Armutsbericht: Weniger Einkommen für Geringverdiener und schlechtere Aufstiegschancen

Die Auswirkungen von Lockdown und Corona-Maßnahmen treffen besonders Menschen mit niedrigen Einkommen und Langzeitarbeitslose. Das geht aus dem aktuellen Armutsbericht der Bundesregierung hervor. Der DGB formuliert klar, dafür "muss sich die Bundesregierung schämen".

Weniger Rücklagen, geringere Chancen auf dem Arbeitsmarkt, Probleme beim Homeschooling: Finanzielle Auswirkungen von COVID-19-Pandemie und Lockdown treffen bisher insbesondere viele Menschen mit niedrigen Einkommen und verringern deren Aufstiegschancen. Das geht aus einem Entwurf für den Armuts- und Reichtumsbericht der Bundesregierung hervor, der der Deutschen Presse-Agentur und der Süddeutschen Zeitung vorliegt. Der bislang 500 Seiten umfassende Bericht wird demnächst von Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) vorgestellt werden.

Der Bericht besagt, Ende August 2020 hätten 15,5 Millionen Haushalte in Deutschland Einkommenseinbußen hinnehmen müssen. Gering- und Normalverdiener waren dabei am stärksten betroffen. 30 Prozent der Befragten mit besonders niedrigen Einkommen hatten seit Beginn der Pandemie Probleme, laufende Ausgaben zu decken. Im Bericht liest es sich so, dass die Einkommensrisiken "in den unteren Einkommensbereichen größer" seien, da die Menschen dieses Quintils (des unteren Fünftels) "wenig Rücklagen oder andere finanzielle Spielräume" hätten. Von wachsenden Einkommen profitierten hingegen vor allem diejenigen, die schon zuvor eher gut oder besser verdient haben.

Die Auswirkungen der COVID-19-Pandemie und den getroffenen Corona-Maßnahmen treffen dem Bericht zufolge insbesondere Langzeitarbeitslose. Diese sähen sich verstärkt mit dem Problem eines teilweise verschlossenen Arbeitsmarktes konfrontiert. Während etwa in der öffentlichen Verwaltung die Beschäftigtenzahlen stabil blieben, gab es bei Beschäftigten in der Gastronomie seit April einen Anstieg der Arbeitslosenzahlen um 80 Prozent.

In dem Entwurf wird deutlich, dass die Bildungs- und Aufstiegschancen einkommensschwacher Menschen weiter eingeschränkt wurden. So berichteten insbesondere Eltern mit niedrigen Einkommen von weniger Unterstützung vonseiten der Schulen beim Homeschooling und sorgten sich um die Aufstiegschancen ihrer Kinder. Generell seien die Aufstiegschancen aus "Armut", "Prekarität" und der "Unteren Mitte" seien "seit Beginn der 1990er- bis Anfang der 2000er-Jahre deutlich zurückgegangen, um seitdem auf niedrigem Niveau zu verbleiben".

Die Süddeutsche Zeitung zitiert dazu Werner Hesse, den Geschäftsführer des Paritätischen Gesamtverbands:

"Die sogenannte Mitte schrumpft, soziale Mobilität nimmt ab und soziale Ungleichheit steigt."

Positive Impulse sehen die Verfasser des Berichts durch das Kurzarbeitergeld. Ihnen zufolge profitierten besonders Menschen mit mittleren oder geringen Einkommen von der staatlichen Leistung: "Diese Hilfen haben so die sozialen Härten besonders für die untere Einkommensmitte abgefedert".

Kritik von Sozialverband und Gewerkschaft

Aus Sicht des Sozialverbands VdK gehen die Bemühungen der Bundesregierung nicht weit genug. Verbandspräsidentin Verena Bentele sieht eine "deutliche soziale Schieflage in Deutschland", die durch die COVID-19-Pandemie noch weiter verstärkt werde:

"Geringverdiener, Arbeitslose, Erwerbsminderungsrentner und Menschen mit Behinderungen müssen das wenige Geld, das ihnen zur Verfügung steht, nun auch noch für Schutzmasken, Corona-Selbsttest und Desinfektionsmittel ausgeben. Das darf nicht sein."

Der Sozialverband VdK fordert deshalb einen monatlichen Corona-Zuschlag von 100 Euro für die Empfänger von Grundsicherung. Als Reaktion auf den Bericht fordert Bentele eine "einmalige Vermögensabgabe" für Menschen und Betriebe mit großen Vermögen, um die Kosten der Krise gerecht zu verteilen: "Der Effekt wäre enorm, wir sprechen von zusätzlichen Steuereinnahmen im Milliardenbereich."

Deutliche Kritik äußert auch Anja Piel vom Vorstand des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB):

"Für die Ergebnisse dieses Berichts muss sich die Bundesregierung schämen."

Piel argumentiert, das Papier zeige, dass sich Ungleichheit verfestige und sozialer Aufstieg ein leeres Versprechen bleibe. Die Parteien sollten "jetzt im Wahlkampf sagen, wie sie mit dem Anstieg von Armut und der verfestigten sozialen Ungleichheit umgehen wollen". Es sei Zeit für eine Vermögenssteuer.

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(rt/dpa)