In dem Papier, das heute veröffentlicht wird, steht es schwarz auf weiß: "Deutschland leistet sich in der öffentlichen Verwaltung Strukturen, Prozesse und Denkweisen, die teilweise archaisch anmuten."
Im Ausland ist es kaum zu verstehen, warum in Deutschland ausgerechnet mitten in der Pandemie manche Gesundheitsämter an den Wochenenden geschlossen sind. In den staatlichen Medien wie auch im Robert Koch-Institut nimmt man die verzögerten Neuinfektionsmeldungen mit großer Gelassenheit hin und verweist mit einer eher beiläufigen Bemerkung auf die Nachlässigkeit. Von digitaler Vernetzung ist in den Gesundheits-Amtsstuben auch nicht viel zu spüren. Zwischen Gummibaum und Leitzordner brummen so viele Faxgeräte wie sonst nirgends im Gesundheitswesen, wie selbst Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) zu Beginn seiner Amtszeit noch vermerkte. Wertvolle Zeit geht dabei durch die oft handgeschriebenen Listen und ausgedruckten Excel-Tabellen verloren. Daten werden auf Papier per Fax übermittelt und anschließend wieder in den Computer eingetippt.
Die Corona-Pandemie hat auf die Rückständigkeit vieler Amtsstuben wie ein Katalysator gewirkt. Ökonom Klaus Schmidt, Vorsitzender des Wissenschaftlichen Beirats, konstatiert:
"Zwar habe es in der Corona-Krise Fortschritte gegeben, etwa bei der digitalen Kommunikation und der Nutzung digitaler Prozesse durch die Umstellung auf das Homeoffice. In anderen Bereichen, so im Schul- und Gesundheitswesen, gelang dies nur mühsam oder so gut wie gar nicht."
Und vieles von dem, was während der Corona-Pandemie in kurzer Zeit umgesetzt wurde, hätte schon lange vor der Krise unternommen werden können.
Oft mangele es nicht an der finanziellen Ausstattung, vielmehr fehle "eine klarere Zuweisung von Zuständigkeiten und Verantwortlichkeiten", kritisieren die Experten in ihrem Gutachten. So sei etwa beim Digitalpakt Schule nur ein Bruchteil der zur Verfügung stehenden Bundesmittel bei den Schulen angekommen. Bildungsunternehmer Ümit Sormaz vom Nürnberger Intelligenzknoten ärgert sich. Er sagte gegenüber RT DE:
"Wir könnten viel mehr digital mit den Schulen zusammenarbeiten, etwa Nachhilfekurse in der Corona-Zeit anbieten. Doch oft fehlt es an der staatlichen Klarheit und Unterstützung und schlichtweg an den Internetverbindungen sowie den nötigen Computern in den Schulen. Wir könnten viel mehr anbieten, wenn die Schulen mitziehen würden und das Kultusministerium die zugesicherten Gelder auch zügig bereitstellen würde. Doch genau an dieser Schnittstelle sitzen oft Beamte, die zaghaft oder gar nicht entscheiden."
Die Berater von Wirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) setzen auf einen verbindlichen Staatsvertrag zwischen den Bundesländern, der klare Maßgaben zu einer Vereinfachung der Verwaltungsabläufe enthalte. Dietmar Harhoff, Direktor am Münchener Max-Planck-Institut für Innovation und Wettbewerb und einer der Studienautoren, fordert im Handelsblatt eine Art Generalinventur der deutschen Verwaltung:
"Die in der Krise getroffenen, oft befristeten Entscheidungen zugunsten einer Flexibilisierung von Abläufen sollten von der Politik, aber auch von Verwaltungs- und Behördenleitungen in den kommenden Monaten auf den Prüfstand gestellt werden. Einen automatischen Rückschritt zu den vor der Krise üblichen bürokratischen Vorgaben und Vorgehensweisen darf es nicht geben."
Nötig sei grundsätzlich eine klare Führung, die die Dringlichkeit der digitalen Transformation in Ministerien, Schulen oder Gerichten vermittele. Es gelte, in der öffentlichen Verwaltung Managementansätze aus der Privatwirtschaft wie Teamarbeit und agiles Management schneller als bisher zu integrieren. Beiratsmitglied und Studienautor Stefan Bechtold sagt:
"Vor allem sollte der Staat aber die lange überfällige digitale Transformation der eigenen Dienstleistungen zügig umsetzen und die öffentlichen Verwaltungen konsequent digitalisieren."
Große Ankündigungen der Politik hat es viele gegeben. So versprach Bundeswirtschaftsminister Altmaier im Wahlkampf 2017, Deutschland werde bis 2021 führend beim E-Government in Europa sein. Deutschland ist weit davon entfernt. Um bei der Digitalisierung voranzukommen, müsse sich allerdings auch beim Datenschutzrecht etwas tun.
Zudem zeige die tägliche Erfahrung im Internet, wie nutzlos es ist, das Datenschutzrecht nach dem "Primat der Einwilligung des Betroffenen auszugestalten". Der Beirat rät, im deutschen und europäischen Datenschutzrecht stärker auf andere Regulierungskonzepte wie Datentreuhänder, Optionsregelungen im Browser oder regulierte Datenräume zu setzen. Daneben empfiehlt der Beirat eine zielgerichtete staatliche Förderung der digitalen Kommunikationsinfrastruktur. Mit "Gigabit-Gutscheinen" ließe sich beispielsweise der Internetzugang zu hochwertigen Breitbandanschlüssen für kleine und mittlere Unternehmen und für Haushalte mit schulpflichtigen Kindern verbessern.
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