Sprecher des Innenministeriums Steve Alter:
Das Infektionsschutzgesetz regelt, dass bestimmte Grundrechte beispielsweise das Recht auf körperliche Unversehrtheit eingeschränkt werden. Die Frage war, wie und auf welche Weise dies durch das Gesetz geschieht. Das ist im Prinzip ganz einfach zu erklären, denn das Infektionsschutzgesetz sieht in der Fassung, die das Kabinett vorgeschlagen hat, beispielsweise vor, dass man vor einem Friseurtermin einen aktuellen Negativtest vorweisen muss, der nicht älter als 24 Stunden sein darf. Wenn man sich testen lässt, hat das möglicherweise zur Folge, dass man mit einem Teststäbchen in das Innere des Körpers Nasen- oder Rachenhöhle eindringen muss. Deswegen ist eine mittelbare Beschränkung des Rechts auf körperliche Unversehrtheit gegeben.
Das betrifft auch weitere Grundrechte, etwa das Recht auf Unverletzlichkeit der Wohnung. Wenn wir in einem Gesetz regeln, dass man sich im eigenen Hausstand nur noch mit einer gewissen Anzahl von Personen treffen kann, kann das gegebenenfalls auch durch die Polizei, durch Ordnungsämter kontrolliert werden. Wenn das Betreten der Wohnung erforderlich ist, sind diese Grundrechte eben betroffen.
Die Anforderungen an ein formell rechtmäßiges Gesetz sehen in Deutschland vor, dass die Grundrechte, die durch ein Gesetz eingeschränkt werden, auch explizit genannt werden. Genauso ist diese Regelung im Gesetz auch zu verstehen.
Frage Reitschuster:
Herr Alter, ich bin jetzt etwas erschrocken, als Sie das gesagt haben. Das klingt ja jetzt so, als ob die Polizei oder das Ordnungsamt immer dann, wenn sie einen begründeten Verdacht haben wenn zum Beispiel drei Leute aus verschiedenen Hausständen in einer Wohnung sind, in die Wohnung können. Ist das so eine weitreichende Ermächtigung für Polizei und Ordnungsämter, die Unverletzlichkeit der Wohnung zu verletzen? Danke.
Alter:
Nein, das ist damit nicht verbunden. Aber wenn der Gesetzgeber ein Gesetz auf den Weg bringt, das vorsieht, das bestimmte Beschränkungen im eigenen Hausstand gelten etwa die Regelung, dass man sich nur mit einer weiteren Person, die nicht zum eigenen Hausstand gehört, treffen darf und diese Regelung auch bei Verstoß mit einem Bußgeld bedroht, dann ist damit verbunden, dass gegebenenfalls im Einzelfall die Polizei oder Ordnungsämter Wenn beispielsweise Hinweise eingehen ich überspitze das jetzt einmal bewusst, dass in einer Wohnung eine Party mit 20, 30 Leuten stattfindet, dann kann es dazu kommen, dass die Polizei an der Haustür klingelt und auch die Wohnung betreten muss, um festzustellen, ob ein Verstoß vorliegt.
Für diesen Fall ist in dem Gesetz vorgesehen, dass das Recht auf Unverletzlichkeit der Wohnung gegebenenfalls eingeschränkt werden kann. Das bedeutet aber ausdrücklich nicht, dass die Polizei durch die Straßen läuft und an den Türen der Leute klingelt, um zu kontrollieren, ob sie auch allein in der Wohnung sind.
Zusatzfrage Reitschuster:
Das ist aber doch ein Problem, das fast jeden betrifft. Wenn Sie noch einmal die Grenze setzen könnten. Sie sprachen von 20 Leuten bei einer Party. Wo ist die Grenze, dass die Polizei oder das Ordnungsamt ohne richterlichen Beschluss in eine Wohnung kann? Danke.
