"No-COVID funktioniert nur als Gedankenexperiment": BDI warnt vor hartem Lockdown

Angesichts einer sich abzeichnenden Verschärfung des Lockdowns auf Bundesebene warnt nun der BDI vor deren Folgen, sollte dabei auch die Industrieproduktion vorübergehend zum Stillstand kommen. Der Vorsitzende des Weltärztebundes rechnet derweil mit einem Ansturm von Corona-Kranken auf die deutschen Kliniken.

Der Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) hat vor einem harten Lockdown mit Betriebsschließungen gewarnt. "Vier Wochen Lockdown in der Industrie bedeuten viele Wochen mehr Produktionsausfall", sagte BDI-Präsident Siegfried Russwurm dem Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND). "Das könnte uns leicht das komplette Wachstum des Bruttoinlandsprodukts in diesem Jahr kosten – und wir würden dann vom Absturz im vergangenen Jahr nichts wieder aufholen", so der BDI-Chef. Russwurm erläuterte:

"Die Industrie stillzulegen, würde mindestens eine Woche dauern, da viele LKWs ja noch auf der Straße sind, chemische Anlagen nicht von heute auf morgen und Hochöfen auf die Schnelle gar nicht runtergefahren werden können. Wenn der Lockdown zu Ende ist, dauert es mehrere Wochen, bis die unterbrochenen Lieferketten wieder funktionieren."

Man könne nicht eine ganze Gesellschaft in den Lockdown schicken, so Russwurm. "No-COVID ist eine schöne Vorstellung. Aber sie funktioniert nur als Gedankenexperiment", sagte er. "Wir werden lernen müssen, mit dem Virus zu leben. Bürgerinnen, Bürger und die Wirtschaft brauchen keine Symbolpolitik und nicht immer neue Ad-hoc Aktionen, sondern realistische Lösungen."

Weltärztebund-Chef warnt vor Triage in Deutschland

Indes warnt der Vorsitzende des Weltärztebundes vor einer Zuspitzung der Lage in den deutschen Krankenhäusern. "Wir werden in den Kliniken jetzt eingeholt von den Infektionen, die vor vier Wochen stattgefunden haben", sagte Frank Ulrich Montgomery der Passauer Neuen Presse.

Auch die Triage werde "mit Sicherheit" wieder im Raum stehen. Triage bedeutet, dass Mediziner aufgrund von knappen Ressourcen entscheiden müssen, wem sie zuerst helfen. "Wir waren sehr dankbar, dass sie in den ersten beiden Wellen nicht gebraucht wurde. Es ist vorstellbar, dass es zu Situationen kommt, in denen sie angewendet wird." Es sei deshalb richtig, dass sich die Kliniken auf einen Ansturm einstellen, sagte Montgomery.

Europas größte Uniklinik, die Berliner Charité, hatte angekündigt, in der kommenden Woche Mitarbeiter wieder vermehrt in COVID-19-Bereichen einzusetzen und planbare Eingriffe zurückzufahren. "Wenn die Anzahl schwer kranker COVID-Patienten die zweite Welle übertrifft, kommen wir in eine kritische Situation", sagte Martin Kreis, Vorstand für die Krankenversorgung in Deutschlands größter Uniklinik.

Die Zahl der Neuzugänge auf den Intensivstationen der Charité sei demnach in den vergangenen beiden Wochen deutlich gestiegen. Besonders betroffen sei nun die Altersgruppe zwischen 30 und 60, die bislang wenige Chancen auf Impfungen hatte. "Der Trend ist eindeutig, und er zwingt uns, zu reagieren", ergänzte Kreis.

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(dpa/rt)