Das Eckhaus an der Liebigstraße im Stadtteil Friedrichshain – ein international bekanntes Symbol der linksautonomen Szene –, um das so lange heftig gestritten wurde, wurde am Freitag geräumt. Wie die Bewohner hatte sich auch die Polizei nach eigenen Angaben gebührlich auf diesen Tag vorbereitet, verschiedene Szenarien durchgespielt und kam mit einem Aufgebot von mehr als 1.000 Mann und schweren Einsatzgeräten.
Radikale Linke
Nach etwa vier Stunden war die Polizei laut dpa fast selbst überrascht, dass die Aktion so glimpflich ablief. Etwa 57 Bewohner, die noch im Haus ausgeharrt hatten, sind nach draußen gebracht worden. Von einem der umliegenden Häuser lief dazu der Song "Der Traum ist aus" von Ton Steine Scherben.
Im Haus hatten die Bewohner noch Hindernisse aufgebaut, um die Räumung zu verzögern. Schwere Betonelemente auf der Haustreppe etwa sollten den Durchgang zu den einzelnen Etagen blockieren. Die Beamten hätten sich andere Wege gesucht, um nach oben zu kommen, hieß es. Auch eine Stahltür wird aufgeflext. Dicke Bohlen und Bretter werden beiseite geräumt. Rund 1.500 Beamte waren laut dpa am Freitag rund um die Räumung stadtweit im Einsatz, Polizisten aus acht Bundesländern. Laut anderen Quellen sollen es 2.500 oder gar 5.000 gewesen sein, darunter SEK-Leute mit Ausstattungen wie Räumpanzern.
Die Hausbewohner hatten im Vorfeld zu aktivem Widerstand mobilisiert, doch habe es nur wenig Widerstand gegeben, sagte ein Polizeisprecher. Der Protest sei zwar lautstark, aber weitgehend friedlich geblieben. In angrenzenden Straßen sei an zwei Autos Brand gelegt und Beamte seien angegriffen worden, twittert die Polizei.
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Radikale Polizisten
Doch waren einige der Polizisten offenbar selbst nicht gerade neutral und wenig zimperlich beim Umgang mit Demonstranten, wie Bilder und Videos zeigen.
Demonstranten und Journalisten wurden in den umliegenden Straßen im Stadtteil Friedrichshain auch mit Einsatz von Polizeihunden am Zugang zur Liebigstraße gehindert, einige riefen: "Wo wart ihr in Hanau?" Sogar gegenüber Journalisten übten Polizisten Gewalt aus, andere wurden an der Arbeit gehindert.
Neben dem Großaufgebot zahlreicher Polizisten auf engem Raum in einem COVID-19-Risikogebiet wurden auch die Methoden im Vorhinein sowie im Nachgang der Räumungsaktion kritisiert.
Der Gerichtsvollzieher will das Haus, das in den 90er-Jahren eines von zahlreichen besetzten Gebäuden in Ostberlin war, an den Eigentümer übergeben. Ein Bausachverständiger gab inzwischen die leer geräumte Immobilie frei. Die Behörde habe Angaben zur Amtshilfe bei der gerichtlich angeordneten Übergabe des Hauses geleistet, wird per Twitter betont.
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In dem Haus war vor zwei Jahren ein zehnjähriger Gewerbemietvertrag für den Bewohner-Verein ausgelaufen, der sich selbst als "anarcha-queer-feministisch" bezeichnet und unter anderem Aktionen wie kostenlose Essensangebote für mittellose Menschen veranstaltete. Laut ARD Kontraste sollen einige Anwohner Angst vor dem Projekt gehabt haben. Mehrere Nachbarn, darunter eine Schule, befürworteten hingegen den Verbleib von Liebig34.
Der Anwalt des Bewohner-Vereins, Moritz Heusinger, kritisierte am Freitag, dass er nicht zu seinen Mandanten vorgelassen worden sei, um zu deeskalieren. Es sei "völlig unverständlich", dass geräumt werde und niemand wisse, wer im Haus sei, "das verschlägt mir die Sprache", sagte Heusinger dem Neuen Deutschland. Der Einsatz sei "unrechtmäßig", da die Entscheidung über eine Berufung noch ausstehe. Außerdem sei er "unverhältnismäßig", und der Anwalt stellte ein "militantes Auftreten" der Polizei fest, die bei der Aktion verheizt worden sei. "Das sind hier schon ein bisschen kriegsähnliche Zustände", meinte Heusinger.