Alter:
Das sieht ja der Gesetzentwurf ganz explizit vor. Er sieht in §28b Absatz 1 Nummer 1 vor, dass "private Zusammenkünfte im öffentlichen oder im privaten Raum nur gestattet sind, wenn an ihnen höchstens die Angehörigen eines Haushalts und eine weitere Person einschließlich der zu ihrem Haushalt gehörenden Kinder bis zur Vollendung des 14. Lebensjahres teilnehmen."
Das ist die Regelung. Wenn das Gesetz in Kraft tritt, dann gilt dies bei der Überschreitung einer Inzidenz von 100. Daran haben sich dann die Bürgerinnen und Bürgern auch zu halten.
Frage Warweg:
Eine ganz grundsätzliche Frage zu dieser Aufhebung und der Einschränkung von Grundrechten. Hat die Bundesregierung denn einen Fahrplan, wenn es mit dieser massiven Aufhebung und Einschränkung der Grundrechte zu Ende geht? Gibt es dafür einen konkreten Fahrplan?
Alter:
Das Gesetz, das im Moment diskutiert wird, sieht vor, dass es bundeseinheitliche Regelungen in dem Moment gibt, wo eine bestimmte Infektionsinzidenz, nämlich 100 innerhalb von sieben Tagen, überschritten wird. Das Gesetz verliert seine Wirkung, wenn an fünf aufeinanderfolgenden Werktagen diese Inzidenz gewissermaßen stabil unterschritten wird. Dann ist die Wirkung des Gesetzes nicht mehr gegeben und tritt automatisch wieder außer Kraft. Das ist der Mechanismus, der jetzt vorgeschlagen wurde. Man wird sehen, wie weit das jetzt im parlamentarischen Verfahren bestätigt wird.
Regierungssprecher Seibert:
Ich will es einfach noch einmal sagen, wenn ich das darf: Das ganze Ziel, die ganze Absicht dieses Gesetzes ist es doch, unser ganzes Land wieder unter diese gefährlich hohen Inzidenzen zu bringen, die Inzidenzen deutlich zu senken, damit wir in unserem Land an Öffnungs- und Lockerungsschritte denken können und die dann auch entsprechend mit Testungen und anderem und mit der natürlich jetzt immer kräftiger anlaufenden Impfkampagne absichern können. Das ist das Ziel. Insofern gibt es, anders als mancher immer behauptet, überhaupt keine Absicht des Staates, auf ewig oder noch für lange Zeit in diesen hohen Inzidenzwerten zu verharren.
Im Gegenteil, sie sind gefährlich, sie sind lebensgefährlich. Wir sehen, wie sich die Situation auf den Intensivstationen entwickelt. Wir hören ganz genau, wie die Mediziner auf den Intensivstationen und genauso auch das Pflegepersonal ihre Hilferufe, wie die Bundeskanzlerin es heute gesagt hat, in die Öffentlichkeit schicken. Das Ziel dieses Gesetzes ist es, aus dieser Situation herauszukommen.
Zusatzfrage Warweg:
Aber jetzt ist es ja nicht nur dieser Gesetzentwurf, der Grundrechte einschränkt, sondern das haben auch bereits andere schon beschlossene Gesetze getan. Darauf zielte unter anderem auch meine Frage. Gibt es konkrete Pläne der Bundesregierung abgesehen von diesem Inzidenzwert 100, ab welchem Punkt es die Grundrechte wieder zurückgibt? Das ist ja durchaus etwas, was viele Bundesbürger bewegt.
Seibert:
Wissen Sie, was auch eine ganz schwere Grundrechtseinschränkung ist? Wenn Sie eine Schwersterkrankung haben und es keinen Intensivplatz mehr für Sie gibt jedenfalls nicht in der Gegend, in der Sie wohnen, sodass Sie irgendwo hingeflogen werden müssen. Das erleben wir doch zurzeit schon. Die Intensivkapazitäten sind an vielen Orten so ausgereizt oder kurz davor, dass Menschen, die schwere Tumore haben, die entfernt werden müssten, erleben, dass ihre Operation nicht jetzt schon stattfinden kann, was eigentlich medizinisch geboten wäre. Auch das ist eine schwere Grundrechtseinschränkung.
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