von Anne Udema
Heute schon gegessen, angekleidet, eingekauft, Pflastersteine betreten oder telefoniert? Beinahe in jedem Bereich unseres Alltags sind wir durch die Globalisierung und die internationalen Wertschöpfungsketten mit Menschen ferner Erdteile verbunden. Im globalen Wettbewerb versuchen sich Unternehmen, Vorteile zu verschaffen, nicht selten auf Kosten von Mensch und Natur. Dem soll ein Lieferkettengesetz für deutsche Unternehmen und deren Partner im Ausland Einhalt gebieten, doch es bleibt heftig umstritten.
Millionen Menschen weltweit werden als Billigarbeiter ausgebeutet
Verfolgung von Gewerkschaftern, Mord an streikenden Arbeitern, Kontamination von Trinkwasser und Böden, Tote und Verletzte durch mangelnden Arbeitsschutz, Hungerlöhne und Kinderarbeit, Landraub und Vertreibung oder Ansiedlung stark gesundheitsgefährdender Werke – die Liste der Vergehen, die in ärmeren Ländern begangen werden, ist lang.
Nur wenige große Industrienationen sind so intensiv in internationale Lieferketten eingebunden wie Deutschland. Die Umsätze für deutsche Unternehmen durch Import und Export sind massiv. Dass die Unternehmensprofite in Ländern mit geringeren Umweltschutz- und Menschenrechtsstandards mitunter desaströse Folgen für die lokale Bevölkerung haben können, ist bekannt. Doch schaffen solche Szenarien es nur manchmal in unsere Schlagzeilen, wie Rana Plaza.
Dabei sind nicht nur Billigkleidungsanbieter wie KiK, sondern auch Namen wie Adidas, Aldi, Bayer, Lidl, Puma, Rewe, Siemens, ThyssenKrupp und viele andere, welche unter anderem kirchliche Organisationen wie Miseror oder Brot für die Welt, lokale Menschenrechtsschützer und Organisationen wie Oxfam mit einer Vielzahl von Problemen in Verbindung gebracht haben.
Und wenn massive Ausbeutung die Lebensgrundlage in fernen Gefilden bedroht, kann dies dazu führen, dass die Menschen nach lebenswerteren Umgebungen suchen – meist innerhalb der eigenen Region, doch einige streben nach Europa.
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Lange wurde an freiwilligen Vorgaben festgehalten, nicht zuletzt mit dem Argument, dass deutsche Unternehmen Wettbewerbsnachteile gegenüber internationalen Konkurrenten erleiden und die Preise für Konsumenten hierzulande ansteigen würden. Dass die freiwilligen Vorgaben im Eifer des Alltags von einem Großteil der Wirtschaft ignoriert werden, hat sich über Jahre auch in einem gezielten Monitoring gezeigt. Zwei Erhebungen zeigten, dass weniger als oder knapp ein Fünftel der Unternehmen Vorgaben der Bundesregierung aus dem Nationalen Aktionsplan für Wirtschaft und Menschenrechte (NAP) erfüllt.
Dabei hatte die Wirtschaftslobby mithilfe von Kanzlerin Merkel (CDU) und Wirtschaftsminister Altmaier (CDU) die Anforderungen und Methodik des Monitorings im Vorfeld sogar verwässert, um ein gutes Abschneiden der Unternehmen zu ermöglichen und dadurch ein Lieferkettengesetz zu verhindern. Somit sollte ein fester Rahmen folgen. Mit einem Lieferkettengesetz sollen deutsche Unternehmen verpflichtet werden, auch im Ausland soziale und ökologische Mindeststandards einzuhalten.
Nach den gescheiterten Ansätzen der Freiwilligkeit sollte damit mehr Wettbewerbsgleichheit unter deutschen Unternehmen geschaffen werden, statt Vorreiter zu benachteiligen, während längerfristig auch auf EU-Ebene und darüber hinaus klare und vor allem verbindliche Rahmenbedingungen vorangebracht werden sollen. Internationale NGOs wie Oxfam und andere Befürworter orientieren sich an bereits bestehenden Vorgaben, wie die Konventionen der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO), die UN-Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte, OECD-Leitsätze und die UN-Kinderrechtskonvention aus dem Jahr 1989, die Kinder vor Ausbeutung schützen soll. Mehrere Länder, darunter Frankreich, Großbritannien, die USA und die Niederlande, setzen bereits auf eine gesetzliche Regelung der Verantwortung in Lieferketten.
