In den USA steht bei der neuen Regierung ein Abzug der US-Truppen aus Afghanistan zur Debatte. Die anderen ausländischen Truppen stünden ohne die Vereinigten Staaten allerdings auf verlorenem Posten. Im Verteidigungsministerium wächst derweil die Sorge um die Sicherheit des in Afghanistan eingesetzten Bundeswehr-Kontingents. "Eine Verlängerung der Präsenz der NATO über den April hinaus kann zu einer höheren Gefährdung unserer Soldaten führen", sagte ein Sprecher des Bundesverteidigungsministeriums am Freitag der FAZ. Hintergrund der Einschätzung ist offenbar die Zusage der Vereinigten Staaten an die Taliban, ihre Truppen bis zum 30. April vom Hindukusch abzuziehen.
Die Taliban sowie ausländische Truppen warten zurzeit auf eine Entscheidung der USA. Die neue Regierung von Präsident Joe Biden in Washington soll erklären, ob die US-Truppen über den 30. April hinaus am Hindukusch bleiben werden oder nicht. Der Einsatz der Bundeswehr am Hindukusch ist derzeit bis zum 30. März befristet. Laut Informationen der FAZ plant die Bundeswehr bislang noch nicht, zusätzliche Kampftruppen oder schweres Gerät nach Masar-e Scharif zu verlegen.
Internationale Truppen sollen über die im US-Abkommen mit den Taliban vorgesehene Mai-Frist hinaus in Afghanistan bleiben, berichtete unlängst Reuters unter Berufung auf vier hochrangige NATO-Beamte. "Bis Ende April wird es keinen vollständigen Rückzug der Verbündeten geben", sagte einer der NATO-Funktionäre Reuters. Die Bedingungen seien nicht erfüllt worden, und mit der neuen US-Regierung werde es womöglich Kursänderungen geben, wobei man mit einer weithin erwarteten "Ausstiegsstrategie" rechne.
Die Taliban drohten bereits mit einem "kompromisslosen Krieg", sollten sich die ausländischen Truppen gegen ihren Willen nach Ende April noch im Land befinden. Die Islamisten berufen sich dabei auf das Abkommen mit den USA von Ende Februar 2020.
Da die westlichen Verbündeten ohne die Amerikaner im Grunde nicht in der Lage wären, den Einsatz vor Ort aufrechtzuerhalten, schließt der Abzug sie schon aus militärischen Gründen zwingend mit ein.
In seiner ersten Rede zur Außenpolitik in der vergangenen Woche erwähnte Biden Afghanistan zwar nicht, aber es ist bekannt, dass der lange Krieg dort die Aufmerksamkeit des neuen US-Präsidenten und seines neuen Teams erfordern wird. Arab News kommentierte, es gebe Anzeichen dafür, dass die neue US-Regierung sich darauf einigen könnte, die Frist für den endgültigen Rückzug zu verlängern. Die US-Strategie unter der Biden-Regierung, der zufolge "Amerika zurück" auf der internationalen Bühne sei, bringe die NATO-Verbündeten in Afghanistan nicht in eine "unhaltbare Lage". Die US-Regierung werde womöglich erst nach einer Absprache mit den NATO-Verbündeten handeln.
Die USA reduzierten ihre Truppen in Afghanistan im vergangenen Jahr auf 2.500. Die Verteidigungsminister der NATO-Staaten werden kommende Woche darüber diskutieren, ob sie die verbliebenen 10.000 Soldaten der Unterstützungsmission für die afghanischen Sicherheitskräfte wie geplant bis Mai abziehen.
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