Kinderärzte fordern: Schulen so lange wie möglich offen halten

Wie geht es nach den Ferien mit dem Unterricht weiter? Die Diskussion über die komplette Schließung der Schulen ist erneut entbrannt. Die Kultusminister der Länder beraten morgen über das weitere Vorgehen. Kinderärzte fordern, Einrichtungen so lange wie möglich offen zu halten.

Nach Monaten des Distanzunterrichts waren viele Kinder und Jugendliche in den Wochen vor Ostern zumindest tageweise in die Schulen zurückgekehrt. Den Anfang hatten zunächst die Grundschüler und Abschlussjahrgänge der weiterführenden Schulen gemacht. Doch wie geht es nun nach den Osterferien weiter? Schulen weiter auf oder doch wieder zu? Zusammen mit der Debatte um verschärfte Lockdown-Regelungen ist auch die Diskussion um Öffnungen von Schulen und Kindergärten zurück.

Kinder- und Jugendärzte plädieren dafür, die Einrichtungen so lange wie möglich offen zu halten. So sagte Ingeborg Krägeloh-Mann, Vizepräsidentin der Deutschen Gesellschaft für Kinder- und Jugendmedizin (DGKJ), der Nachrichtenagentur dpa:

"Schulschließungen sollten wirklich die letzte Option sein."

Zuvor sollten alle anderen Möglichkeiten ausgeschöpft werden, um Kontakte in der gesamten Bevölkerung zu verringern. Die Tübinger Medizinprofessorin forderte, im Gegensatz zu Erwachsenen oder Jugendlichen kleinere Kinder anders zu bewerten – weil diese wahrscheinlich noch weniger am Infektionsgeschehen beteiligt seien "und mehr auf Präsenzunterricht angewiesen sind".

Die aktuell stärker ansteigenden Zahlen bei den erfassten Corona-Fällen in dieser Altersgruppe gehen nach Meinung von Krägeloh-Mann auf eine Erhöhung der Testzahl zurück. Dadurch würden im Vergleich zu früher mehr Fälle aus der Dunkelziffer erfasst. Nach Erkenntnissen von DGKJ und dem Berufsverband der Kinder- und Jugendärzte (BVKJ) sowie weiteren Experten tragen Kinder und Jugendliche aktuell nicht mehr zum Infektionsgeschehen bei als andere Altersgruppen. 

In einer gemeinsamen Stellungnahme geben DGKJ und BVKJ als Grund für die höheren Inzidenzwerte bei Kindern und Jugendlichen die mittlerweile gestiegene Testzahl in diesen Gruppen an. Ein Vergleich zu anderen Altersklassen anhand der Inzidenzen sei daher nicht aussagekräftig.

Tatsächlich stieg zwischen etwa Ende Februar und Ende März die Zahl der PCR-Getesteten bei den unter Vierjährigen um etwa ein Drittel, bei den Fünf- bis 14-Jährigen um 14 Prozent. In allen anderen Altersgruppen ging die Zahl zurück oder blieb etwa gleich.

Die Verbände schreiben: 

"Bildungszugang und Teilhabe sind ein sehr hohes Gut und sollten in der Abwägung der Maßnahmen gegen die Pandemieausbreitung hohe Berücksichtigung finden."

Generell müsse bei Schulschließungen der Nutzen mit den möglichen Schäden abgewogen werden, so Krägeloh-Mann. Studien hätten gezeigt, dass der Anteil an Kindern etwa mit depressiven Verstimmungen oder psychosomatischen Störungen im Lockdown zugenommen habe.

Auch Johannes Hübner, stellvertretender Direktor der Kinderklinik und Kinderpoliklinik der Universität München, ist der Meinung, dass die "Schulschließungen wirklich das allerletzte Mittel sein" sollten. In vielen Bereichen seien Einschränkungen mit Geld wiedergutzumachen, so Hübner. Doch bei Kindern und Jugendlichen gebe es "so viele Kollateralschäden", wenn sie ständig daheim seien. Dazu zählt er etwa Fälle von häuslicher Gewalt, Bewegungsmangel durch ausfallenden Sport- und Schwimmunterricht und eine fehlende Interaktion mit den Freunden. Ganz zu schweigen vom verpassten Schulstoff.

Unklar ist weiterhin, auf welchen Wegen sich der Erreger unter jungen Leuten verbreitet – also ob er etwa häufiger von außen in den Unterricht getragen wird, anstatt dass sich die Schüler untereinander anstecken. "Wir wissen immer noch nicht genau, wo die einzelnen Übertragungen wirklich stattfinden", sagt der Epidemiologe der Akkon Hochschule für Humanwissenschaften in Berlin, Timo Ulrichs.

Nach Angaben des Robert Koch-Instituts fehlen häufig Informationen zur Infektionsquelle. Nur weniger als ein Zehntel der gemeldeten Corona-Fälle aller Altersgruppen konnten Ende März/Anfang April einem Ausbruch zugeordnet werden. Kommen es bei privaten Kontakten zu den meisten Ansteckungen? Oder in den Bereichen des öffentlichen Lebens, wo Menschen zusammenkommen – also auch in Schulen? Ulrichs: "Das ist ja immer noch eher spekulativ."

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(rt/dpa)