Die Ministerpräsidenten der Länder kommen an diesem Mittwoch erstmals seit vier Monaten wieder nach Berlin, um mit Bundeskanzlerin Angela Merkel über die Corona-Lage zu beraten. Die Konferenz werde auf ausdrücklichen Wunsch Merkels als "physisches Präsenzformat" abgehalten. Ein Regierungssprecher bestätigte auf dpa-Anfrage das Vor-Ort-Treffen und kündigte an, Merkel werde danach mit dem Vorsitzenden der Ministerpräsidentenkonferenz, Berlins Regierendem Bürgermeister Michael Müller, und dessen Vize, Bayerns Regierungschef Markus Söder, eine Pressekonferenz geben.
Das vorerst letzte Vor-Ort-Treffen war am 17. Juni gewesen. Davor hatten sich die Regierungschefs zuletzt am 12. März getroffen, als das Herunterfahren des gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Lebens in Deutschland wegen der Corona-Krise beschlossen wurde.
Die Bild-Zeitung berichtete, Kanzleramtschef Helge Braun habe in einer Videokonferenz mit den Staatskanzleichefs die Notwendigkeit physischer Anwesenheit mit der dramatischen Infektionslage in Deutschland begründet. Man müsse eine offene Debatte führen, die "historische Dimensionen" haben könne, wird Braun laut Teilnehmern zitiert.
Wachsende Kritik am Beherbergungsverbot
Zur Debatte steht auch das umstrittene Beherbergungsverbot. Bereits am Montag hatten zahlreiche Politiker eine Rücknahme der Regelung gefordert, laut der Bewohner von Risikogebieten bei Reisen innerhalb Deutschlands nur dann beherbergt werden dürfen, wenn sie einen höchstens 48 Stunden alten negativen Corona-Test vorlegen können.
Der Leipziger Staatsrechtler Christoph Degenhart hält die Maßnahmen für nicht gerechtfertigt. "Sie greifen in die Grundrechte der Betriebe sowie der Reisenden ein", sagte Degenhart dem Handelsblatt.
Auch der Tourismusbeauftragte der Bundesregierung, Thomas Bareiß, fordert, das Beherbergungsverbot bei den Beratungen der Ministerpräsidenten noch einmal auf den Prüfstand zu stellen. Bareiß sagte am Dienstag: "Gerade Hotels haben in einem großen Kraftakt die Hygienemaßnahmen umgesetzt und für Sicherheit gesorgt. Ein nochmaliger Lockdown der ganzen Hotelbranche muss verhindert werden." Bei allen Regeln komme es darauf an, dass sie wirksam seien und für die Menschen verständlich und nachvollziehbar, sagte der Parlamentarische Staatssekretär im Wirtschaftsministerium.
"Kontraproduktiv" – Vertreter der Hotelbranche kritisieren Maßnahme
"Innerhalb Deutschlands ein Reiseverbot auszusprechen, das ist für mich unbegreiflich. Ich kann nicht verstehen, dass man politisch, gesellschaftlich Sport, Kultur, Wirtschaft, alles gegen die Wand fährt", kommentiert Marco Messner, Geschäftsführer des Hotels Sankt Georg in Neubrandenburg, gegenüber RT Deutsch das Beherbergungsverbot.
Wir haben Stornierungen, Leute sind verunsichert, Berliner, die privat hier hochkommen möchten, fragen nach, ob sie reisen dürfen. Privat geht gar nicht, das heißt, wir müssten Stornierungen hinnehmen, am besten noch kostenfrei. Auch das machen wir: Wir sind da kulant und stornieren kostenfrei. Aber jedes nicht verkaufte Zimmer generiert bei uns kein Umsatz", so Messner.
Die Situation verängstige auch seine Mitarbeiter, die auf keinen Fall mehr in Kurzarbeit gehen wollen. Diese Situation, die sich noch bis zum Frühjahr hinziehen könne, gehe "an die Psyche".
Ich habe ganz viele Gäste, die sagen, dass sie das am Anfang im Frühjahr noch verstanden haben, aber was jetzt hier läuft, das können sie nicht mehr nachvollziehen. Wir haben Auflagen, wir haben Abstandsregeln, wir haben Maskenpflicht, wir haben Desinfektionsspender: Wir haben alles erfüllt an Auflagen.
Natürlich gebe es auch für die Politik die Ungewissheit, wie sich die Dinge entwickeln, aber man müsse "nicht diese Panik verbreiten", fordert Messner.
Auch das Parkhotel Rügen verzeichne seit Ende letzter Woche "relativ viele Stornierungsanfragen", so eine Vertreterin des Hotels gegenüber RT Deutsch. Man habe aber noch keinen Gast wegen Verstößen gegen das Verbot nach Hause schicken müssen. "In der Regel informieren sich die Gäste vorher und wissen, dass sie nicht anreisen dürfen."
Das Beherbergungsverbot sei spürbar, "aber nicht dramatisch, weil es durchaus viele Gäste gibt, die jetzt nicht weiter weg fahren wollen, die sich überlegen, stattdessen lieber hier in Deutschland Urlaub zu machen".
Dem Deutschen Hotel- und Gaststättenverband (DEHOGA) erschließt sich "die Sinnhaftigkeit, Zielgerichtetheit und Erforderlichkeit der Beherbergungsverbote nicht". Es seien "nicht unsere Betriebe, die die Zahlen nach oben treiben", erklärte der Verband gegenüber RT Deutsch.
Laut einer Studie des Robert Koch-Instituts, in der für den Zeitraum von Ende Februar bis Mitte Juli 55.000 COVID-19-Fälle untersucht wurden, konnten lediglich 1,6 Prozent einem Infektionsgeschehen in der Gastronomie oder Hotellerie zugeordnet werden.
Pünktlich zu den Herbstferien herrsche "bei Gastgebern wie Gästen Verwirrung, Verunsicherung und auch Frustration. Das ist nicht nur inakzeptabel, sondern auch kontraproduktiv", so DEHOGA weiter. Denn das erhöhe nicht die Akzeptanz für notwendige Schutzmaßnahmen. "Wir registrieren eine Stornierungswelle. Testkapazitäten fehlen. Neubuchungen bleiben aus. Unklar ist in vielen Fällen, wer für den Schaden aufkommt."
Der Verband erwartet "eine Politik, die ihr Handeln schlüssig erklärt. Alle Maßnahmen müssen verhältnismäßig, praxistauglich und rechtskonform sein. Wir haben die begründete Hoffnung, dass sich Bund und Länder von dieser Form des Beherbergungsverbots verabschieden müssen".
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(rt/dpa)