von Susan Bonath
Letzte Woche machte folgende Schlagzeile die Runde: "Führender Leipziger Querdenker angeblich mit Corona infiziert – und auf Intensivstation intubiert", titelte zuerst die Leipziger Volkszeitung (LVZ). Im Text ist von "einem der führenden Organisatoren der Querdenken-Demonstrationen" die Rede. In Windeseile verbreitete sich die Nachricht unter anderem über das RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND) durch die Leitmedien. Wenig später wurde sie mit dem Tod eines AfD-Stadtrats aus Böhlen bei Leipzig "untermauert", der sich angeblich mit dem Coronavirus infiziert hatte. Problem: Die Organisatoren um Nils W. betonen, den Stadtrat nie persönlich kennen gelernt zu haben. Auch sei in Leipzig und weiteren Querdenken-Gruppen kein anderer Fall eines Erkrankten bekannt. Die reißerischen Nachrichten, nach wie vor im Internet abrufbar, sind also erklärungsbedürftig.
Streute leitender Mediziner ein Gerücht?
Die Nachricht beruht offenbar auf einem fragwürdigen Statement von Professor Christoph Josten. Der geschäftsführende Direktor der Abteilung Orthopädie, Unfallchirurgie und Plastische Chirurgie an der Universitätsklinik Leipzig sprach auf der sächsischen Landespressekonferenz am 11. Dezember von einem erkrankten "bekannten Querdenker". Dieser sei acht Tage nach einer Querdenken-Demonstration in Leipzig am 7. November wegen COVID-19 beatmet worden. Josten legte mit einem moralischen Appell nach: "Das Virus nimmt keine Rücksicht auf die Menschen, egal wer sie sind." Daher sei es wichtig, sich an Abstandsregeln zu halten und Kontakte zu vermeiden, so der führende Mediziner.
Die LVZ griff dies umgehend auf. Aus dem angeblich "bekannten Querdenker" machte sie einen Organisator. Über das RND, dem die LVZ angehört, verbreitete sich die Nachricht rasend schnell. Die meisten Medien schrieben offenbar lediglich ab. Eine Ausnahme bildete t-online. Die Pressestelle der Uniklinik erklärte gegenüber dem Nachrichtenportal demnach, der besagte Patient sei jedenfalls nicht in ihrem Haus behandelt worden. Die Bewegung Leipzig, die die Proteste angemeldet hatte, teilte auf Nachfrage mit, man wisse von keinem Corona-Fall in den eigenen Reihen. Weder Organisatoren noch Helfer seien erkrankt.
Ungereimtheiten und fehlende Belege
Nur einen Tag später legte die LVZ mit der Meldung über den plötzlichen Tod des Böhlener AfD-Stadtrats Harald Hänisch nach. Eine unmittelbare Verbindung zu dem angeblich schwer erkrankten "Querdenken-Organisator" geht aus der aktuell verfügbaren Version des Artikels nicht hervor. Die Zeitung veröffentlichte aber ein Foto, auf dem Hänisch mutmaßlich am 18. November beim Querdenken-Protest in Berlin vor dem Bundestag zu sehen ist – also bereits elf Tage nach der fraglichen Leipziger Demonstration am 7. November. Sie "vermutete" eine Corona-Infektion.
Reißerisch schlachteten zahlreiche Medien den Tod des Politikers aus, einer schrieb vom anderen ab. Die in Halle erscheinende Mitteldeutsche Zeitung (MZ) berief sich auf t-online. Danach handele es sich bei Hänisch um den führenden Organisator der Leipziger Querdenken-Demo vom 7. November, hieß es dort. Allerdings gebe es dafür keine Belege. Im Raum stehe die Aussage des leitenden Mediziners der Uniklinik, Josten.
Organisator: "Es muss sich um Fake News handeln"
Der Kopf der Bewegung Leipzig und Anmelder der Demonstrationen am 7. und 21. November erfreut sich derweil bester Gesundheit. Im Gespräch mit der Autorin am Donnerstag berichtete er, Bekannte hätten ihn auf den Artikel in der LVZ aufmerksam gemacht. "Als ich das gelesen hatte, fragte ich erst mal überall in unserer und anderen Organisationen nach, was da los ist und ob es einen Fall gibt", so Nils W. Die Recherche habe nichts ergeben.
