War er zuvor eher selten im Rampenlicht zu sehen, ist der SPD-Gesundheitsexperte Karl Lauterbach nicht mehr aus der nun gut ein Jahr andauernden Debatte um die sogenannten Corona-Maßnahmen wegzudenken. Nun vollzog der Mediziner eine Abkehr von seinem bisherigen Kurs als Verfechter strikter und von Kritikern mitunter als unverhältnismäßig kritisierter Beschränkungen der Freiheitsrechte.
Am Dienstag schrieb Lauterbach auf dem Kurznachrichtendienst Twitter, wie man aufgrund einer "beginnenden 3. Welle" mögliche Lockerungen der Corona-Maßnahmen "mit einer Antigen-Test-Strategie" verbinden solle, sodass "die Neuinfektionen sogar zurückgehen".
In der ARD-Polittalkshow Hart aber Fair wollte Moderator Frank Plasberg dann wissen, welche Erkenntnisse den "Sinneswandel" des Gesundheitsökonomen bewirkt hätten.
"Die Erkenntnis, dass der gesunde Menschenverstand manchmal was anderes will als der Sachverstand?"
"Rein medizinisch" sei sein aktualisierter Standpunkt in der Öffnungsdebatte zu vertreten, erwidert Lauterbach und berichtet dann, warum er nun für Lockerungen eintrete:
"Wenn wir jetzt gar nicht lockern würden, sondern wir blieben im shutdown, wir würden einfach so weitermachen wie jetzt, dann sitzen wir wie das Kaninchen vor der Schlange, weil dann würde ab dem 15. März die Mutation B.1.1.7 ungefähr 80 Prozent der neuen Fälle ausmachen."
"Aus dem Lockdown heraus", argumentiert der SPD-Politiker weiter, würde sich die sogenannte dritte Welle dann ohnehin weiter ausbreiten. "Der Lockdown, den wir derzeit haben, ist zu schwach, um diese Welle mit B.1.1.7 aufzuhalten." Und die daraus resultierenden Konsequenzen sind laut dem SPD-Gesundheitsexperten extrem gefährlich. "Weil B.1.1.7 ist nicht nur ansteckender, sondern führt pro hundert Ansteckungen auch zu mehr Krankenhausaufenthalten, zu schweren Verläufen und zu mehr Todesfällen."
Da aber Lockerungen von der Bevölkerung jetzt nun einmal erwartet würden, gelte es, "aus der Not eine Tugend" zu machen.
"Die einzige Möglichkeit", die mutmaßlich bevorstehende Katastrophe dennoch abzuwenden, sind demzufolge Antigen-Tests. In Schulen und Betrieben sollten zunächst einmal, dann zweimal wöchentlich entsprechende Tests durchgeführt werden. Nur so ließe sich der sogenannte R-Wert bei einer weiteren Ausbreitung der Virusvariante B.1.1.7 "unter eins drücken".
Der R-Wert (Reproduktionszahl) beschreibt, wie viele Menschen eine infizierte Person im Durchschnitt ansteckt.
Problematisch werde es allerdings bei den Menschen, die zwar "infiziert" seien, jedoch keinerlei Symptome aufwiesen – den sogenannten "Symptomlosen". Der Antigen-Test könne diese "Patienten" nur zu 60 Prozent identifizieren.
Daher müsse auf regelmäßige Gruppentests in Schulen und Betrieben gedrängt werden, um sogenannte Infektionscluster ausfindig zu machen, denn nur dann verzeihe "das System" das Übersehen eines mutmaßlich infizierten Symptomlosen.
"Wenn ich da einen Positiven habe, der übersehen wird, dann ist es sehr wahrscheinlich, dass ich auch in der gleichen Klasse einen anderen Positiven habe, und den schnapp ich dann", so der SPD-Politiker.
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