Während gesetzliche Renten in Zukunft komplett und damit womöglich doppelt besteuert werden, bleiben Finanzkriminelle, die den Fiskus vorsätzlich um gigantische Summen geprellt haben, womöglich nahezu ungestraft. Sieben Jahre nach Bekanntwerden von Cum-Ex, dem wohl größten Steuerraub in der Geschichte der Bundesrepublik, wurden lediglich zwei Bewährungsstrafen verhängt und nur ein Bruchteil des Geldes zurückgeholt.
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Mithilfe von Banken ließen sich Anleger bei "Cum-Ex"-Geschäften die einmal gezahlte Kapitalertragsteuer auf Aktiendividenden mehrfach erstatten. Dazu wurden rund um den Dividendenstichtag Aktien mit (cum) und ohne (ex) Ausschüttungsanspruch zwischen mehreren Beteiligten hin- und hergeschoben. Finanzämter erstatteten dann Kapitalertragsteuern, die gar nicht gezahlt worden waren. Der Staat, personell vielfach schlechter aufgestellt als seine Gegner, war über Jahre weder in der Lage, diese Form organisierter Kriminalität selbst aufzudecken, noch willens, klare Hinweise rechtzeitig aufzugreifen, um diese Geschäfte zu stoppen, heißt es bei der Bürgerbewegung Finanzwende.
Drohende Verjährung
Da das Bundeszentralamt für Steuern (BZSt), das für die meisten Steuererstattungen der Cum-Ex-Geschäfte zuständig war, in den Zuständigkeitsbereich der Staatsanwaltschaft Köln fällt, obliegt dem Land Nordrhein-Westfalen die Aufarbeitung des Steuerbetrugs, der die Allgemeinheit mehr als zehn Milliarden Euro – nach anderen Schätzungen gar über 30 Milliarden bundesweit und europaweit 55 Milliarden Euro – kostete. Dieses hinkt angesichts der Ausmaße des Skandals stark hinterher. So sehr, dass die Straftaten laut Experten zu verjähren drohen. Seit Jahren fordern die Ermittler mehr Personal, da die Behörden absolut unterbesetzt sind.
Gerade einmal 15 Staatsanwälte, wenige LKA-Beamte und Steuerfahnderinnen stehen rund 900 Beschuldigten und deren "Armada von Anwälten" entgegen. Doch brauche es, wie bei anderen Fällen organisierter Kriminalität auch, eine "Soko Cum Ex", wie die Bürgerbewegung Finanzwende in einer Petition an den Ministerpräsidenten von Nordrhein-Westfalen, Armin Laschet (CDU), fordert. Er könne in seiner Position Schritte einleiten, um die Staatsanwaltschaft Köln, die Steuerfahndung und das Landeskriminalamt ausreichend für ihre jeweilige Aufgabe auszustatten und die optimale Zusammenarbeit dieser Behörden sicherzustellen.
Nötig ist laut der Bürgerbewegung Finanzwende eine Ermittlungsgruppe mit mindestens 150 qualifizierten Staatsanwälten, Steuerfahndern und Polizeikräften. Nur so können die Fälle rechtzeitig vor Gericht landen und Gerechtigkeit wiederhergestellt werden.
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Laut der ARD leiteten die Kölner Staatsanwälte bisher 50 umfangreiche Ermittlungskomplexe ein, die sich gegen 200 Beschuldigte richten. Der geschätzte Schaden für den Fiskus aus den Kölner Fällen summiert sich demnach auf bis zu fünf Milliarden Euro. Doch jeder einzelne Ermittlungskomplex ist so umfassend wie die größten Wirtschaftsverfahren insgesamt. Die Fahnder benötigen neben den Kenntnissen von Finanzmärkten vernünftige Englisch- und IT-Kenntnisse. Auch laut der ARD unter Berufung auf Insider fehle es an solchen Experten, während aufseiten der Verdächtigen internationale Top-Kanzleien am Werk seien, mit einem Vielfachen an hochqualifiziertem Personal.
Sebastian Fiedler, Vorsitzender des Bundes Deutscher Kriminalbeamter, schätzt, dass 30 bis 40 zusätzliche Kräfte – hoch spezialisierte Fahnder – fehlen, und verweist auf die drohende Verjährung ausgerechnet bei dieser ebenso kostspieligen wie hinterlistigen Finanz-Abzockmasche.
