Kanzleramt in Aufregung wegen Corona-Mutation: Es droht der "Mega-Lockdown"

Auch aufgrund der in Großbritannien entdeckten Corona-Mutation ziehen Kanzleramt und Länder ihre Beratungen über das weitere Vorgehen in der Corona-Krise vor. Es drohen schärfere Corona-Beschränkungen. Gesundheitsexperte Lauterbach plädiert für die Schließung "vieler Betriebe".

Am 21. Dezember berichteten britische Wissenschaftler in einer Studie, dass ein neuer infektiöser Stamm des SARS-CoV-2-Erregers nachgewiesen worden sei. Die Variante mit der Bezeichnung B.1.1.7 breite sich im Südosten Englands rasch aus und sei wohl um bis zu 70 Prozent ansteckender als die bisher bekannte Virusform. Es seien jedoch weitere Untersuchungen nötig, um konkrete Schlussfolgerungen zu ziehen. Seither sorgt auch hierzulande diese "Corona-Mutation" für weitere diffuse Ängste.

Auch der Leiter der Virologie an der Berliner Charité, Christian Drosten, meldete sich erneut Anfang Januar zu Wort, um seine Einschätzung über die Gefährlichkeit der Virus-Variante der Öffentlichkeit mitzuteilen. Er gehe davon aus, "dass wir, sagen wir, vielleicht bis Ostern oder Mai ganz klare experimentelle Evidenz haben, ob jetzt dieses Virus übertragbarer und gefährlicher ist oder nicht. Aber das wird dauern", sagte Drosten. Man müsse das jedoch "wirklich ernst nehmen", so der Virologe weiter.

Auf eine solche "klare experimentelle Evidenz" will man in Berlin jedoch offensichtlich nicht mehr warten. In den Fluren des Berliner Bundeskanzleramts herrscht Angst, die Angst des Getriebenen vor dem Unbekannten. In der Folge hat nun die Diskussion über zeitnahe, noch weitere Verschärfungen des Lockdowns gewaltig an Fahrt aufgenommen.

Schon am kommenden Dienstag – und nicht erst wie geplant am 25. Januar – will sich nun Bundeskanzlerin Angela Merkel mit den Ministerpräsidenten der Bundesländer über das weitere Vorgehen in der COVID-19-Pandemie beraten. Bereits im Vorfeld rechnete auch Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer mit Beratungen in der kommenden Woche. In der öffentlich-rechtlichen Talkshow Maybrit Illner erklärte der CDU-Politiker am Donnerstagabend:

"Kindergärten komplett runterfahren, Schulen abschließen, wirklich Betretungsverbote in den Pflegeheimen, wenn kein negativer Schnelltest vorliegt – solche Dinge müssen wir besprechen."

Wie die Bild erfahren haben will, reiche das der Kanzlerin jedoch nicht aus. Beim vergangenen Spitzentreffen zwischen Bund und Ländern am 5. Januar hätte sie noch keine Kenntnis über die neue Corona-Mutation gehabt. Nun habe sich die Situation jedoch "verändert".

"Man solle den öffentlichen Nahverkehr einschränken, sagte Merkel dann auch in der CDU-Präsidiumssitzung. Eine vollständige Schließung des ÖPNV komme laut Merkel allerdings nicht in Frage", so fasst es die Bild zusammen.

Laut dem Reaktionsnetzwerk Deutschland dränge das Kanzleramt dennoch "massiv darauf, wegen des mutierten Coronavirus auch in Deutschland den Kurs weiter zu verschärfen".

Kanzleramtschef Helge Braun wird mit den Worten zitiert, dass man zwar "keine Beweise, aber Indizien" für die Gefährlichkeit der britischen Corona-Variante besitze. Bereits am 7. Januar warnte Braun vor einem völligen Kontrollverlust durch die "Ausbreitung der Virusmutationen, wie sie in Großbritannien oder Irland registriert werden".

Man sei nun in einem Wettlauf mit der Zeit und könne daher nicht mit einem neuen Gipfeltreffen zwischen Bund und Ländern bis zum 25. Januar warten, gab Merkel laut der dpa zu Protokoll.

Derweil forderte FDP-Chef Lindner auf dem Kurznachrichtendienst Twitter, die Öffentlichkeit über die Faktengrundlage für mutmaßliche weitere Freiheitsbeschränkungen aufzuklären:

"Hinter verschlossenen Türen bereitet die Bundeskanzlerin einen Mega-Lockdown vor. Wir erwarten jetzt Informationen für die Öffentlichkeit. Auf welcher Faktengrundlage erwägt das Kanzleramt die Freiheitseinschränkungen, und gäbe es auch Alternativen?"

Parallel dazu erreichte die britische Bevölkerung eine neue Hiobsbotschaft. So berichtet die britische Daily Mail, dass das Königreich mit "noch mehr super-infektiösen Coronavirus-Varianten konfrontiert werden" könne. Der Grund sei, dass der Anstieg von Corona-Infektionen auf der ganzen Welt die Chancen erhöhe, dass der Erreger mutiert, um das Immunsystem und Impfstoffe zu bezwingen.

