RT DE hat mit Prof. Dr. Frank Brettschneider, Kommunikationswissenschaftler an der Universität Hohenheim, über die Kanzlerkandidatin der Grünen für die kommenden Bundestagswahlen gesprochen.
Die Grünen schicken Annalena Baerbock ins Rennen um das Kanzleramt. Überrascht Sie diese Entscheidung?
Nein, die Entscheidung überrascht mich nicht. In Umfragen schneiden Annalena Baerbock und Robert Habeck etwa gleich gut ab – sowohl in der Bevölkerung insgesamt als auch bei den eigenen Anhängern. Und bei den Grünen gilt das Prinzip: Bei gleicher Qualifikation erhält die Frau den Vorzug. Insofern ist die Entscheidung nicht überraschend. Bemerkenswert ist aber die Art und Weise, wie die Entscheidung gefallen ist. Vor allem auch im Kontrast zur sich quälend hinschleppenden Entscheidung bei der Union.
Welche Argumente haben Ihrer Meinung nach zur Wahl von Baerbock geführt? Wo liegen deren Vorteile gegenüber Robert Habeck?
Klimaschutz, jung, Frau. Das dürften die drei wesentlichen Faktoren gewesen sein. 1. Der Klimaschutz ist das wesentliche Thema der Grünen. Und hier gilt Frau Baerbock als glaubwürdige Expertin, die über Detailwissen verfügt. 2. Frau Baerbock steht auch altersmäßig für eine neue Generation in der Politik – zumindest was Spitzenpositionen betrifft. Damit kann sie Aufbruch und Veränderung symbolisieren. 3. Den Grünen ist die Gleichberechtigung von Frauen und Männern schon seit ihrer Gründung ein sehr wichtiges Thema. Es wäre der eigenen Basis schwer zu vermitteln gewesen, warum Annalena Baerbock hinter Robert Habeck zurückstehen sollte. Alles in allem war das aber keine Entscheidung gegen Robert Habeck, sondern eine für Annalena Baerbock.
Trauen Sie Annalena Baerbock das Kanzleramt zu?
Annalena Baerbock hatte bislang noch kein Regierungsamt inne. Insofern ist das nicht leicht zu beurteilen. Aber auch als Angela Merkel 2005 zum ersten Mal Bundeskanzlerin wurde, gab es eine gewisse Unsicherheit. Wir werden also sehen. Zumindest hat sich Annalena Baerbock als teamfähig erwiesen. Außerdem gilt sie als pragmatische Politikerin, nicht als Ideologin. Jetzt braucht sie erst einmal die Unterstützung der Wählerinnen und Wähler. Und für die zählen a) die wahrgenommene Kompetenz, b) die Integrität (Glaubwürdigkeit, Berechenbarkeit, Verlässlichkeit) und c) die Leadership-Qualitäten (Führungsstärke, Entscheidungsfreude, Tatkraft). Bei allen drei Punkten schneidet sie gut ab. Aber: Gewählt wird die Partei, nicht die Kanzlerkandidatin.
Welcher Kanzlerkandidat aus der Union könnte Annalena Baerbock besser liegen? Gegen wen hätte sie bessere Chancen?
Das nimmt sich nicht viel. Bei Markus Söder könnte es Annalena Baerbock leichter fallen, die eigenen Anhänger zu mobilisieren. Der Wahlkampf dürfte aber nicht zu konfrontativ sein, da ja vielleicht nach der Wahl eine Koalition mit der Union nötig ist. Bei Armin Laschet hingegen dürften sich einige CDU-Anhänger überlegen, ob sie tatsächlich die CDU wählen – oder sich erstmals für die Grünen entscheiden. So oder so: Für Annalena Baerbock und die Grünen ist es am sinnvollsten, gar nicht zu sehr auf die Gegenkandidaten zu schauen, sondern ihre eigenen Schwerpunkte im Wahlkampf durchzusetzen.
Danke für das Gespräch!