Dadurch, dass wir zu wenige Ermittlungskräfte zur Verfügung haben, droht in den Fällen, die wir jetzt noch zutage fördern, eine Verjährung.
Dem Fiskus entgehe so ein deutlicher Betrag an Mehrerlösen. In der Regel verjähren Fälle zehn Jahre nach Zustellung eines Steuerbescheids. Eine neue Norm hatte das Bundesfinanzministerium unter Olaf Scholz in das zweite Corona-Steuerhilfegesetz schreiben lassen, Paragrafen 375a der Abgabenordnung. Diese sollte es Staatsanwaltschaften ermöglichen, die Beute der Cum-Ex-Deals auch dann noch von Banken und anderen Beteiligten zurückzuholen, wenn die Fälle eigentlich schon steuerlich verjährt sind. Allerdings ist diese neue Bestimmung zugleich eingeschränkt. Laut einer Zusatzregel gilt der Paragraf nicht für Fälle, die zum 1. Juli bereits steuerlich verjährt waren. Bisher noch nicht verjährte Betrugserträge können somit zwar länger zurückgeholt werden. Aber bereits verjährte Fälle, in denen Finanzämter noch kein kostspieliges Rückholverfahren starteten, könnten nicht unter das neue Gesetz fallen. Begründet wird diese Einschränkung mit der Notwendigkeit, dass sich Personen und Unternehmen in einem Rechtsstaat darauf verlassen können müssen, dass geltende Gesetze nicht im Nachhinein geändert werden, wie es das Rückwirkungsverbot vorgibt. Laut der Bürgerbewegung Finanzwende muss dies dringend korrigiert werden, um das Zurückholen der verlorenen Steuergelder nicht zu blockieren.
Ministerien sehen keine Engpässe
Die drei zuständigen Ministerien in Nordrhein-Westfalen erkennen jedoch keinerlei Personalprobleme bei der Aufarbeitung des Cum-Ex-Skandals. Eine drohende Verjährung sei nicht bekannt, zitiert die ARD das Justizministerium. Demnach sei auch die Ausstattung mit Staatsanwälten für Cum-Ex-Fälle "auskömmlich". Ähnlich äußerte sich das Finanzministerium – der Personaleinsatz von Steuerfahndern sei "immer angemessen" gewesen –, während der Innenminister offiziell verkündet, die personelle Ausstattung durch das Landeskriminalamt sei "quantitativ wie qualitativ ausreichend".
So habe das Innenministerium zwei erfahrene Leiter von Ermittlungskommissionen im Bereich Wirtschaftskriminalität eingesetzt. Das Finanzministerium bezeichnet seine Mitarbeiter in dem Fall als "hoch spezialisiert", und auch das Justizministerium betont die langjährige Erfahrung im Bereich der Wirtschaft sowie erforderliche Sach- und Fachkompetenz seines Personals. Für ein Interview stand jedoch keines der Ministerien zur Verfügung.
Wirtschaftsprüfer von EY angeklagt
Eine Spezialkammer für Steuerberater- und Wirtschaftsprüfer-Haftung des Landgerichts Stuttgart verhandelte am Mittwoch einen Fall, in dem der Insolvenzverwalter der Maple Bank die Wirtschaftsprüfungsgesellschaft EY wegen angeblich falscher Beratung bei den umstrittenen Cum-Ex-Geschäften zulasten der Staatskasse auf 195 Millionen Euro Schadenersatz verklagte. Weil das Unternehmen als Prüfer für den skandalgebeutelten Finanzdienstleister Wirecard tätig war, ist EY in jüngster Zeit ins Blickfeld der Öffentlichkeit geraten.
EY sei für den Schaden mitverantwortlich, weil man als
Steuerberater falsch beraten und als Wirtschaftsprüfer
widerrechtlich ein Testat erteilt habe, obwohl die Maple Bank für die riskanten Geschäfte keine Rückstellungen gebildet habe, argumentiert der Insolvenzverwalter der Bank. Die Maple Bank war 2016 wegen ihrer Verwicklung in "Cum-Ex"-Geschäfte zusammengebrochen. Ein Sprecher von EY wies die Anschuldigungen zurück.
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