Hendrik Streeck, der Direktor des Instituts für Virologie der Universitätsklinik Bonn, zählt zu den bekanntesten und anerkanntesten Kritikern der Maßnahmen, welche die Bundesregierung im Rahmen der Corona-Krise ergriffen hat. In einer Videokonferenz des Rotary Clubs Schliersee äußerte er sich nun zu den neusten Entwicklungen in der Krise. Die wichtigsten Fragen der Videokonferenz drehten sich um die neuen Impfstoffe. Streeck dämpfte die Hoffnung, dass der Ausnahmezustand dadurch enden würde:
"Auch wenn man das möchte, wird man es gar nicht schaffen, die Menschen so schnell zu impfen", erklärte Streeck.
Auch hält Streeck es für "sehr hoch gegriffen", dass die Impfbereitschaft in der Bevölkerung angeblich bei 50 Prozent liege. Man wisse außerdem nicht, wie lange der Impfschutz anhält, da man nur von der natürlichen Immunität darauf schließen kann. Es gebe, so Streeck, aber auch Fälle von Reinfektionen.
"Die schlechteste Situation wäre, dass der Impfstoff nur sechs Monate wirksam ist und wir kommendes Jahr im Herbst wieder dasselbe Problem wie heute haben."
Außerdem sei beim Impfstoff der Firma Moderna beispielsweise noch ungeklärt, ob dieser vor einer Infektion oder nur vor einem schweren Verlauf schütze. Auch die geplanten Massenimpfungen sieht der Virologe kritisch: Mit den geplanten Impfzentren wird dies nach Auffassung Streecks nicht zu lösen sein. Man müsse die Hausärzte einbinden:
"Ohne die Hausärzte wird es nicht funktionieren – oder wir müssen die Armee aufstocken."
Neben dem Virologen kritisierte dies ebenso Leonhard Stärk, der Geschäftsführer des Bayerischen Roten Kreuzes, denn zuerst sei von "hundert zu Impfenden pro Tag die Rede gewesen, mittlerweile sind es 300". Da der Impfstoff der Firmen BioNTech und Pfizer nur drei Tage haltbar sei, könne man sich schwer vorstellen, wie dies funktionieren soll, wenn man auch noch fünf Minuten mit jedem Patienten reden soll.
Als sich Streeck zur Corona-Sterblichkeit äußerte, verurteilte er auch die Zahlenspielereien der Politiker scharf. Dabei bezog er sich vor allem auf eine Äußerung von Bayerns Ministerpräsidenten Markus Söder (CSU), dass "die Todeszahlen so hoch seien, als ob jeden Tag ein Flugzeug abstürzt". Nach Aussage Streecks sterben in Deutschland jeden Tag etwa 2.600 Menschen. Oft gebe es eine saisonal erhöhte Sterblichkeit, beispielsweise durch grippale Effekte. Durch die Schutzmaßnahmen liege die Sterblichkeit im Moment jedoch sogar unter dem Wert der letzten fünf Jahre.
"Wenn Herr Söder sagt, die Todeszahlen sind aktuell so hoch, als würde jeden Tag ein Flugzeug abstürzen, dann redet er an der Realität vorbei."
Streeck räumt ein, dass jeder einzelne Tod tragisch ist, doch es herrsche im Moment keine "enorme Katastrophe":
"Aber wenn man sich die Zahlen anschaut, dann ist es nicht die enorme Katastrophe, als die sie gerade dargestellt wird."
Auf die Frage, welche Chancen Virologen hätten, sich gegen profilierungssüchtige Politiker durchzusetzen, antwortete Streeck knapp:
"Ich glaube, die Entscheidungen werden nicht auf Virologen-Basis getroffen."
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