Massives Kliniksterben in Deutschland geht auch 2021 weiter – trotz Corona

20 Krankenhäuser mussten im letzten Jahr schließen, aber 34 weitere könnten dieses Jahr noch folgen. Dennoch orientiert sich bundesdeutsche "Corona-Politik" an der Anzahl der Intensivbetten und Pflegekräfte. Ein neues Bündnis geht gegen die Klinik-Schließungen auf die Straße.

Trotz von der WHO ausgerufener Pandemie wurden in Deutschland allein im letzten Jahr 20 Krankenhäuser wegen mangelnder finanzieller Rentabilität geschlossen – 34 weitere könnten 2021 folgen. Dazu kommt: allein zwischen April und Ende Juli 2020 ist die Zahl der Pflegebeschäftigten – nicht zuletzt aufgrund miserabler Arbeitsbedingungen und schlechter Bezahlung – in Deutschland um mehr als 9.000 Personen geschrumpft.

Dennoch wird seit Beginn der "Corona-Krise" die bundesdeutsche "Corona-Politik" an der Anzahl der Intensivbetten und Pflegekräfte ausgerichtet. Wird die Zahl freier Betten kleiner, müssen die "Maßnahmen" verschärft werden. Auch die Bemühungen, neues Pflegepersonal einzustellen oder die Löhne für das noch vorhandene zu erhöhen, halten sich erkennbar in Grenzen:

Für Helfer sollen die Stundenlöhne  zum 1. August 2021 um knapp einen Euro auf 12,40 Euro steigen. Dann sind drei weitere Erhöhungen geplant: Bis zum 1. Juni 2023 um zwei Euro bis zu 14,40 Euro. Für Pflegehelfer mit mindestens einjähriger Ausbildung geht es im gleichen Zeitraum und ebenfalls in mehreren Schritten von rund 12,40 Euro auf 15,25 Euro hoch. Das examinierte Pflegepersonal schließlich soll statt aktuell knapp 15 Euro bis Mitte 2023 18,75 Euro bekommen, wie der Tagespiegel  berichtet. Fest ist das Ganze freilich noch nicht, und es bleibt auch abzuwarten, wie viel von diesen Lohnerhöhungen durch die immer stärker anwachsende Inflation direkt wieder aufgefressen wird. 

Mit Bezug auf die Krankenhäuser in Deutschland teilte der Bundesrechnungshof bereits im letzten Herbst dem Deutschen Bundestag mit:

"40 Prozent der Krankenhäuser verzeichnen Verluste, für über ein Zehntel besteht erhöhte Insolvenzgefahr."

In der Konsequenz wurden im vergangenen Jahr wurden bundesweit 20 Krankenhäuser geschlossen. Laut Bundes- und Landesregierungen sollen die Schließungen angeblich eine "Spezialisierung" ermöglichen – Bündnisse und Bürgerinitiativen sehen dagegen die Versorgung mit stationären Behandlungsmöglichkeiten in der Fläche bedroht.

Das seit Dezember bestehende "Bündnis Klinikrettung" teilt mit, dass Landesregierungen oder Krankenhausträger weitere 34 Kliniken schließen wollen. Das Bündnis wird vom Verein "Gemeingut in BürgerInnenhand" getragen.

Im Januar veranstaltete es eine großangelegte Aktion vor dem Bundesgesundheitsministerium:

Die Mitglieder des Bündnisses übergaben fast 9.000 Unterschriften gegen Klinikschließungen. Die Aktivisten gaben an, dass sich insgesamt 418.000 Menschen bei Unterschriftensammlungen oder Abstimmungen gegen Klinikschließungen ausgesprochen hätten. Parallel wird dort vor Ort agiert, wo weitere Kliniken geschlossen werden sollen. Bundesweit gebe es derzeit 22 Unterschriftensammlungen und zwei Bürgerentscheide, die sich gegen Klinikschließungen wenden. Zuletzt gab es eine "kraftvolle Kundgebung gegen die Schließung des Wenckebach-Klinikums in Berlin".

Die Befürworter eines marktorientierten und neoliberalen Gesundheitswesens rechtfertigen die Schließungen damit, dass "Spezialisierung" eine bessere Versorgung ermögliche – in der Folge sollen kleinere Kliniken geschlossen werden.

