In Berlin fordern sämtliche Amtsärzte, die Lockerungen der in der Corona-Gesundheitskrise geltenden Kontaktbeschränkungen nicht mehr an generelle Inzidenzwerte zu knüpfen. In der Stellungnahme der zwölf Amtsärzte, über die der Tagesspiegel berichtete, heißt es: Es sei "nicht zielführend, Eindämmungsmaßnahmen an Inzidenzen von 25/30/50 zu knüpfen".
Stattdessen fordern die Mediziner "intensive Maßnahmen der Infektionsprävention" für Alte und Kranke und eine Abmilderung der Maßnahmen für andere Gruppen wie Schulkinder. In der Zukunft brauche man dazu ein nach Alterskohorte ausgerichtetes Frühwarnsystem. Das Schreiben wurde am Wochenende als Stellungnahme an den Senat geschickt, der in Vorbereitung auf die Ministerpräsidentenkonferenz am 3. März an Öffnungsszenarien arbeitet. Die Amtsärzte schreiben darin:
"Diese Inzidenzen bilden nicht das wirkliche Infektionsgeschehen ab."
Diese seien auch von den Testkapazitäten und dem Testwillen der Betroffenen abhängig. Dadurch komme es zu Schwankungen, die nicht die infektiologische Lage widerspiegeln. Die Amtsärzte erläutern in ihrem Schreiben weiterhin, dass es ein gewaltiger Unterschied sei, ob bei einer Sieben-Tage-Inzidenz von 50 alle positiv auf SARS-CoV-2 getesteten Personen auf symptomfreie Kinder zurückzuführen oder ob vor allem Personen aus der Risikogruppe betroffen seien. Demzufolge müsse man auch die politischen Maßnahmen entsprechend anpassen.
Es sei zudem ein Unterschied, ob die Inzidenzen durch Clusterausbrüche oder eine breite Durchseuchung zustande kämen und auch, welche Altersklasse betroffen sei. Auch die sogenannte No-COVID-Strategie, die von einigen Wissenschaftlern proklamiert wird, kritisieren die Ärzte scharf, denn diese gehe "an der Lebenswirklichkeit vorbei". Andere Fragen der öffentlichen Gesundheit würden bei dieser Strategie völlig außer Acht gelassen.
Berlins Regierender Bürgermeister Michael Müller (SPD) kündigte in einem Interview mit den Stuttgarter Nachrichten bereits an, in Zukunft mehrere Faktoren zur Beurteilung der Corona-Lage einzubeziehen. Auch der R-Wert und die intensivmedizinische Auslastung sollen bei der Beurteilung der Lage eine Rolle spielen. Für die Ministerpräsidentenkonferenz wolle man sich jedoch an den Inzidenzwerten von 35 und 50 orientieren. Allerdings stellte Müller auch klar, dass der Stufenplan "keine Einbahnstraße in Richtung Lockerungen" sei:
"Wir werden notfalls auch wieder Einschränkungen beschließen müssen, wenn die Zahlen wie in anderen europäischen Ländern wieder stark steigen."
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