Bereits während der Räumung des Hauses in der Liebigstraße 34 am vergangenen Wochenende in Berlin und den dazu angekündigten Protesten waren in den sozialen Medien zahlreiche Szenen vermeintlicher Polizeigewalt zu sehen, die zunächst nicht alle klar dem Polizeigroßaufgebot, das bei der Räumung eingesetzt wurde, zuzuordnen waren. Nach Angaben des Polizeisprechers waren bis zu 1.900 Beamte, auch aus anderen Bundesländern und von der Bundespolizei, bei der Räumung des Hauses in Friedrichshain im Einsatz.
Nach dem Großeinsatz beklagte die Deutsche Journalistinnen- und Journalisten-Union (dju), dass Polizisten im Zuge der Räumung mehrfach unangemessen Gewalt gegen Journalisten ausgeübt und sie am Zugang gehindert hätten. Die Polizei habe aktiv eine unabhängige Berichterstattung behindert, etwa 20 Journalisten wurden demnach sogar körperlich angegangen, Beleidigungen oder Schubser seien noch nicht mitgezählt. Der Landesgeschäftsführer der dju, Jörg Reichel, war vor Ort und kritisierte:
Zahlreichen Journalistinnen und Journalisten wurde von Polizisten mit Fäusten ins Gesicht oder mit dem Schlagstock gegen den Körper geschlagen, obwohl sie eindeutig als Fotojournalisten erkennbar waren und einen bundeseinheitlichen Presseausweis sichtbar an sich trugen.
Durch eine Sperrzone um die Liebigstraße 34 habe die Polizei der Presse zudem keinen freien Zugang gewährleistet, auch nicht für ausgewiesene Pressevertreter.
Besonders eklatant ist die über 40 Stunden andauernde Einrichtung der Roten Zone im näheren Umfeld der Liebig34, in der faktisch die Bürgerrechte und Pressefreiheit ausgesetzt waren," heißt es in der Mitteilung der dju.
Frei laufend oder Käfighaltung?
Nach Ansicht von Polizeisprecher Thilo Cablitz wurde jedoch trotz all dieser Umstände die Pressefreiheit ausreichend gewährleistet:
Für Dutzende Journalisten war ein extra gesicherter Bereich in Sichtweite des Hauses eingerichtet, in dem sie sich frei bewegen konnten.
Doch war dieser laut Pressevertretern eben nicht ausreichend, um eine adäquate Berichterstattung zu ermöglichen. Journalisten durften sich nahe der Liebig34 nur in "einem schmalen, stark ausgeleuchteten 'Journalistenkäfig' aufhalten", wie die dju über die Gewerkschaft Verdi mitteilte.
Auf Anfrage erklärte Cablitz, dass dieser Bereich Sicherheit gewährleisten sollte, einige Journalisten seien dafür dankbar gewesen. Außerdem war er selbst vor Ort und habe im direkten Kontakt mit Pressevertretern, die ihn angesprochen hatten, den Zugang zur Liebigstraße ermöglicht oder anderweitig die Pressearbeit unterstützt. Gewisse Bereiche, gerade beim Einsatz großer Geräte wie Bagger, seien für Journalisten zu gefährlich gewesen. Ihm selbst seien keine Beschwerden zugetragen worden und er empfiehlt, bei Fällen mutmaßlicher Polizeigewalt höhere Instanzen wie die Staatsanwaltschaft darüber entscheiden zu lassen.
Reichel, langjähriger Gewerkschaftssekretär im Medienbereich, erklärte, es gebe generell Probleme mit der Pressefreiheit bei der Polizei in Berlin, Mecklenburg-Vorpommern, Nordrhein-Westfalen und Bayern. Es koste dem Verband viel Aufwand, dort die freie Arbeit von Journalisten zu ermöglichen.
Bei der Räumung des Hausprojekts in der Liebigstraße 34 wurden laut dju Journalisten geschubst, geschlagen und eingeschüchtert, Fotografen wurden demnach Schlagstöcke gegen die Schienbeine geknallt. Pressevertreter seien am Zugang gehindert worden, einigen seien gedroht worden, Speichermedien oder Kamera wären von der Polizei beschlagnahmt worden.
Ein Video zeigt, wie ein Polizist die Brille eines Journalisten, nachdem diese auf den Boden gefallen war, scheinbar absichtlich zertreten – er macht einen Ausfallschritt und eine Fußdrehung "wie beim Austreten einer Zigarette", so Reichel.
Laut Polizei handelte es sich hierbei um ein "Versehen", wie es in einem Bericht im Tagesspiegel hieß. Auf Anfrage von RT Deutsch sagte ein Polizeisprecher dazu, es habe sich bei dem im Internet kursierenden Video um eine Vorverurteilung gehandelt, denn der betroffene Polizist selbst meinte, dem Journalisten lediglich ausgewichen zu sein. Für diese Fälle gebe es Staatsanwaltschaften und Gerichte, um solche Vorwürfe zu überprüfen.
Während der Berliner Polizeisprecher dafür plädiert, mögliche Missstände zur Anzeige zu bringen, verweist Reichel darauf, dass eine Anzeige auch eine Gegenanzeige durch die Polizei einbringen könnte. Er warnt sogar, man solle sich "vor dem Hintergrund des Rassismus- und Rechtsextremismusproblems innerhalb der Polizei (...) gut überlegen, welche Daten man von sich preisgibt".
Reichel kritisiert zudem den Versuch der Polizei, die Berichterstattung zu lenken, indem sie durch Innenräume des Hauses führte, laut ihm eine "voyeuristische Darstellung, eine Sensationsberichterstattung, die mit dem eigentlichen Thema der Zwangsräumung nichts zu tun hat". Cablitz rechtfertigt dies, da Journalisten hier eben um Zugang gebeten hätten, für die Berichterstattung und die Einhaltung des Pressekodex seien sie selbst verantwortlich.
Im Nachgang der Räumung war es zu offenkundig unangemessener Anwendung von Gewalt durch Sicherheitspersonal des umstrittenen Immobilienbesitzers Gijora Padovicz, die mit Eisenstangen, Brecheisen und Schaufeln auf unbewaffnete Personen losgingen. Die Polizei soll das Berichten zufolge geduldet haben.
Die Räumung der Liebigstraße 34 ist nicht der erste Fall, bei dem der Polizei Behinderung von Journalisten vorgeworfen wird. Auch bei der Räumung der linksalternativen Szenekneipe "Syndikat" hatte es Vorwürfe von Pressevertretern gegeben, die Polizei habe ihre Arbeit behindert. Damals räumte Polizeisprecher Cablitz in Bezug auf diese Vorwürfe ein, dass es Probleme an den Kontrollpunkten gegeben habe. Auch bei früheren Großveranstaltungen, wie dem G20-Gipfel in Hamburg, hinderte eine schwerbewaffnete Polizei aktiv Journalisten an ihrer Arbeit.
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