Dr. Wolfgang Blank, Präsident der geschäftsführenden IHK Neubrandenburg der IHKs in Mecklenburg-Vorpommern, schlägt Alarm: "Wir haben bisher alle getroffenen politischen Maßnahmen zur Pandemiebekämpfung mitgetragen und zugesagte Hilfen leider auf sich warten lassen. Aber die Belastungsgrenze ist jetzt erreicht." Gedankenspiele, wie die Wirtschaft weiter eingeschränkt werden könnte, seien kontraproduktiv.
Ähnlich sieht es kurz vor dem Wirtschaftsgipfel auch Reinhold von Eben-Worlée, der Sprecher der deutschen Familienunternehmen, und fordert eine Stufenöffnung. Er warnt vor einer zunehmenden Unruhe in seinen Betrieben und vor einem sich in Beliebigkeit erschöpfenden Wirtschaftsgipfel. Vielen Familienunternehmen stehe das Wasser bis zum Hals. Zudem herrsche großer Unmut über die Wirtschaftshilfen. Diesen seien zunächst fast großspurig Hilfen zugesagt worden. Dann seien sie in sehr zähen Verhandlungen zwischen Wirtschafts- und Finanzministerium verkompliziert worden. Die Antragsbedingungen passten nicht mehr zu dem anfänglichen Versprechen‚ unbürokratisch und großzügig zu helfen.
Die ostdeutschen Kammern stellen darüber hinaus nun fest: "Unsere heimischen Unternehmen sind keine Infektionsherde." Die Hygieneschutzmaßnahmen seien Bestandteil des betrieblichen Arbeitsschutzes; sie seien nicht Gegenstand individueller Auslegung, sondern werden konsequent umgesetzt und kontrolliert. Pandemisch kritische Situationen im Arbeitsprozess würden analysiert und die Abläufe entsprechend angepasst. Wer verschärfte Maßnahmen in der Wirtschaft fordere, müsse definieren: Wer oder was ist die Wirtschaft?
"Die Wirtschaft" sollte nicht gegen "die Gesundheit" ausgespielt werden. Existenzielle Bedeutung habe, dass "die Wirtschaft" in der Lage bleiben muss, die notwendigen Steuern, Abgaben und Beiträge für einen funktionierenden Staat und unser Gemeinwesen zu erwirtschaften. Das Ziel sei es, die Menschen pandemiegeschützt in Lohn und Brot zu halten. Die IHK-Vertreter wollten sich am kommenden Donnerstag mit Ministerpräsidentin Manuela Schwesig (SPD) über Alternativlösungen zum Lockdown unterhalten.
Auch die Familienunternehmen kritisierten die derzeitigen Regelungen, sie seien eher "unsystematisch und willkürliche Einzelfallentscheidungen".
Eine enge Kommunikation sei in einer Wirtschaftskrise enorm wichtig. Denn viele politische Entscheidungen haben in der Vergangenheit den Praxistest nicht bestanden. Bei den Wirtschaftshilfen kritisiert der Familienunternehmer-Sprecher: "75 Prozent des Umsatzes wurden zugesagt. Von der Ankündigung bis zur Möglichkeit, überhaupt einen Antrag stellen zu können, hat es über zwei Monate gedauert. Für jemanden in einer Notsituation eine entsetzlich lange Zeit."
Von Eben-Worlée bezweifelt, dass man angesichts der schnellen Mutationen und der langatmigen Impfstrategie das Virus völlig ausmerzen werde: "Wir müssen lernen, damit zu leben. Städte wie Tübingen oder Rostock zeigen ja, dass das durchaus möglich ist. Fast alle werden Verständnis haben, dass nicht alle geschlossenen Betriebe gleichzeitig aufmachen können", sagte er dem Handelsblatt. Dafür brauche es verschiedene Stufen, für die klare Kriterien definiert sein müssten, so ähnlich, wie es jetzt ja für den Einzelhandel vorgesehen sei, wenn eine Inzidenz von 35 unterschritten werde. Dazu könnten dann Auflagen kommen, dass bei bestimmten Inzidenzwerten immer mehr Kunden in die Geschäfte oder Restaurants dürften. Die Wirtschaft sei auf einen solchen regelbasierten Stufenplan geradezu angewiesen.
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