Laut einer repräsentativen Umfrage von Infratest dimap vom September 2020 sprechen sich in Deutschland drei Viertel der Bevölkerung für ein Lieferkettengesetz aus, auch mehr als 60 Unternehmen sind für verbindliche Regelungen. Im Herbst forderten über 200.000 Bürger in einer Petition ein Sorgfaltspflichtengesetz für Deutschland.
Während Bundesentwicklungsminister Gerd Müller (CSU) und Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) eine gesetzliche Regelung ebenfalls befürworten, hielt Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) lange dagegen.
Das für diese Legislaturperiode im Koalitionsvertrag angekündigte Lieferkettengesetz ist weiterhin nicht beschlossen worden, doch soll es nun Fortschritte gegeben haben. Am Freitag traf sich Kanzlerin Angela Merkel (CDU) dazu mit Fachministern. Vizekanzler Olaf Scholz (SPD), Entwicklungsminister Gerd Müller (CSU), Arbeitsminister Hubertus Heil (SPD) und Wirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) nahmen an dem Treffen teil.
Heil sagte im Vorfeld, sein Ziel sei es, dass es zügig zu einem Lieferkettengesetz kommt. Die Vorschläge lägen auf dem Tisch. "Es ist ja allgemein bekannt, wer einen Erfolg will und wer auf der Bremse steht. Aber ich setze darauf, dass wir das hinkriegen miteinander." Es gehe um menschenrechtliche Sorgfaltspflichten zum Beispiel im Kampf gegen Kinderarbeit. Die Verantwortung deutscher Unternehmen in globalen Lieferketten solle gestärkt werden. "Ich bin zuversichtlich, dass das bei gutem Willen auch zügig gelingt."
Regierungssprecher Steffen Seibert betonte am Freitag jedoch die Schwierigkeit des Themas: "Sie wissen, dass wir das Thema Menschenrechte in der Bundesregierung sehr ernst nehmen." Doch gehe es auch darum, wofür Firmen in Haftung genommen werden könnten. "Das ist ein für uns alle wichtiges, wenn auch schwieriges Projekt", so Seibert am Nachmittag.
Zum genauen Verhandlungsstand machte Seibert zunächst keine Angaben. Ein Sprecher von Arbeitsminister Heil sagte, dass es in wichtigen Sachfragen eine Annäherung gegeben habe, aber noch keinen Abschluss. Auch ein Sprecher von Entwicklungsminister Müller hat Medienberichten zufolge von Fortschritten gesprochen, alle Beteiligten arbeiten demnach an einer Finalisierung in den kommenden Tagen. Laut Medienberichten soll der hauptsächliche Knackpunkt – die Haftung deutscher Unternehmen für Geschäftspartner im Ausland – mittlerweile vom Tisch sein. Offen bleibt demnach weiterhin, inwieweit Unternehmen für Lieferanten haften.
Wirtschaftsverbände hatten sich stark gegen Haftungsrisiken gestellt, wonach deutsche Unternehmen auch bei ausländischen Lieferanten die Einhaltung von Mindeststandards garantieren sollen. Eine zivilrechtliche Haftung von Unternehmen für unabhängige Geschäftspartner im Ausland, die dort eigenen gesetzlichen Regelungen unterliegen, sei realitätsfern, so die Verbände. Das BMZ verweist darauf, dass niemandem Gefängnis drohe, sondern lediglich mit Bußgeldern zu rechnen sei. Unternehmen befürchten zudem, mit ausländischen Regierungen in Konflikt zu geraten.
Gesamtmetallgeschäftsführer Oliver Zander betonte am Freitag, dass Firmen bereits hohe Standards einhalten würden und nur für direkte Zulieferer und Vertragspartner verantwortlich sein können. Eine lückenlose Überwachung der Lieferkette sei nicht möglich. Dem hält das Bündnis "Initiative Lieferkettengesetz" entgegen, dass derartige Beschränkungen das Gesetz hinfällig machten, da beispielsweise Kinderarbeit gar nicht verhindert würde.
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