Auch die britische Boulevard-Zeitung verweist auf den Umstand, dass es bisher keine Beweise dafür gebe, dass die nunmehr wie Pilze aus dem Boden schießenden Mutationen tödlicher seien. Die Logik lautete dennoch, dass ihnen aber mehr Menschen zum Opfer fallen würden, "weil sie mehr Leute infizieren werden".

Währenddessen warnte der Ministerpräsident Niedersachsens Stephan Weil "vor allzu düsteren Szenarien". Gegenüber der Hannoverschen Allgemeinen Zeitung riet er davon ab, jetzt einen Lockdown bis Ostern zur Diskussion zu stellen:

"So weit möchte ich nicht gehen. Gelingt es uns, schnell und nachhaltig unter den Inzidenzwert von 50 Infektionen pro 100.000 Einwohner und Woche zu kommen, müssen wir nicht den Frühlingsanfang abwarten, um darüber zu reden, wie wir wieder mehr Normalität schaffen."

Laut CDU-Generalsekretär Paul Ziemiak wiederum gebe es keinerlei Planungen zur Einstellung des öffentlichen Nahverkehrs.

"Es gab ja Meldungen, die Politik will den öffentlichen Personennahverkehr komplett einstellen. Sowas ist natürlich nicht richtig. Das hat auch niemand vorgeschlagen."

Zuvor hatte etwa die Bild berichtet, dass im Kanzleramt "sogar über die Einstellung des öffentlichen Nah- und Fernverkehrs nachgedacht" werde.

Dass sich Viren im Laufe der Zeit genetisch verändern, ist keine neue Erkenntnis. Das gilt auch für Coronaviren. So wurden seit Beginn der ausgerufenen "COVID-19-Pandemie" bereits tausende verschiedene Varianten des ursächlichen Coronavirus SARS-CoV2 von Wissenschaftlern nachgewiesen. Laut der Weltgesundheitsorganisation (WHO) ist die britische Corona-Mutation inzwischen in etwa 50 Ländern nachgewiesen worden. Die südafrikanische Variante hat sich in 20 Staaten gezeigt. Zur britischen Variante erklärte die WHO Ende Dezember:

"Vorläufige Analysen deuten jedoch auch darauf hin, dass sich der Schweregrad der Erkrankung (gemessen an der Dauer des Krankenhausaufenthalts und der 28-Tage-Fallsterblichkeit) sowie das Auftreten von Reinfektionen zwischen den Varianten im Vergleich zu anderen in Großbritannien zirkulierenden SARS-CoV-2-Viren nicht verändert".

Bereits im August 2020 machte die Pharmazeutische Zeitung auf einige Äußerungen von Drosten über zu erwartende Mutationen bei SARS-Cov-2 aufmerksam.

"Sorgen müsse das nicht bereiten. Die meisten Mutationen seien schädlich für das Virus und würden durch konkurrierende Virusstämme ausgemerzt. Selektiert würde unter Konkurrenzdruck immer auf bessere Übertragbarkeit, nicht auf eine höhere Todesrate des Wirts, da dies für die Verbreitung hinderlich ist."

Wie der Virologe demzufolge näher erläuterte, bestünde daher die Möglichkeit, "dass das Virus anfängt, mehr die Nasenschleimhaut zu befallen und weniger die Lunge". Infolgedessen würde aus der Lungenkrankheit im Laufe der Zeit eine Art Schnupfen.

"Der Erreger könnte also, wenn er sich an den Menschen anpasst, an Gefährlichkeit verlieren."

Mittlerweile erklärte SPD-Gesundheitsexperte Karl Lauterbach aber, Deutschland befände sich "in einer sehr prekären Situation". Sollten die "Corona-Infektionszahlen" nicht sinken, könne die Schließung von Betrieben drohen. Der bisherige Lockdown sei nicht so erfolgreich gewesen, wie er sein müsste, erklärte Lauterbach gegenüber den Zeitungen der Funke Mediengruppe.

"Wir sollten das Homeoffice verpflichtend machen – dort, wo es geht."

Die Unternehmen selbst täten gut daran, zu einem erfolgreichen Ende des Lockdowns beizutragen.

"Andernfalls können wir irgendwann gezwungen sein, auch Betriebe zu schließen. Möglicherweise müssten wir sogar an die Industrieproduktion heran."

In der Talksendung Maybrit Illner erklärte der SPD-Gesundheitsökonom Lauterbach, dass sich Deutschland "im Wettrennen mit der neuen Mutation" befinde. Ziel müsse es sein, die jetzige "Welle zu brechen, bevor die neue Mutation nach Deutschland" überschwappen werde:

"Daher wäre wahrscheinlich jetzt ein extrem harter Lockdown, auch mit Schließung vieler Betriebe und Homeoffice" das Richtige, war Lauterbach überzeugt. Ansonsten drohe "Wachstum im Lockdown".

Michael Kretschmer sieht das jedoch anders. "Wir brauchen starke Unternehmen, um die Kosten der Pandemie tragen zu können", so der CDU-Politiker. Sollte sich in Deutschland nichts mehr bewegen, sei zwar das Virus tot, aber ebenso die deutsche und europäische Volkswirtschaft und mit ihnen viele Unternehmen.

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