Im Rahmen einer allgemeinen Verschärfung der Corona-Maßnahmen haben sowohl eine Reihe von Bundesländern wie auch einzelne Regionen beschlossen, nächtliche Ausgangssperren zu verhängen – oder zumindest die Grundlagen dafür geschaffen, dass ab einem bestimmten Inzidenzwert die regionalen Behörden dazu verpflichtet werden, Ausgangssperren zu verhängen. Dazu gehören Berlin, Bremerhaven, Hamburg und viele Kreise in Bayern und Brandenburg sowie einzelne Kreise in Niedersachsen (etwa auch Hannover), Mecklenburg-Vorpommern, Sachsen, Sachsen-Anhalt, Rheinland-Pfalz, Nordrhein-Westfalen und Hessen.
Inwiefern nächtliche Ausgangssperren zur Eindämmung der Corona-Pandemie beitragen können, ist indessen völlig ungewiss, denn anhand der vorhandenen Daten lässt sich der Effekt von nächtlichen Ausgangssperren nur schlecht von der Wirkung anderer Maßnahmen, die oft parallel eingeführt werden, kaum isoliert verifizieren. Bisher zeigte sich jedoch, dass sich nach solchen gebündelten Maßnahmen und Sperren die Anzahl der Neuinfektionen allgemein verringerte. Möglicherweise ist diese Wirkung jedoch nicht auf die nächtlichen Ausgangssperren zurückzuführen, sondern auf andere beschlossene Maßnahmen.
Befürworter von nächtlichen Ausgangssperren argumentieren, dass dadurch nächtliche private Feiern und persönliche Kontakte verhindert werden, was daher zur deutlichen Eindämmung von Neuansteckungen beitrage.
Strittig ist daher auch die Frage, ob diese massiven Grundrechtseinschnitte angesichts ihres ungeklärten Nutzens verhältnismäßig sind.
Forscher um ein Team an der Universität Oxford fanden jüngst heraus, dass nächtliche Ausgangsbeschränkungen zwar die Verbreitung des SARS-CoV-2-Erregers um rund 13 Prozent reduzieren könnten. Einen doppelt so hohen Effekt (Reduktion um 26 Prozent) hätten aber etwa strenge Kontaktbeschränkungen, wie die Begrenzung aller Treffen auf maximal zwei Menschen, wie sie zum Beispiel auch Berlin für die Nächte seit Karfreitag vorsieht. Die Studie muss noch von Fachleuten begutachtet werden.
Mobilitätsforscher von Technischer Universität Berlin sowie dem Zuse-Institut in Berlin kommen in ihrer jüngsten Studie zu der Erkenntnis, dass eine Ausgangssperre am Abend und in der Nacht besonders Kontakte im Privatbereich reduziere. Demnach zeigt eine Simulation von Mitte Januar (als die als ansteckender geltende Virusvariante B.1.1.7 noch nicht so weit in Deutschland verbreitet war) eine Halbierung der Infektionen im Freizeitbereich durch eine Ausgangssperre von 20.00 bis 6.00 Uhr.
Die Berliner Forscher befürchten aber dennoch, dass die Bevölkerung dann mittelfristig einfach auf andere Zeiten für Treffen und Besuche ausweicht. Daher könne dieses Werkzeug "relativ schnell stumpf werden", heißt es in einem Bericht von Mitte März.
Auch das, was manche Politiker als "Kollateralschäden" bezeichnen – etwa psychische Erkrankungen durch Vereinzelung und Existenzängste – lässt sich nicht leicht und vor allem nicht sofort wissenschaftlich begründen.
In Frankreich gab es im vergangenen Frühjahr und Herbst sehr strenge Lockdowns mit harten Ausgangsbeschränkungen. Die Menschen durften nur mit Passierschein auf die Straße – und das auch nur im Radius von einem Kilometer zur Wohnung. Teilweise waren Parks und Strände geschlossen. Besonders zu Beginn wurden die Regelungen streng von der Polizei kontrolliert – im Herbst aber deutlich weniger als im Frühjahr. Diese drastischen Einschränkungen waren erfolgreich: Die Corona-Zahlen gingen deutlich zurück.
Eine Studie der Pariser Universität Sorbonne über die Ausgangsbeschränkungen von Mitte Januar in Frankreich kommt zu dem Schluss, dass die Sperrmaßnahmen seinerzeit die Übertragung des ersten, vorjährigen Virusstammes verringerte, während die neuere B.1.1.7-Variante sich weiter verbreitete.
Als eine von verschiedenen möglichen "notwendigen Schutzmaßnahmen" sieht das Infektionsschutzgesetz bei einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite (wie sie derzeit in Deutschland festgestellt ist) auch Ausgangsbeschränkungen vor.
Stephan Rixen, Staatsrechtler von der Universität Bayreuth, hält sie auch für begründbar, da das Robert Koch-Institut (RKI) die Gefährdungslage mittlerweile als hoch einschätzt. Er betont aber gleichzeitig:
"Grundsätzlich gilt: Je stärker die Grundrechte beeinträchtigt werden, desto besser muss der Staat das begründen."
Die Verwaltungsgerichte urteilten seit Beginn der Pandemie im Einzelfall durchaus unterschiedlich, auch mit Blick auf die jeweilige Situation vor Ort. Zwar blieben viele Eilanträge gegen Ausgangsbeschränkungen erfolglos: etwa für Solingen und Gütersloh.
Der Verwaltungsgerichtshof von Baden-Württemberg kippte jedoch im Februar eine Corona-Verordnung, die Ausgangsbeschränkungen von 20.00 Uhr bis 5.00 Uhr vorsah. Das Gericht argumentierte, die Landesregelung habe zuletzt die gesetzlichen Voraussetzungen nicht mehr erfüllt. Nach dem Infektionsschutzgesetz seien Ausgangsbeschränkungen nur möglich, wenn ihr Unterlassen zu irgendwelchen Nachteilen in der Pandemiebekämpfung führe. Sie kämen nur dann in Betracht, wenn der Verzicht auf sie – auch unter Berücksichtigung aller anderen ergriffenen Maßnahmen – zu einer wesentlichen Verschlechterung des Infektionsgeschehens führe.
Das Oberverwaltungsgericht in Bautzen hatte Anfang März zwei Ausgangsbeschränkungen, die in Sachsens Corona-Schutzverordnung enthalten sind, vorläufig außer Vollzug gesetzt. Konkret ging es dabei um die nächtliche Ausgangssperre zwischen 22.00 und 6.00 Uhr sowie um eine Begrenzung auf einen 15-Kilometer-Radius für Sport und Bewegung im Freien.
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(rt/dpa)