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Radikaler Profiteur
Viele Bürger Berlins sind erbost nach einem Anschlag auf eine S-Bahn, zu dem sich die linksextreme Szene bekannte. Auch innerhalb der linken Szene sind die mitunter für Unbeteiligte disruptiven, destruktiven und radikalen Aktionen von Liebig34 und einiger Sympathisanten umstritten. Doch auch aus skeptischer Distanz wird das Projekt als symbolisch für die Frage gesehen, wie sich Berlin entwickelt. Nachdem ähnliche Hausprojekte bereits zwangsgeräumt wurden, ebenso wie das Traditions-Jugendzentrum Potse oder die Szenekneipe "Syndikat" am Tempelhofer Feld oft mit hohem Polizeiaufgebot, und auch immer mehr Clubs der Hauptstadt renditeorientierten Käufern wie Aktiengesellschaften weichen müssen, warnen sowohl Betroffene als auch Beobachter, dass Berlin mit den "alternativen Lebensräumen, Clubkultur und Kleingewerbe" seinen Charakter verliert.
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Einige verweisen darauf, dass mit der für den Steuerzahler sehr teuren Räumung nun noch ein Weg frei ist für schwer erschwinglichen Mietraum in der zunehmend gentrifizierten Stadt. Denn der Gewinner des Tages ist womöglich kaum mehr die "öffentliche Ordnung" – da die Räumung auch laut Anwalt rechtswidrig und trotz der COVID-19-Pandemie, dazu bei sinkenden Temperaturen durchgeführt wurde, könnte die Situation eher dazu motivieren, sich weiter zu widersetzen –, sondern ein aufgrund seiner ganz eigenen Radikalität höchst umstrittener Großinvestor.
Das Gebäude in der Liebigstraße 34 war von der Siganadia GmbH gekauft worden, einer der vielen Firmen des berüchtigten Immobilienunternehmers Gijora Padovicz. Mehr als 200 ehemalige Mieter in Häusern der Unternehmensgruppe Padovicz (UGP) schlossen sich aufgrund der besonders aggressiven Methoden zwecks Vernichtung bezahlbaren Wohnraums zusammen, die sie zu spüren bekommen hatten. Padovicz hatte in den 1990er-Jahren mindestens 100 Häuser günstig erworben und zudem verschiedene Fördermittel in Höhe von mehr 16 Millionen Euro und Kredite erhalten. Neben fragwürdigen Mitteln wie willkürlicher Mieterhöhung und überhöhter Betriebskostenabrechnungen gegenüber den Mietern wird ihm Fördermittelbetrug vorgeworfen, Handwerker soll er nicht bezahlt haben. Außerdem lasse die Unternehmensgruppe Padovicz zu Spekulationszwecken Gebäude langfristig leer stehen, auch auf andere Weise habe das Immobilienunternehmen wertvollen Wohnraum zweckentfremdet.
Mit seinen zahlreichen Firmen macht das Padocvicz-Konglomerat, das laut Grundbuchamt im Jahr 2007 in Berlin Friedrichshain mindestens 200 Häuser besaß, nicht nur das Anmieten einer Wohnung für Normal- und Geringverdiener in der Hauptstadt praktisch unmöglich, sondern bedrohe mehrere tausend Menschen – keine Hausbesetzer, sondern normalverdienende Mieter – in der Stadt existenziell. Das berichten unter anderem verschiedene Mietervereine.
Auch die Immobilie in der Liebigstraße 34 konnte Padovicz günstig und auf umstrittenem Weg erwerben. Da Schulden auf dem Haus lasteten, sollte es zwangsversteigert werden, woraufhin die Bewohner planten, mitzubieten. Laut dem Anwalt des Hausprojekts hatte eine zerstrittene Erbengemeinschaft jedoch Vorverträge mit Padovicz über einen Kauf des Hauses abgeschlossen, wodurch dieser dann bei der Zwangsversteigerung so hoch bieten könne, wie er wollte, und hinterher nur den vereinbarten Preis bezahlte.
Dass mit der Übergabe an den Großinvestor alles zumindest nach außen hin sauberer wird – wie es jene andeuten, die Hausbesetzer mit Häme als Schmuddelkinder darstellen –, ist auch nicht gesagt. Beispielsweise wurden Wohnungen der Unternehmensgruppe Padovicz in Berlin-Grünau mit Arbeitsmigranten überbelegt, zwischenzeitlich lebten 55 Personen in vier Wohnungen, wodurch Lautstärke und Müll in die Gegend erst Einzug erhielten, während normale Mieter mit brutalen Entmietungstaktiken in Angst gehalten und verdrängt wurden.
Der Sozialwissenschaftler und kurzzeitige Staatssekretär Wohnen Andrej Holm fragt sich offenbar unabhängig von der fragwürdigen Praxis des Eigentümers, warum dieser ein größeres Anrecht haben soll als die Menschen, die dort wohnen. Laut Holm wäre eine politische Intervention sinnvoller, die sich an politischen Vereinbarungen orientiert, durch die Hausbesetzerprojekte durch Nutzungsverträge legalisiert wurden.
Statt viel Geld für eine Räumung auszugeben, müsse politischer Druck auf den Eigentümer ausgeübt werden. "Der ist dafür verantwortlich, dass aus einem ehemals besetzten Haus 30 Jahre nach der Legalisierung wieder ein Konfliktfall geworden ist", erklärte Holm der Berliner Zeitung.
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