Mit der am Mittwoch von der Bundesregierung beschlossenen Novelle des BND-Gesetzes werden die Befugnisse des deutschen Auslandsgeheimdienstes erneut massiv ausgeweitet, während die Kontrolle der Spionagetätigkeit laut Beobachtern kaum verbessert wird. Zwar hieß es seitens der Regierung, dass mit der Reform das "rechtssichere Handeln des Bundesnachrichtendienstes gestärkt" wird und eine "Legitimation der Ausland-Fernmeldeaufklärung" einhergehe. Beobachter gehen jedoch davon aus, dass die Verfassungskonformität wieder nicht gewährleistet ist.
Das BND-Gesetz von 2017 wurde im Mai vom Bundesverfassungsgericht als verfassungswidrig eingestuft, insbesondere die Regelungen zur sogenannten strategischen Fernmeldeaufklärung hatte der oberste Gerichtshof beanstandet. Mit der sogenannten strategischen Fernmeldeaufklärung im Ausland durchforstet der BND massive Datenströme ohne konkreten Verdacht. Laut BND werden pro Tag etwa 154.000 Kommunikationsbeziehungen erfasst, von denen sich am Ende gerade einmal 260 als relevant herausstellen. Deutsche Bürger dürfen offiziell nicht auf diese Weise überwacht werden.
Netzpolitik – nach eigenen Angaben eine Informationsquelle für Freiheitsrechte und Verbraucherschutz – verweist darauf, dass der BND dennoch in Zukunft ganz legal Personen, Geräte und sogar Server und Diensteanbieter sowie vollständige Mobilfunk- und Internetprovider hacken darf, wenn es nach der Bundesregierung geht. Auch die laut Gesetz eigentlich verbotene Überwachung von Deutschen durch den Auslandsnachrichtendienst werde durch weitreichende Ausnahmen im neuen Gesetz ermöglicht. Dass die Geheimdienste derart agieren, habe nach den Enthüllungen des Ex-NSA-Mitarbeiters Edward Snowden zu einem öffentlichen Aufschrei geführt, die Bundesregierung habe solche Praktiken jedoch legalisiert und erhalte dazu im Haushaltsjahr 2021 sogar erstmals über eine Milliarde Euro.
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Das Bundesverfassungsgericht hat mit seinem Urteil vom 19. Mai 2020 erstmals entschieden, dass sich auch Ausländer im Ausland auf den Schutzbereich der Artikel 10 (Brief-, Post- und Fernmeldegeheimnis) und 5 (Presse- und Meinungsfreiheit) des Grundgesetzes berufen können.
Durch das Urteil wurde die Bundesregierung rechtlich verpflichtet, vertrauliche Kommunikation von Journalisten vor Massenüberwachung zu schützen. Der BND dürfte demnach nicht mehr anlasslos ausländische Medienschaffende überwachen und Rechercheergebnisse nicht mehr ohne Weiteres an ausländische Geheimdienste weitergeben. Die Organisation Reporter ohne Grenzen (RSF), die das Urteil des Verfassungsgerichts zusammen mit mehreren ausländischen Journalisten erstritten hatte, kommt zu einer gänzlich anderen Einschätzung der in dieser Woche vom Kabinett vorgelegten Novelle als die Bundesregierung.
"Die Bundesregierung will sich mit einer oberflächlichen Reform durchmogeln, statt den BND zu einem wirksamen, verfassungskonformen Schutz der Pressefreiheit zu verpflichten", erklärte Geschäftsführer Christian Mihr.
Der Auslandsnachrichtendienst nehme weiterhin zu tiefen Einblick in die vertrauliche und eigentlich geschützte Kommunikation von Journalisten, bemängelte die Organisation. Der Gesetzentwurf der Bundesregierung genüge den höchstrichterlichen Anforderungen nicht. Zudem könne der BND weiterhin Verkehrsdaten wie Informationen über Kommunikationsverbindungen oder die Betreffzeilen von E-Mails sammeln und ungefiltert an ausländische Geheimdienste weitergeben, wie Reporter ohne Grenzen kritisieren.