"Ich kann sagen: Niemand von uns kennt einen solchen Fall, es muss sich um Fake News handeln."
Etwa anderthalb Stunden später habe sich ein LVZ-Redakteur bei W. gemeldet und gefragt, ob das stimme. "Ich habe ihm gesagt, uns sei nichts bekannt, und nachgefragt, warum sie erst einen Artikel in die Welt setzen und sich erst anschließend melden", berichtete er. Auf seine Bitte hin, richtigzustellen, dass seinem Team kein Fall bekannt sei, habe das Blatt zwar einige Passagen leicht verändert. "Aber letztlich steht noch dasselbe darin wie vorher."
Dass auch Rechtsextreme sowie AfD-Mitglieder bei den Demos zugegen waren, hätten die Organisatoren "leider zur Kenntnis nehmen müssen". Persönlich hätten sie aber niemanden gekannt, auch nicht den Verstorbenen. W. hält zudem die Aussage des Arztes und die anschließende Berichterstattung im Zusammenhang mit dem verstorbenen Stadtrat für "datenschutzrechtlich bedenklich und pietätlos". "Hinzu kommt, dass die Medien einen ungeheuren Druck auf uns ausüben", sagte er. Es handele sich offensichtlich um "politisch motivierte Berichterstattung, bei der der Wahrheitsgehalt auf der Strecke bleibt".
Unbekannte Trittbrettfahrer
Außerdem erzählte Nils W. noch von einer weiteren Merkwürdigkeit. Seit Tagen gingen Flyer umher, in denen zu einer Demonstration gegen die Corona-Politik der Bundesregierung an diesem Samstag in Leipzig aufgerufen werde. Angemeldet seien die Proteste nicht, zudem habe die Stadt per Allgemeinverfügung vorsorglich das Versammlungsrecht eingeschränkt. Die Deutsche Presse-Agentur und zahlreiche Medien berichteten von geplanten "Querdenken-Protesten". "Wir haben aber nichts damit zu tun", stellte W. gegenüber der Autorin klar.
Sein Orga-Team habe die Mitstreiter dazu aufgerufen, möglichst nicht daran teilzunehmen. "Ich sehe die Gefahr, dass wir es mit Leuten zu tun bekommen könnten, mit denen wir nichts zu tun haben wollen", so W. Selbst habe er bislang vergeblich versucht, herauszufinden, wer dahinterstecke. Klar sei ihm, dass diverse Trittbrettfahrer versuchten, Gewalttäter in die Demonstrationen zu schleusen. Zugleich habe die Gewalt von Gegendemonstranten, darunter etwa das Netzwerk "Leipzig nimmt Platz", "gefährdende Ausmaße" angenommen.
So hatten am 7. November im Leipziger Stadtteil Connewitz Vermummte einen Bus und ein Fahrzeug von Demo-Teilnehmern angegriffen. Mehrere Menschen wurden dabei laut Polizei verletzt. Connewitz ist eine Hochburg der sogenannten "Antideutschen", die eigentlich per Definition nicht links zu verorten sind. In deren Hausblatt Bahamas, von dem hin und wieder Referenten in deren Bastion namens "Conne Island" auftreten, erscheinen seit Jahren muslimfeindliche Artikel oder Lobeshymnen auf die AfD, die von manchen Reden auf Pegida-Versammlungen kaum zu unterscheiden sind.
Darüber hinaus, so W., sei am 21. November ein Teilnehmer der Querdenken-Demo von Unbekannten "fast totgeschlagen" worden. Sein Team habe sich deshalb entschlossen, erst einmal keine Proteste in Leipzig anzumelden. "Daran halten wir bis heute fest", sagte er. Seiner Ansicht nach gibt es "viele Versuche von außen, die Bewegung zu zerstören, zu spalten und für andere Zwecke zu benutzen".
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