"Nichts Genaues weiß man nicht": Experten sagen im Lübcke-Prozess aus – Professor kritisiert Richter

Im Prozess um den Mord an Walter Lübcke kamen Experten der Nebenkläger zu Wort. Es wurden DNA-Proben besprochen sowie Bilder einer Überwachungskamera ausgewertet. In der Zwischenzeit meldete sich ein Juraprofessor zu Wort und kritisierte den Richter in einem Interview.

Im aktuell laufenden Prozess um die Ermordung des CDU-Politikers Dr. Walter Lübcke äußerten sich Experten zum Sachverhalt der Nebenklage. Als Nebenkläger im Verfahren tritt ein geflüchteter Iraker namens Ahmed E. auf, welcher im Jahr 2016 in der Nähe von Kassel durch einen Messerangriff schwer verletzt wurde. Stephan Ernst, mutmaßlicher Mörder von Lübcke, wurde bereits damals, kurz nach der Tat, von der Polizei befragt. Stephan Ernst wohnte nicht weit vom Tatort entfernt. Diese Spur wurde jedoch fallengelassen.

Erst nach der Festnahme von Ernst im Zusammenhang mit dem Mordfall Lübcke im Sommer 2019 wandte sich die Beratungsstelle für Opfer rechtsextremer Gewalt Response an die Staatsanwaltschaft, um auf eine mögliche Verbindung hinzuweisen. Nun soll auch die Polizei – drei Jahre nach der Tat – DNA-Spuren des Opfers Ahmed E. auf einem Messer im Haus von Ernst gefunden haben.

Bereits Anfang Oktober hatte ein Experte zu den DNA-Proben gesprochen und angemerkt, dass angesichts einer derart schwachen DNA-Spur auf dem Messer, welches im Keller des Hauptangeklagten gefunden wurde, sein Berufsstand ihm verbiete, eine Wahrscheinlichkeit anzugeben, ob es sich um DNA von Ahmed E. handelt. Außerdem wäre eine solche Behauptung auf Basis der schwachen DNA-Probe vor Gericht anfechtbar: Eine valide wissenschaftliche Einschätzung wäre unmöglich.

Auch die Experten, die am Dienstag zum Gericht geladen waren, konnten keine eindeutigeren Beweise liefern. Reinhard Dettmeyer, Leiter des Instituts für Rechtsmedizin in Gießen, welcher Ahmed E. wenige Stunden nach der Tat untersuchte, gab an, dass die Wunde darauf hingedeutet hätte, dass der Angriff mit "erheblichen Kraftaufwand" vollführt wurde, die glatten Wundränder würden für ein Messer als Tatwaffe sprechen. Lediglich aufgrund der Beschaffenheit käme die "Stichwaffe", welche bei Ernst gefunden wurde, in Betracht.

Der zweite Sachverständige beschäftigte sich mit Fahrrädern aus dem Besitz von Stephan Ernst: Ahmed E. hatte ausgesagt, dass sich ihm vor dem Angriff ein Unbekannter auf einem Fahrrad genähert hätte. Am Abend der Tat hatte eine Überwachungskamera einen Fahrradfahrer in Tatortnähe festgehalten. Bei Ernst wurden drei Fahrräder sichergestellt, welche vom Landeskriminalamt in Hessen mit Infrarotbildern abgeglichen wurden. Das Ergebnis war wenig zielführend, trotz des hohen Aufwandes. Alle drei Fahrräder kämen in Betracht, das von der Kamera aufgezeichnete Modell zu sein.

Auch der Verteidiger von Stephan Ernst, Mustafa Kaplan, zweifelte den Beweiswert an und äußerte sich Berichten zufolge mit den Worten: "Wir wissen lediglich, dass wir nichts wissen". Die Generalbundesanwaltschaft sprach allerdings davon, dass "qualitativ" der Schluss naheliege, die DNA-Spuren würden von Ahmed E. stammen. Auch der Anwalt des Nebenklägers, Alexander Hoffmann, sprach von einem "erheblichen indiziellen Wert", welcher "im Zusammenhang mit weiteren Indizien Beweiskraft" entfalten würde. Hoffmann vertritt seit 30 Jahren Opfer von rechter Gewalt und war auch im Münchner NSU-Prozess Anwalt der Nebenklage.  

Der Richter des Verfahrens, Thomas Sagebiel, soll die gesammelten Erkenntnisse mit den Worten "Nichts Genaues weiß man nicht" zusammengefasst haben. Weder Gutachter noch sonstige Prozessbeteiligte hätten widersprochen.

Währenddessen hat sich der Göttinger Juraprofessor Dr. Uwe Murmann über den "Lübcke-Prozess" in einem Interview geäußert und den Richter Sagebiel scharf kritisiert. Unter anderem wirft er dem Richter vor, das Vertrauensverhältnis zwischen Verteidiger und Mandant "zu torpedieren". Insbesondere die Äußerung des Richters "Hören Sie nicht auf ihre Verteidiger, hören Sie auf mich" sei äußerst problematisch, da der Richter so zwischen Verteidiger und Mandanten "grätschen" würde.

So etwas gehöre sich nicht für einen Richter und sei ein äußerst problematischer Vorgang.

Dass das Innenverhältnis [das Verhältnis zwischen Mandant und Verteidiger] problembehaftet war, hat sich ja auch darin gezeigt, dass es aufgrund eines zerrütteten Vertrauensverhältnisses zur Entpflichtung eines der Verteidiger gekommen ist", so Murmann im Interview.

Auch habe er es noch nie erlebt, dass ein Verteidiger von der Schweigepflicht entbunden wurde und sich in einem laufenden Verfahren als Zeuge zu einem Geständnis äußere. Dies sei für ihn bisher "das Überraschendste und Ungewöhnlichste" an diesem Prozess.

Der angesprochene Verteidiger, welcher von seiner Schweigepflicht entbunden und als Zeuge geladen wurde, ist Frank Hannig. Dieser habe den Hauptangeklagten Stephan Ernst zu einer abweichenden Version des Geständnisses veranlasst, in welcher Markus H. beschuldigt wird, die Tatwaffe geführt zu haben, und Walter Lübcke aus Versehen erschossen haben soll. Dies würde eine Straftat darstellen. Frank Hannig hatte die Aussage bisher größtenteils verweigert.

Der Prozess wird am 22. Oktober fortgeführt.

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