Deutschland galt als ein Musterschüler in der Pandemiebekämpfung. Doch das war vor einem Jahr. Mittlerweile hat das Land an Glanz verloren. Masken gab es zunächst keine, dann keine Test- oder Impfstrategie. Apps funktionierten nicht, Absperrmaßnahmen gab es halbherzig und nicht überall.
Was andere Länder rund herum nebenbei an Anti-Pandemie-Strategien durchsetzten, wurde im föderal strukturierten Deutschland auf Landesebene zerredet. Die Welt sah es und konnte es nicht glauben: Der Musterschüler Deutschland war, was das Impfen angeht, im hinteren Mittelfeld gelandet, obwohl es den ersten Impfstoff gegen das Virus entwickelte.
US-Medien berichten seit Tagen ausgiebig über die Verfehlungen des Landes in der Pandemie. In Kommentarspalten gehen sie hart mit der Bundesregierung ins Gericht. Das Wall Street Journal schreibt:
"Angela Merkel hat ihre Kraft in der Pandemie verloren. Eigenschaften, die sie zu einem perfekten Anti-Trump gemacht hatten, sprechen jetzt gegen sie."
In der Flüchtlingskrise vor fünf Jahren und als Managerin der Pandemie vor einem Jahr wurde sie von derselben Zeitung noch gelobt und gefeiert. Aber auch da hatten die amerikanischen Beobachter oft nicht genau genug bewertet, wie teuer die Integration der Zuwanderer im deutschen Sozialstaat noch werden sollte.
Der Chefredakteur der Neuen Zürcher Zeitung, Eric Gujer, schätzt die preußische Haltung, die zu Beginn der Pandemie für Erfolge gesorgt habe, nun als Problem ein. Gujer sagte:
"Nämlich in dem Moment, als es darum ging, Impfstoff zu organisieren und zu verteilen."
Auch im fernen Japan werden Merkels Oster-Rückzieher, der langsame Fortschritt beim Impfen und der Wandel in der politischen Stimmung im Land genau wahrgenommen. Mikio Sugeno, Kommentator der Wirtschaftszeitung Nikkei warnt:
"Die Schwäche, die die Kanzlerin im 16. Amtsjahr zeigt, könnte auf Europa überschwappen und Chaos auslösen."
Dabei ist es häufig das Versagen in den Behörden, das Kopfschütteln im Ausland auslöst. Schwächen treten in Deutschland zutage, die zuvor niemand so vermutet hätte. Judy Dempsey vom Thinktank Carnegie Europe sagte im Handelsblatt zur Digitalisierung im Land:
"Das Coronavirus hat Deutschlands Image als effizientes, gut geführtes Land, das mit einer Krise dieser Größenordnung fertig wird, eine Delle verpasst."
Sie spricht offen von "Neandertal-Systemen" bei den Gesundheitsämtern und großen Defiziten in der digitalen Bildung. Für einige der technologischen Rückstände, die sich in der Pandemie in Deutschland offenbart haben, trage die Kanzlerin die Verantwortung. Die deutsche Bürokratie verschlimmere die Notlage.
In Japan oder Südkorea, wo viel effizienter gegen das Virus vorgegangen wurde, wurde zwar weniger geimpft als in Deutschland, doch die Maßnahmen wurden durchgezogen. Hier dagegen werden sie von den Länderchefs und der Kanzlerin zerredet. Griechische und italienische Politiker sind erstaunt, dass die deutsche Impfkampagne so schlecht organisiert ist. Gerade die Organisation und die "Teutonic Efficiency" hatte man an der deutschen Verwaltung bewundert.
Das angeschlagene Image der Bundesrepublik wurde durch die Fehler im Corona-Management erst sichtbar. Die Skandale um die Volkswagen-Dieselaffäre und die Bilanzfälschungen von Wirecard kamen erschwerend hinzu. Im Ausland war es kaum zu vermitteln, das eine staatliche deutsche Behörde zur Aufsicht für das Banken- und Versicherungswesen (Bafin) derart geschlafen und sich mit einigen Mitarbeitern ja noch an der Katastrophe beteiligt hat. Ähnlich ungläubig hat man im Ausland die Affären um zahlreiche Bundestagsabgeordnete der Regierungskoalition im Maskenskandal wahrgenommen.
In Griechenland ist der Name des CSU-Abgeordneten Georg Nüßlein nicht mehr unbekannt. Einst für seine Ordnung und Effizienz hoch geachtet, wenn auch nicht geliebt, gilt Deutschland heute vielen als ein Beispiel dafür, wie man es besser nicht macht. Noch vor Kurzem hatten während der Schuldenkrise Politiker derselben Partei von "Pleitegriechen" gesprochen.
George Pagoulatos, Professor für Europäische Politik und Ökonomie an der Wirtschaftsuniversität Athen und Direktor der Denkfabrik Eliamep, warnt im Handelsblatt:
"Deutschland wird als ein Land wahrgenommen, das seine eigenen wirtschaftlichen Interessen der Solidarität mit anderen EU-Mitgliedsstaaten überordnet."
Der Spanier Rafael Bengoa, Co-Chef des Institutes für Gesundheit und Strategie in Bilbao, sieht in der schwankenden Haltung der Deutschen bezüglich der Corona-Maßnahmen auch etwas Gutes:
"In Europa haben wir versucht, mit dem Virus zu leben, statt ihn auszuradieren, wie das die Länder Asiens oder auch Australien und Neuseeland getan haben. Künftig muss Europa von Asien lernen, wo es deutlich mehr Erfahrung mit Viren gibt, denn die nächste Pandemie kommt bestimmt."
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