmen der Regierung kritisiert. Mit dieser Aktion trafen sie auf viel Zustimmung, aber auch erbitterte und äußerst scharfe Kritik des geschlossenen medialen Mainstreams, der Politik und anderer Künstler und Vertreter des Kulturbetriebs.

Unter anderem wurde den Schauspielern vorgeworfen, die Opfer der Krankheit zu verhöhnen und mit ihrer Aktion Querdenkern und AfD zu helfen. Einige der Beteiligten sahen sich daraufhin veranlasst, ihre Videos zurückzuziehen und sich von "rechten Gruppen" zu distanzieren.

In einer Reihe von Tweets wies Brüggemann am Samstagmorgen in scharfen Worten die Kritik an der Aktion zurück – und ging die Kritiker scharf an. Er schrieb:

"Es hat eingeschlagen. An alle, die jetzt von 'Verhöhnung' schwurbeln: Ich schwurble jetzt auch mal. Ihr verhöhnt die Opfer. Ihr trampelt auf denen herum, die jetzt selbstmordgefährdet sind. Ihr spuckt auf all die, die ihre Existenz verloren haben.

Ihr macht euch lustig über das Leid derer, die in ärmeren Schichten und ärmeren Ländern über die Klinge springen, die ihr ihnen hinhaltet. Ihr seid zynisch und menschenverachtend. Es macht Spaß, so herumzupöbeln, stimmt's? Wollen wir trotzdem mal damit aufhören? Ja? Gut.

Oder nein, wir können auch noch ein bißchen weitermachen. Euch ist ja immer 'übel' und ihr 'kotzt' auch gern. Wißt ihr was? Mir ist auch übel. Und zwar wegen euch. Ihr seid ein Teil des Schlimmsten, was die Menschheit hervorgebracht hat: Ihr seid ein Lynchmob. Ganz einfach.

So, genug gepöbelt. Ich könnte jetzt die üblichen Distanzierungsfloskeln von mir geben, aber vorher schlafe ich vor Langeweile ein. Nazis sind Nazis und Selbstverständlichkeiten sind selbstverständlich. Und was auch selbstverständlich sein sollte:

Wenn Kritik an Corona-Politik 'rechts' ist, dann ist meine linke Hand auch rechts. Ja klar habe ich Respekt vor allen Ärzten und Pflegern. Ich habe auch Respekt vor all denen im Lande, die im Eimer sind und nicht mehr weiterwissen. Und jetzt möge mir mal einer erklären, warum das eine zwingend das andere erfordert. Und warum unsere ganze Gesellschaft in einer Art Kriegszustand sein muss, in der die gesamte Zivilgesellschaft strammzustehen hat und nichts anderes mehr wichtig ist als der Kampf gegen den einen, maximalen Feind. Und wer fragt, ob dieser Feind wirklich so maximal ist und ob man den vielleicht auch mit anderen, zivilen Mitteln bekämpfen könnte, der ist ein Leugner und Volksfeind und muß an die Laterne gehängt werden. Ihr merkt gar nicht, was für Reflexen ihr hier nachgebt, aber das ist Teil des Problems.

An einer Medienelite, die den immer härteren Lockdown fordert und jeden Kritiker mit Verweis auf volle Intensivstationen zum Abschuss freigibt, gibt es jede Menge zu kritisieren. Und dieser Shitstorm kommentiert sich ohnehin selbst.

Hat euch Tod und Sterben jemals interessiert? War es euch bisher egal, dass um euch herum jeden Tag Menschen aus vermeidbaren Gründen gestorben sind? Aber auf einmal gibt es für euch nur noch dieses Thema?

Keins von diesen Videos handelt von der Pandemie. Aber sie ziehen das hohle Pathos durch den Kakao, mit dem wir uns seit einem Jahr konfrontiert sehen. Sie kritisieren die Gnadenlosigkeit, mit der alles, das jetzt den Bach heruntergeht, als zweitrangig abgetan wird.

Sie hinterfragen die Geschichten, die eine Gesellschaft sich selbst erzählt. Und wenn diese Gesellschaft (oder die 1%, die auf Twitter sind) dann derart überschäumend reagiert, dann war das Ganze offenbar notwendig. Ende."

Am Abend stellte der Regisseur klar, nicht der "alleinige Anstifter" der Aktion gewesen zu sein. Seit Monaten habe es die Gruppe gegeben, zu der er irgendwann dazugestoßen sei. Bei den Texten und Videos habe es sich um eine Gemeinschaftsarbeit gehandelt.

Das Zurückziehen von Videos müsse nicht als Distanzierung von der Aktion verstanden werden, sondern könne eine Folge von Beschimpfungen und Drohungen sein. Brüggemann weiter:

"Die Videos verhöhnen nicht die Opfer der Corona-Pandemie und auch nicht das medizinische Personal, sondern: Euch. Und Publikumsbeschimpfung ist die erste Aufgabe der Kunst. Die Reaktion zeigt: Es hat funktioniert."

Am Samstagabend reihte sich auch der deutsche Außenminister Heiko Maas in die Reihe der Kritiker der Aktion ein, ganz in der von Brüggemann kritisierten Weise. Maas schrieb auf Twitter (Rechtschreibung wie im Original):

"#allesdichtmachen ist respektlos gegenüber den Familien und Freunden der über 80000 Coronatoten. Das sind doppelt so viele, wie im Syrienkrieg jährlich sterben. Es ist respektlos gegenüber Pfleger*innen und Ärzt*innen, die gerade um das Überleben ihrer Patient*innen kämpfen."

Der Minister sprach sich aber dagegen aus, die "Schauspieler*innen" in eine Ecke mit "Rechtspopulisten und Verschwörungstheoretikern" zu stellen. Viele hätten sich "in der Vergangenheit für unsere Demokratie engagiert". Auch von Berufsverboten für die Kritiker wollte Maas nichts wissen. Darüber zu fabulieren sei respektlos gegenüber der Meinungsfreiheit.

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