Von 2015 bis 2019 hat Sahra Wagenknecht zusammen mit Dietmar Bartsch die Bundestagsfraktion der Linken geführt. Nach einem Burn-out und harten Auseinandersetzungen mit der Parteiführung kandidierte sie nicht mehr für den Posten. Bis heute zählt sie zu den prominentesten Politikern ihrer Partei. Nach langen internen Querelen hatte Wagenknecht 2019 unter anderem aufgrund der Migrationspolitik und auch aus gesundheitlichen Gründen auf eine erneute Kandidatur für den Posten als Fraktionschefin verzichtet.
Dann gab sie Ende Januar bekannt, in NRW wieder für den Bundestag kandidieren zu wollen.
"Ich kandidiere gerne wieder in Nordrhein-Westfalen. Gerade jetzt ist es bitter nötig, den sozialen Ungerechtigkeiten und dem Missmanagement der Regierung in der Corona-Krise überzeugende Alternativen entgegenzustellen."
Doch da hatte die charismatische Politikerin die Rechnung ohne Teile ihrer eigenen Partei gemacht. Anders als im Landesvorstand formierte sich umgehend Widerstand gegen eine Kandidatur Wagenknechts. So zitierte die Süddeutsche Zeitung Mitte Februar aus einer E-Mail des Sprechers der Kölner Linken:
"Wir sollten Druck machen, dass Sahra Wagenknecht auf ihre Kandidatur auf Platz eins der Landesliste verzichtet."
Immer wieder, so ein Vorwurf an die Adresse der ehemaligen linken Galionsfigur, habe Wagenknecht gegen Beschlüsse der eigenen Partei verstoßen. Zudem wird der Linken-Politikerin vorgeworfen, vermeintlich "rechte Positionen" zu bedienen.
Nun eckt Wagenknecht erneut an. Grund ist ein von der 51-Jährigen verfasstes 345-seitiges Buch. Eigentlich sollte es aufgrund einer Sperrfrist erst am kommenden Mittwoch erscheinen (am Samstag kandidiert Wagenknecht auf einem digitalen Parteitag für Platz eins). Doch bereits jetzt ist es in einigen Buchläden zu finden, erste Passagen kursieren bereits im Internet und handelten der Linken-Ikone prompt neuen Ärger ein.
Linken-Vorstandsmitglied Johannes König aus Bayern erklärte gegenüber dem Spiegel:
"Während wir daran arbeiten, Antirassismus und Ökologie auch als soziale Fragen in Bündnissen und mit Gewerkschaften zur Geltung zu bringen, verunglimpft Sahra Bewegungen wie Unteilbar, Black Lives Matter oder Fridays for Future als 'selbstgerecht'. Querdenken hingegen verteidigt sie."
In ihrem Werk ("Die Selbstgerechten. Mein Gegenprogramm – für Gemeinsinn und Zusammenhalt") kritisiert Wagenknecht die Fragmentierung der Gesellschaft anhand von immer neuen, vermeintlich emanzipatorischen Bewegungen, deren bedingungslose und nicht reflektierte Unterstützung eher einer "Lifestyle-Linken" gut zu Gesicht stünden. Mit den eigentlichen Kernthemen ihrer Partei habe das nicht mehr viel zu tun.
"Die Identitätspolitik läuft darauf hinaus, das Augenmerk auf immer kleinere und immer skurrilere Minderheiten zu lenken, die ihre Identität jeweils in irgendeiner Marotte finden, durch die sie sich von der Mehrheitsgesellschaft unterscheiden und aus der sie den Anspruch ableiten, ein Opfer zu sein."
Beispiel für solche "Marotten" seien etwa sexuelle Orientierung, Hautfarbe und Ethnie.
Für den Oberhausener Bundestagsabgeordneten der Linkspartei, Niema Movassat, nicht nur unerträglich, sondern "unergründlich, wie jemand, der Teile unserer Wählerschaft und die Programmatik der Partei offensichtlich verachtet, Spitzenkandidatin in NRW werden will".
Gegenüber der taz gab Mouvassat zu Protokoll:
"Wer das Buch von Sahra Wagenknecht liest, kann nur zu einem Schluss kommen: Sie befindet sich in einem regelrechten Feldzug gegen die eigene Partei."
Auch die Linksjugend in Oberhausen ließ wissen, dass Wagenknecht nach ihren jüngsten Aussagen "nicht mehr tragbar" sei.
Vor wenigen Tagen geriet Wagenknecht wegen einer vermeintlichen Aussage ihrerseits unter Druck. So sollte die Linken-Politikerin Corona-Impfungen angeblich als krankmachend bezeichnet haben. Das legte zumindest ein Sharepic nahe, das sich auf Facebook verbreitete (archiviert hier).
Neben einem Foto der Politikerin und dem falsch geschriebenen Namen Sahra Wagenknecht heißt es in einem Zitat: "Ist es nicht sinnvoller, Medikamente für Kranke zu haben, als Gesunde mit Impfungen krank zu machen?" Allerdings hatte Wagenknecht keine entsprechende Aussage getätigt. Was auch das Büro der Politikerin bestätigte.
In ihrem erscheinenden Buch argumentiert Wagenknecht, dass es die "hohe Migration nach Deutschland" gewesen sei, die es ermöglicht habe, dass die Löhne "in vielen Branchen um bis zu 20 Prozent" gesunken seien.
Der ehemalige Parteichef Bernd Riexinger kommt ebenfalls nicht gut weg. Diesen bezeichnet Wagenknecht als den damaligen Vorsitzenden "einer deutschen linken Partei, dessen Name heute zu Recht vergessen ist". Derlei Aussagen dürften die Empörung in den Reihen der Linkspartei weiter anschwellen lassen.
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