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"Umfassenden Kontrolle" des BND durch "unabhängigen Kontrollrat"
Laut dem aktuellen Gesetzentwurf solle das rechtssichere Handeln des Bundesnachrichtendienstes durch einen "unabhängigen Kontrollrat" gewährleistet werden, eine Nachbesserung in diesem Bereich wurde ebenfalls vom Karlsruher Gericht gefordert. Bisher gibt es mehrere unterschiedliche Instanzen mit inkonsistenten Kompetenzen. Das Bundesverfassungsgericht, mehrere Experten und auch die SPD hatten gefordert, dass dieser Kontrollrat beim Bundesdatenschutzbeauftragten angesiedelt werden müsse, was jedoch laut dem jetzigen Entwurf nicht umgesetzt wird. Der "unabhängige Kontrollrat" kann demnach beispielsweise nicht einmal Suchbegriffe des BND wie IP-Adressen, Telefonnummern oder E-Mail-Adressen einsehen und so seiner Aufgabe kaum gerecht werden.
Problematisch bleibe laut Reporter ohne Grenzen zudem, dass die Definition, wer als Journalist Anspruch auf besonderen Schutz vor Überwachung habe, dem BND obliege. Eine Entscheidungsgrundlage dafür soll in einer geheimen Dienstvorschrift näher dargelegt werden. "Eben diese Praxis, zentrale Vorgaben im Geheimen zu regeln, hatte das Bundesverfassungsgericht in seinem Urteil explizit kritisiert", betont RSF.
Laut Bundesrechtsanwaltskammer (BRAK), welche neben Bitkom, Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) und anderen eine Einschätzung des Referentenentwurfs abgeben durfte, war der dafür zugestandene einwöchige Rückmeldezeitraum "rechtsstaatlich bedenklich und der Qualität der Gesetzgebungsvorhaben in der Regel nicht zuträglich". Die BRAK "bittet das Bundeskanzleramt, künftig angemessene Fristen vorzusehen" und kritisierte unter anderem nicht hinreichend konkretisierte Vorgaben in Bezug auf tatsächliche Anhaltspunkte und im Verdachtsfall der vom Überwachungsschutz ausgenommenen Anwälte, wodurch in der Praxis Daten aus einer Vertraulichkeitsbeziehung unzureichend geschützt werden.
Das Bundeskabinett hat den Gesetzentwurf zur Änderung des BND-Gesetzes am Mittwoch angenommen. Der Bundestag muss noch zustimmen. RSF-Geschäftsführer Christian Mihr sieht daher den Bundestag in der Verantwortung, im weiteren Gesetzgebungsverfahren klare und transparente Vorgaben sowie effektive Kontrollen zum Schutz der Pressefreiheit in die Arbeit des Geheimdienstes einzuziehen.
Laut Kilian Vieth, Projektmanager für das Europäische Netzwerk Nachrichtendienstkontrolle (EION) bei der Stiftung Neue Verantwortung hat das Kanzleramt "eine Minimallösung vorgelegt, die die Grenzen der verfassungsrechtlichen Vorgaben ausreizt und sie teilweise sogar ignoriert." Die Bundesregierung müsse sich überlegen, ob sie die Reform auf der aktuellen Grundlage fortsetzen möchte, sofern sie erneute Klagen gegen das BND-Gesetz vermeiden will, der Zeitrahmen sei gegeben – das Gericht hatte eine Überarbeitung bis Ende 2021 gefordert – und der Zeitpunkt für eine umfassende Reformmöglichkeit sei selten günstig. Netzpolitik geht davon aus, dass der nun vorgelegte Entwurf erneut vor Gericht landen dürfte.
Auch der Vorsitzende der Gesellschaft für Freiheitsrechte, Ulf Buermeyer, erwartet, dass das Bundesverfassungsgericht das neue Gesetz in dieser Form kippen würde: "Deswegen ist das aus meiner Sicht auch eine Provokation des Bundesverfassungsgerichts." Der Entwurf sei aus Sicht der Gesellschaft für Freiheitsrechte eine Steilvorlage, wieder Verfassungsbeschwerde zu erheben, wie Buermeyer im Deutschlandfunk erklärte.
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