Die Union steht vor der Entscheidung, wen sie ins Rennen um das Kanzleramt schicken wird: den CDU-Vorsitzenden Armin Laschet oder den CSU-Vorsitzenden Markus Söder. Professor Heinrich Oberreuter, Politikwissenschaftler und Direktor des Instituts für Journalistenausbildung Passau, analysiert die Lage im Interview mit RT DE.
Herr Oberreuter, wie ungewöhnlich oder gewöhnlich ist die Situation, dass es innerhalb einer Partei bzw. innerhalb einer Union wie in diesem Fall zwei Kandidaten gibt?
Das ist eigentlich üblich – z. B. auch in der SPD (Lafontaine/Schröder als dramatischstes Beispiel); in der Union nach dem Ende Erhards; später Strauß/Albrecht und Merkel/Stoiber.
Schwächt so eine Uneinigkeit die Union oder eine der anderen Parteien? Wenn ja, welche?
Wenn der Streit weiter schwelt, schwächt er die Union insgesamt. Im Wahlkampf muss er glaubwürdig beigelegt sein, d. h. der Unterlegene muss den erfolgreichen unterstützen.
Der CDU-Parteivorstand hat sich für Laschet ausgesprochen. Ist die Sache damit schon entschieden?
Nein, der Vorstand ist kein Zentralkomitee. Innerparteiliche Demokratie – vom Grundgesetz geboren – eröffnet Diskussionschancen: derzeit wahrgenommen von der Fraktion im Bundestag, von Landesverbänden und Mitgliedern. Außerdem kann niemand die CSU zwingen, sie ist eine selbständige Partei.
Wie erklären Sie sich die guten Umfragewerte von Söder? Könnte es daran liegen, dass Laschet nicht stark genug wirkt?
Ja, daran liegt es. Söder hat in der Pandemie eine klare Linie des Lebensschutzes verfolgt. Zwei Drittel der Wähler wollen das. Laschet hat gelegentlich geschwankt. Bayern, ursprünglich am stärksten infiziert durch die Hotspots in der Nachbarschaft Tirol/Ischgl/Österreich und Tschechien, steht bisher in allen Werten besser da. Söder hat bessere Ausstrahlung in der Führungsfähigkeit.
Wie wichtig sind die Umfragen verglichen mit dem Willen des CDU-Parteivorstands?
Der CDU Vorstand und die Wählerschaft sind sozusagen zwei Körperschaften. Der Vorstand ist auf die Wählerschaft angewiesen. Die Wählerschaft nicht auf den Vorstand. Dessen Angebote – personell wie programmatisch – müssen die Wähler überzeugen.
Die letzten beiden CSU-Kanzlerkandidaten der Union, Franz-Josef Strauß und Edmund Stoiber, sind gescheitert und wurden nicht gewählt. Was unterscheidet Markus Söder von ihnen? Was räumt ihm bessere Chancen ein?
Historische Zustände von vor 20 und 40 Jahren sind nicht aussagestark. Das Wahlergebnis von Strauß (44,5 Prozent) ist nachher nur einmal übertroffen worden, das von Stoiber (38,5 Prozent) nachher ebenfalls nur einmal. Nach beiden Wahlen ist dann die Koalition geplatzt, so dass beide eigentlich indirekt erfolgreich waren. Söder ist weniger umstritten (als Strauß, den man u. a. als Kriegstreiber hingestellt hatte), und vielleicht spielt die Herkunft aus Bayern mittlerweile keine so große Rolle mehr. Die besseren Chancen hängen auch nicht allein von der Person ab.
Wessen Kandidatur wäre aus Ihrer Sicht die wünschenswerte – sowohl für die Union als auch für die deutsche Politik im Allgemeinen?
Soweit der personelle Faktor eine Rolle spielt – sowieso Söder. Und als Ausdruck von Führungs- und Darstellungsstärke auch. Soweit man davon abstrahieren kann, wie Rd die Akzentuierung deutsche Politik sich nicht sehr unterscheiden. Für diese Frage ist wichtig: Welche Koalition wird es geben?!
Die Union erlebt in Umfragen generell eher ein Tief. Was mit Korruptionsaffären und Skandalen zu tun hat, die die CDU nicht gut aussehen lassen. Glauben Sie, dass die Union sich in der langen Regierungszeit aufgebraucht hat und jetzt auf eine Wahlniederlage zusteuert?
Den Affären kommt keine große Rolle in nächster Zeit zu. Der demoskopische Einbruch hat weniger mit ihnen zu tun als mit dem wackeligen Management der Corona-Krise – so wie zuvor der Anschein der Bewältigung die Zustimmung ungeahnt nach oben getrieben hatte. Entscheidend wird im September sein, ob der Eindruck vorherrscht, die Krise sei halbwegs gemanaged (gut für die Union, egal wer Kandidat ist) oder eben nicht. Lange Kanzlerzeiten verlieren immer an Dynamik. Die Gesellschaft hat sich in den letzten drei Jahrzehnten verändert, die großen Parteien eher zu wenig. Das ist die Herausforderung. Im übrigen wäre es überraschend, wenn die Union nicht als stärkste Partei aus der Wahl hervorginge und damit in der Regierung bliebe.
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