Ex-Richterbund-Chef Gnisa "fassungslos": Bund plane "nicht mehr einzufangenden Dauerlockdown"

Jens Gnisa, früherer Vorsitzender des Richterbundes, zeigt sich fassungslos über die Pläne des Bundes zur Ausweitung seiner Kompetenzen in der Corona-Krise. Der Bund agiere unverhältnismäßig und missachte die Justiz. Derweil rückt der sogenannte "Brückenlockdown" offenbar näher.

Jens Gnisa, Direktor des Amtsgerichts Bielefeld und bis 2019 Vorsitzender des Deutschen Richterbunds (DRB), des größten Berufsverbandes von Richtern und Staatsanwälten in Deutschland, hat die Pläne der Bundesregierung zu einer Ausweitung der Kompetenzen des Bundes in der Corona-Krise ungewöhnlich deutlich kritisiert. Auf Facebook schrieb der Jurist am frühen Samstagmorgen:

"Man sieht mich selten fassungslos. Aber nun ist es so weit. Der Bund schießt deutlich über alle Verhältnismäßigkeitsgrenzen hinaus."

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Wie zahlreiche andere Experten, Wissenschaftler und auch Juristen kritisierte Gnisa die ausschließliche Konzentration auf die leicht "von oben" festsetzbaren "Inzidenzzahlen" und warf der Regierung vor, die Justiz ebenso zu missachten wie das Grundgesetz:

"Nur auf die Inzidenz abzustellen ist bei derartig drastischen Maßnahmen willkürlich, weil die reine Inzidenz davon abhängt wie viel getestet wird. Dies ist manipulierbar. Ab einer Inzidenz von 100 nächtliche Ausgangssperren zu verhängen, obwohl von Gerichten deren Wirksamkeit angezweifelt wurde, ist eine Nichtachtung der Justiz. Eltern ab einer Inzidenz von 100 zu verbieten ihre Kinder zu treffen entspricht für mich auch nicht dem Bild des Grundgesetzes."

Der Richter erklärte, dass es sich bei den diskutierten Maßnahmen nicht, wie von der Politik behauptet, um einen "Brückenlockdown" von wenigen Wochen handle, vielmehr sei es "ein nicht mehr einzufangender Dauerlockdown".

Gnisa schloss seinen Eintrag mit einem Aufruf an die Bürger, auf ihre Abgeordneten einzuwirken, um die geplante Verschärfung des Infektionsschutzgesetzes zu verhindern:

"Ich möchte daher alle bitten: schreiben Sie Ihrem Bundestagsabgeordneten und appellieren Sie an ihn, diesem Gesetz in dieser Form nicht zuzustimmen! Nur auf die Inzidenz abzustellen ist untauglich."

In der Formulierungshilfe für die Gesetzesänderung, die am Samstag an Fraktionen und Länder verschickt wurde, schlägt "der Bund" laut der Nachrichtenagentur dpa einheitliche Maßnahmen für Landkreise vor, in denen innerhalb einer Woche eine sogenannte Inzidenz von mindestens 100 "Neuinfektionen" (gemeint sind vermeintlich positive Getestete) pro 100.000 Einwohner errechnet wird. 

Dort wären dann etwa nur noch private Treffen eines Haushaltes mit einer weiteren Person und von insgesamt maximal fünf erwachsenen Personen erlaubt. Der Bund fordert auch Ausgangsbeschränkungen von 21.00 Uhr abends bis 5.00 Uhr morgens. Die Bundesländer würden durch diese dann bundesweit geltende Gesetzesänderung faktisch entmachtet.

Bundeskanzlerin Angela Merkel forderte am Sonntag im "Kampf gegen die dritte Corona-Welle" einen "konsequenten Lockdown". Die dpa zitierte die CDU-Politikerin mit der Äußerung, die "Brücke der Beschränkungen" solle möglichst kurz andauern. Die Agentur beruft sich auf Teilnehmer der Klausurberatung von Spitzenpolitikern der Unionsfraktion in Berlin, auf der diese Bemerkungen gefallen sein sollen.

Die Bundesrepublik befindet sich bereits seit November 2020 in einem sogenannten Lockdown. Die seitdem geltenden Maßnahmen wurden seinerzeit von Politikern als angeblich kurzzeitiger "Wellenbrecherlockdown" bezeichnet.

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