Der Anteil von Minderjährigen in von der sogenannten Grundsicherung abhängigen Haushalten bleibt auf einem erschreckend hohen Niveau, wie das Deutsche Kinderhilfswerk am Donnerstag meldete.
Demnach liegt der Anteil der unter 18-jährigen in Hartz-IV-Bedarfsgemeinschaften bei 33,1 Prozent, zum Jahresende 2020 waren von 5.596.890 Personen in Bedarfsgemeinschaften 1.854.695 Kinder und Jugendliche.
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Diese zumal für ein reiches Land erschreckenden Zahlen beziehen sich lediglich auf die amtliche Statistik der Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch, wie der Sprecher des Kinderhilfswerks Uwe Kamp auf Anfrage von RT DE bestätigte. Die wahren Armutszahlen, die im Jahr 2018 mit 2,8 Millionen und vom Kinderschutzbund nach weniger konservativen Schätzungen im selben Jahr sogar mit 4,4 Millionen Kindern beziffert wurden, weichen von dieser Statistik also auch jetzt ab.
Der Begriff "Kinderarmut" umfasst laut Kamp über die aktuell benannten Zahlen aus der Statistik hinaus auch die vielen Kinder in verdeckter Armut und Kinder, deren Eltern beispielsweise Kinderzuschlag erhielten, aber von weniger als 60 Prozent des Einkommensdurchschnitts leben müssen und damit nach offizieller Definition in die Kategorie der von Armut Betroffenen fallen.
Die Kinderrechtsorganisation fordert dringend eine Gesamtstrategie zur Bekämpfung der Kinderarmut in Deutschland und eine bedarfsgerechte Kindergrundsicherung, aktuelle staatliche Maßnahmen reichen demzufolge nicht aus.
"Die von der Bundesregierung in der COVID-19-Pandemie bisher auf den Weg gebrachten finanziellen Unterstützungsleistungen für Familien mit Kindern sind ein Schritt in die richtige Richtung, damit nicht noch mehr Kinder auf Hartz-IV-Leistungen angewiesen sind. Den Status quo an dieser Stelle zu halten, reicht aber nicht aus. Jeder dritte Hartz-IV-Empfänger ist ein Kind, obwohl ihr Anteil an der Gesamtbevölkerung in Deutschland nur bei rund 16 Prozent liegt. Damit sind Kinder und Jugendliche mit ihren Familien in besonderem Maße von Armut betroffen", so Thomas Krüger, Präsident des Deutschen Kinderhilfswerkes. Auch die EU-Kommission habe das Problem erkannt, im März wurden Maßnahmen zum Schutz von Kindern vor Gewalt und Armut vorgeschlagen. Ein Punkt lautete: das Recht der Kinder, ihr volles Potenzial auszuschöpfen, unabhängig von ihrer sozialen Herkunft.
Doch das ist auch in Deutschland noch ein weiter Weg. Laut dem Sozialverband VdK hat sich das Risiko, unter die Armutsgrenze zu rutschen und den sozialen Anschluss zu verlieren, hierzulande in den vergangenen zwanzig Jahren mehr als verdoppelt. Während der Stempel "Hartz IV" für Erwachsene oft mit enormer und nicht unberechtigter Angst vor einem schwer umkehrbaren Abstieg einhergeht, bedeutet er für Kinder und Jugendliche neben Stigma, mangelnder Teilhabe und mitunter Bildungs- und sogar Nahrungsdefiziten den Eintritt in einen Armutsteufelskreis, den zu durchbrechen nur wenigen gelingt. Die soziale Schieflage werde sich durch Corona womöglich dauerhaft verschärfen, das Armutsrisiko verfestigt. Wer also arm ist, bleibt es länger, so der VdK.
Nach Ansicht des Kinderhilfswerks gehören die Förderung armer Familien und ihrer Kinder sowie unbürokratische Zugänge zu armutsvermeidenden Leistungen auf der Prioritätenliste der Bundesregierung ganz nach oben. Die gesellschaftliche Teilhabe jedes Kindes müsse eigenständig und unabhängig von der Hartz-IV-Gesetzgebung abgesichert werden, betont Krüger.
Für die Dauer der Corona-Krise fordert das Deutsche Kinderhilfswerk einen pauschalen Zuschlag in Höhe von 100 Euro pro Kopf und Monat, um den in der Pandemie entstandenen Mehrbedarf, unter anderem durch wegfallende Schul- und Kitaessen, Preissteigerungen, zusätzlich benötigte Spiel- und Lernsachen im Lockdown sowie Hygieneartikel und Masken zu decken.
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Andere Organisationen wie der Paritätische Gesamtverband fordern ebenfalls einen monatlichen Zuschlag. "Das Krisenmanagement der Bundesregierung ist ein armutspolitisches Trauerspiel. Wir fordern die Bundesregierung auf, endlich dafür zu sorgen, dass Deutschland wieder seinen sozialstaatlichen Verpflichtungen nachkommt", so Ulrich Schneider, Hauptgeschäftsführer des Paritätischen Gesamtverbands, zu dem Urteil des Sozialgerichts Karlsruhe, das den geplanten einmaligen Corona-Zuschuss für Grundsicherung Beziehende für zu gering und verfassungswidrig hält.
Das Deutsche Kinderhilfswerk tritt, unabhängig von den finanziellen Belastungen durch die COVID-19-Pandemie, für die Einführung einer bedarfsgerechten Kindergrundsicherung ein.
Die Präsidentin des VdK Verena Bentele fordert gegen die durch die Corona-Krise verschärfte soziale Schieflage einen deutlich faireren Mindestlohn in Höhe von 13 Euro sowie die Eindämmung von Leih- und Zeitarbeit. Nur so könnten Erwerbsarmut – von der Kinder auch betroffen sind – und spätere Altersarmut verhindert werden. Ähnlich lauten die Forderungen der Linksfraktion, wonach insbesondere in Ostdeutschland Menschen von der Schließung des Niedriglohnsektors und der Erhöhung des Mindestlohns profitieren würden. Wie auch das Kinderhilfswerk plädiert die Partei für eine armutsfeste Kindergrundsicherung: Kinderarmut sei das größte Zukunftsrisiko Deutschlands.
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