Der Deutsche Presserat verzeichnete 2020 fast doppelt so viele Beschwerden wie im Vorjahr und damit so viele wie noch nie: 4.085 Leser wandten sich an den Presserat, der
"die freiwillige Selbstkontrolle der Presse und für die Einhaltung ethischer Standards und Verantwortung im Journalismus ein sowie für die Wahrung des Ansehens der Presse"
als wichtigste Funktionen seiner Tätigkeit angibt.
Über die Corona-Berichterstattung in den Print- und Onlinemedien beschwerten sich 581 Leser. Die meisten von ihnen hielten den Redaktionen falsche Tatsachenbehauptungen, tendenziöse Berichterstattung und unzureichende Recherche vor. Vier der 321 bereits geprüften Fälle wurden gerügt. Bei der überwiegenden Mehrheit lag aber nach Mitteilung des Presserats kein Verstoß gegen den Pressekodex vor.
Der wohl prominenteste Fall des vergangenen Jahres bezog sich allerdings nicht auf die von der WHO ausgerufene Pandemie, sondern die umstritteneTAZ-Kolumne mit dem Titel "All cops are berufsunfähig" vom 16. Juni. Der vom Presserat als "Satire" bezeichnete Artikel erhielt so viele Beschwerden wie kein anderer in der 64-jährigen Geschichte des Presserats. Dass die Autorin sich als Arbeitsplatz für Polizisten nur die Mülldeponie vorstellen konnte, bewertete der Presserat als "ethisch zulässig". Für ihn war entscheidend, dass es sich dabei um ein "reines Gedankenspiel" handelte, das auf vermeintlich reale Defizite bei der Polizei anspielte.
Einer ethischen Verantwortung seien mehrere Redaktionen nicht nachgekommen, als sie vertrauliche WhatsApp-Nachrichten des einzigen überlebenden Jungen im Fall der mehrfachen Kindstötung in Solingen veröffentlichten. Der Presserat sah in der Berichterstattung einen schweren Verstoß gegen die Vorgabe, dass "über einen seelisch leidenden Menschen nicht in einer über das öffentliche Interesse hinausgehenden Art berichtet" werden soll. So hätten die Redaktionen das Informationsinteresse der Öffentlichkeit gegen die Interessen der Opfer und Betroffenen sorgsamer abwägen müssen.
Auch das immer größere Ineinanderfließen von Meldung und Meinung, nicht zuletzt vor dem Hintergrund von wirtschaftlichen Interessenskonflikten, wurde in "etlichen Fällen besonders häufig" vom Presserat mit seiner "schärfster Sanktion", der öffentlichen Rüge, geahndet. Insgesamt kam das 53-mal vor, das waren 19 mehr als 2019.
Rein rechtlich hat eine Rüge durch den Presserat keine direkten Konsequenzen. Nach dem Statuten des Deutschen Presserechts muss eine Rüge nicht veröffentlicht werden. Jedoch haben alle großen Verlagshäuser den Pressekodex anerkannt, sodass diese laut anwalt.org zumindest moralisch auch zu einer Veröffentlichung verpflichtet sind.
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