Das gelte auch in der Pandemie, behauptet eine "Zwischenbilanz nach der ersten Welle" im vergangenen November – herausgegeben unter anderem von der Bertelsmann-Stiftung, die schon 2019 verkündet hatte, dass jedes zweite Krankenhaus in Deutschland geschlossen werden solle. Die ARD-Sendung plusminus zeigte im Februar dagegen, dass kleinere Kliniken in der Grund- und Regelversorgung mehr als ein Drittel aller COVID-19-Patienten behandelt haben. Beispielsweise ist das Krankenhaus Ingelheim in Rheinland-Pfalz letztes Jahr zur "COVID-Spezialklinik" umgerüstet worden – um dann Ende Dezember trotzdem wie geplant geschlossen zu werden, wie die Zeitung Unsere Zeit  berichtet.

Im Interview mit RT DE  gab Laura Valentukeviciute, Gründungsmitglied des Vereins "Gemeingut in BürgerInnenhand" folgende Antworten auf unsere Fragen:

1. Gab es Reaktionen von Politikern auf ihre Protest-Aktionen vor dem Bundesgesundheitsministerium im Januar dieses Jahres und die Sammlung von 9.000 Unterschriften gegen Klinikschließungen? Wenn ja, welche?

"Der Gesundheitsminister Jens Spahn hat sich bis jetzt nicht gerührt. Sein Pressesprecher und eine Abteilungsleiterin, die unsere Unterschriften entgegengenommen haben, haben zugesichert, dass das Thema sehr wichtig ist, und uns eine Antwort versprochen. Es ist bis jetzt aber nichts gekommen."

2. Welche weiteren Schritte haben Sie geplant, um die Verantwortlichen zu erreichen?

"Wir verfolgen den Wahlkampf in den Bundesländern und haben Wahlprüfsteine an die Parteien geschickt. Die meisten haben geantwortet, und ihre Antworten machen wir öffentlich. Im Vorfeld der Bundestagswahl im Herbst sind die Parteien gerade dabei, ihre Wahlprogramme aufzustellen. Wir versuchen, an dieser Stelle zu intervenieren und zu erreichen, dass die Parteien sich gegen den Abbau der Kliniklandschaft in ihren Programmen positionieren. Dass die PolitikerInnen gerade jetzt auf unsere Anfragen reagieren, zeigte zuletzt die Aktion in Berlin gegen die Schließung des Wenckebach-Krankenhauses. Zu der von der Bürgerinitiative 'Wenckebach muss bleiben' und dem 'Bündnis Klinikrettung' organisierten Kundgebung sind sieben VertreterInnen der Parteien aus dem Wahlkreis Tempelhof-Schöneberg gekommen.
Außerdem findet die Gesundheitsministerkonferenz im Juni 2021 in Bamberg statt. Unser Bündnis will den Bayerischen Gesundheitsminister Herrn Holetschek, der dieses Jahr den GMK-Vorsitz innehat, mit unseren Forderungen konfrontieren. Das Flächenland Bayern hat eine ausgeprägte Struktur der kleinen regionalen Krankenhäuser, und die Menschen dort sind von Schließungen stark betroffen."

3. Wenn das bewusste und lediglich aus Kostengründen herbeigeführte Kliniksterben zur Beeinträchtigung der Gesundheit von Patienten führt und sogar über Leben und Tod entscheiden könnte, sind dann auch juristische Mittel angedacht?

"Wir planen aktuell keine juristischen Mittel."

4. Derzeit (26. März) ist die Zahl der freien Intensivbetten in Deutschland auf 3.284 gesunken. Das sind weniger als zu jedem Zeitpunkt während der zweiten Corona-Infektionswelle. Und das, obwohl die Zahl der an Corona-Erkrankten auf den Intensivstationen aktuell gut 40 Prozent unter dem Spitzenwert von Januar liegt. Sieht man hierin schon die Konsequenzen von geschlossenen Kliniken?

"Der Hintergrund für eine hohe Inanspruchnahme der Intensivstationen mit COVID-PatientInnen bzw. der wenig verbleibenden freien Intensivbetten liegt in der britische Mutante B.1.1.7. In etwa drei von vier Proben wird sie lt. Tagesschau.de mittlerweile gefunden.
Dass die freien Intensivbetten in Deutschland auf nur noch 3.284 gesunken sind, zeigt auf: Die deutschen Krankenhäuser stoßen unweigerlich an ihre Kapazitätsgrenze. Es ist höchst fahrlässig, in dieser Situation weitere Klinikschließungen in Deutschland zuzulassen. Auch das „GRÜNBUCH 2020 – zur Öffentlichen Sicherheit“ im Auftrag des Bundesinnen- und Bundesforschungsministeriums bestätigt, dass die Krankenhauskapazitäten in deutschen Krankenhäusern für Pandemien und unvorhersehbare Katastrophenfälle nicht ausreichen. Wir fordern deshalb, das Kliniksterben umgehend auszusetzen."

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