Da im Kanzleramt mittlerweile Angst vor dem neuen, mutmaßlich ansteckenderen Stamm von SARS-COV-2 vorherrscht, nimmt auch die Debatte um eine Verschärfung des Lockdowns – inklusive der Pflicht zum Homeoffice und Einschränkungen des öffentlichen Personennahverkehrs – an Fahrt auf.
Zuletzt mehrten sich die Stimmen, die Arbeit im Homeoffice verpflichtend zu machen: Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier appellierte an die Unternehmen, das Arbeiten von zu Hause aus zu ermöglichen. Der in Sachen Corona omnipräsente SPD-Politiker Karl Lauterbach forderte, dass Homeoffice dort, wo es möglich sei, verpflichtend zu machen, denn der bisherige Lockdown sei "noch nicht so erfolgreich, wie er sein müsste". Der Funke Mediengruppe erklärte er, dass man "sonst irgendwann gezwungen sein könnte, die Betriebe zu schließen. Möglicherweise müssten wir sogar an die Industrieproduktion heran".
Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer wandte jedoch ein, dass Deutschland eine starke Wirtschaft brauche, die die Kosten der Corona-Krise tragen könne. Sonst wäre durch den Lockdown "nicht nur das Virus tot":
"Wenn sich in Deutschland niemand mehr bewegt, ist zwar das Virus tot – aber die deutsche und europäische Volkswirtschaft, und mit ihnen viele Unternehmen auch."
Auch der Verband der chemischen Industrie (VCI) und der Bundesarbeitgeberverband Chemie (BAVC) warnte vor einem kompletten Shutdown und Betriebsschließungen. In einer gemeinsamen Erklärung heißt es, dass dies kontraproduktiv wäre, da die chemisch-pharmazeutische Industrie zentrale Beiträge zur Eindämmung der Corona-Krise leiste – etwa bei der Impfstoffproduktion, bei der Herstellung von Medikamenten und Medizin- sowie Laborgeräten.
Ein kompletter Lockdown würde den Kampf gegen die Corona-Gesundheitskrise also erheblich schwächen. Impfstoffe und Desinfektionsmittel ließen sich nicht im Homeoffice herstellen. Auch aus ökonomischer Sicht sei dies verantwortungslos, denn ohne die Lieferungen der chemischen Industrie stünden 30 Prozent der gesamten Volkswirtschaft still.
Laut Regierungssprecher Steffen Seibert soll die Arbeit im Homeoffice nicht zur Pflicht werden. In den Plänen der Bundesregierung stehen derzeit "keine zwingenden Regelungen an der Tagesordnung". Homeoffice sei zudem "nicht für jeden Beruf geeignet".
Allerdings erwägt das Kanzleramt wohl auch härtere Einschränkungen der Bewegungsfreiheit und des öffentlichen Personennahverkehrs. Laut Tagesspiegel planen das Bundeskanzleramt und mehrere Ministerpräsidenten, die Passagierzahl im öffentlichen Verkehr deutlich zu reduzieren.
Eine komplette Einstellung des öffentlichen Personennahverkehrs, von dem die Bild zuvor berichtet hatte, wies Bundeskanzlerin Angela Merkel nach Angaben des CDU-Präsidiums jedoch zurück. Allerdings sollen die Passagierzahlen in den öffentlichen Verkehrsmitteln deutlich reduziert werden. Auch Kretschmer sagte dem ZDF:
"Der ÖPNV, da dürfen nicht so viele Leute mitfahren. Das ist aus meiner Sicht jetzt das Gebot der Stunde."
Dabei wäre eine Entzerrung der Passagierzahl im öffentlichen Verkehr dann auch eine Art Verpflichtung zum Homeoffice durch die Hintertür, denn wenn Busse, U- und S-Bahnen nur noch eingeschränkt fahren, müssten Arbeitgeber verstärkt Homeoffice-Möglichkeiten anbieten. Fraglich ist auch, wie dann etwa Pflegekräfte, Ärzte und andere Personen in sogenannten systemrelevanten Berufen rechtzeitig zu ihrer Arbeit kommen sollen, wenn der öffentliche Nahverkehr eingeschränkt werden soll.
Ein weiterer Punkt, der in der Diskussion gerne übersehen wird: Für Eltern mit Kindern ist die Arbeit im Homeoffice belastend – und da die Schulen vermutlich geschlossen bleiben, in vielen Fällen so gut wie unmöglich. Der Psychotherapeut Uwe Brandes aus Hannover erklärte dazu:
"Es ist eine Illusion, zu glauben, dass Eltern mit kleinen Kindern im Homeoffice arbeiten können. Kinder in diesem Alter können weder Zeiträume abschätzen noch ihre Bedürfnisse hinten anstellen und sich eine längere Zeit mit sich selbst beschäftigen."
Aber auch für die Kinder ist das permanente Zu-Hause-Sein bedrückend und in ihrer Entwicklung schädlich. Thomas Fischbach, Präsident des Berufsverbands der Kinder- und Jugendärzte, sagte:
"Durch das Kontaktverbot und das Eingesperrtsein drohen psychosoziale Schäden. Die Bedürfnisse von Kindern werden bisher überhaupt nicht berücksichtigt."
Wie die Regelungen zu einem möglichen "Mega-Lockdown" dann genau aussehen werden, wird am kommenden Dienstag in der Videokonferenz zwischen Bund und Ländern entschieden.
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