Schon wenige Tage nach dem Beschluss, den Corona-Lockdown zu lockern, drängt die Bundeskanzlerin Angela Merkel auf große Vorsicht bei den Öffnungsschritten. Andernfalls sieht sie Deutschland in eine große dritte Corona-Welle schlittern. Als Grund nannte sie die Ausbreitung neuer Virusvarianten.
Wegen der Verbreitung von Mutationen des Coronavirus in mehreren angrenzenden Staaten verschärfte Deutschland bereits die Regeln für die Einreise und ordnete teils stationäre Grenzkontrollen an. Ab Sonntag dürfen keine Reisenden aus Tschechien, Tirol in Österreich und der Slowakei mehr nach Deutschland befördert werden.
In einem ZDF-Interview am Freitagabend sagte Kanzlerin Merkel:
"Es hängt jetzt von uns und klugen Öffnungsschritten ab, ob wir ohne eine groß ausgeprägte dritte Welle durch die Pandemie kommen – oder ob wir zu unvorsichtig sind und dann doch vielleicht wieder steigende Fallzahlen haben."
Die von den Ländern geplanten Öffnungen von Schulen und Kitas seien "ein gewagter Schritt". Sie sehe die große Bedeutung dieser Bereiche aber auch ein. Wenn zum 1. März dann auch Friseure wieder öffnen könnten, sei dies schon "ein Mehr an Kontakten, das man beobachten muss".
Geplant ist, dass in Deutschland der Einzelhandel wieder in den Regionen öffnet, in denen der Wert von 35 in von Laboren bestätigten Corona-Testbefunden pro 100.000 Einwohner in sieben Tagen erreicht wurde. Zuvor galt monatelang ein Inzidenzwert von 50 pro 100.000 Einwohner als Zielsetzung, bei welchem eine Lockerung der verhängten Maßnahmen in Aussicht gestellt wurde. Keine Öffnungstermine gibt es bisher noch für Schulen in höheren Jahrgängen, Berufsschulen und Unis, Kinos, Theater, für den Gruppensport sowie für Restaurants, Gaststätten und Hotels.
Nun äußerte sich auch Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer zum Thema und machte deutlich, dass er für den Osterurlaub in Deutschland keine Chance sieht. In der Bild am Sonntag erteilte er auch den Restaurantbesuchen eine klare Absage. So sagte der CDU-Politiker:
"Ich bin dafür, Wahrheiten auszusprechen. Osterurlaub in Deutschland kann es dieses Jahr leider nicht geben."
Zu große Mobilität etwa durch Reiseverkehr und Tourismus bereits im April sei Gift. "Wir würden alles zerstören, was wir seit Mitte Dezember erreicht haben", ergänzte der sächsische Ministerpräsident.
Eine verfrühte "Rückkehr zur Normalität wie im Herbst" führe zu einer "Explosion der Infektionszahlen wie im November und Dezember. Die Folge wäre ein harter Lockdown im Frühjahr. Das müssen wir unbedingt vermeiden". Mit Blick auf Sachsen kündigte der 45-Jährige an, dass Gaststätten und Hotels über die Feiertage "geschlossen sein müssen". Auch Opernhäuser und Theater könnten frühestens erst nach Ostern wieder ihren Betrieb aufnehmen. Die Feiertage fallen in diesem Jahr in den Anfang des Monats April.
Kretschmer fügte hinzu:
"Lockerungen müssten vorsichtig und Schritt für Schritt erfolgen."
Gegenüber dem Blatt verteidigte der sächsische Ministerpräsident die Grenzschließungen zu Tschechien, selbst wenn diese zu kilometerlangen Staus führen sollten:
"Für einen wirksamen Schutz müssen wir auch Unannehmlichkeiten in Kauf nehmen."
Bereits in einem Interview am Samstag mit der Süddeutschen Zeitung (SZ) hatte der CDU-Politiker das Vorgehen der Politik im Dezember und den Entschluss, den Lockdown zu verhängen, verteidigt. So sagte Kretschmer:
"Die Frage, wie gehen wir mit dem Wert des Lebens um, die stellt sich immer wieder. Wenn ich höre, wie andere sagen: Na, dann sind sie halt gestorben, die Alten und Dementen, die im Pflegeheim liegen, dann wühlt mich das auf. Ich finde nicht, dass man das so hinnehmen kann."
Was er in Kliniken und Pflegeheimen gesehen hätte, habe ihn sehr bewegt. Mitte Januar hatte der 45-Jährige unter anderem die COVID-19-Intensivstation im Städtischen Klinikum Dresden besucht. Die Entscheidung für den Lockdown im Dezember habe laut Kretschmer "auf der Situation hier im Freistaat Sachsen" beruht. Der CDU-Politiker erklärte im SZ-Interview auch, dass "nur durch Unterstützung der Bundeswehr die medizinische Versorgung und die Nachverfolgung durch die Gesundheitsämter überhaupt aufrechterhalten werden" konnte.
Auf die Frage, ob sein Parteikollege und zugleich Ostbeauftragte Marco Wanderwitz recht habe, wenn er sage, dass dort, wo die AfD stark sei, auch die Infektionszahlen besonders hoch seien, erwiderte Kretschmer:
"Es ist ganz klar: Diejenigen, die Corona als Fake bezeichnen, werden sich nicht an die Maßnahmen halten – und die AfD nutzt jede Gelegenheit dazu. Es ist jedoch nicht der einzige Grund: Gründe sind auch der höhere Altersdurchschnitt der Bevölkerung, und es hat etwas mit dem Sommer zu tun, den die Menschen als unproblematisch erlebt haben."
Zugleich beschwerte sich der CDU-Politiker in dem Interview darüber, dass er in sozialen Netzwerken mit dem Tod bedroht werde. "Mir haben Menschen geschrieben, dass in Telegram-Gruppen gesprochen wurde, ob man mein Haus anzündet und ob man mich am Mast davor aufhängt", sagte Kretschmer. Er wisse, dass im Netz und in Chatgruppen viel Hass geschürt werde, "auch gegen mich, und da bin ich über Rückmeldungen sehr dankbar".
Kretschmer meinte, dass in dieser angespannten Situation Politiker als "Blitzableiter" herhalten müssten. "Wir leben in einer Zeit, die keine Zwischentöne mehr kennt. Bei allen liegen die Nerven blank", sagte er. "Wir wehren uns alle gegen etwas, aber da ist nur das unsichtbare Virus, das kann man nicht greifen."
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