Erst mehrere Jahre nach der Veröffentlichung von Informationen durch den ehemaligen NSA-Mitarbeiter Edward Snowden, der mehrjährigen Arbeit des Untersuchungsausschusses im Deutschen Bundestag und einem bedeutenden Urteil des Bundesverfassungsgerichts soll nun die Fernmeldeaufklärung des Bundesnachrichtendienstes (BND) konkreter reguliert werden.
Laut netzpolitik könnte der Bundesnachrichtendienst (BND) damit in Zukunft auf legaler Basis Mobilfunk- und Internetanbieter hacken dürfen. So sieht es der Gesetzentwurf vor, welcher laut Deutscher Presse-Agentur vom Kanzleramt in Ressortabstimmung gegeben wurde.
Eine Reform des BND-Gesetzes war durch ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts im Mai notwendig geworden. Die Richter aus Karlsruhe hatten der Politik aufgegeben, das Gesetz, das die Arbeit des deutschen Auslandsgeheimdienstes reguliert, wegen zahlreicher Defizite bis spätestens Ende 2021 grundlegend zu überarbeiten. Demnach findet das in Artikel 10 des Grundgesetzes formulierte Grundrecht des Brief-, Post- und Fernmeldegeheimnisses auch auf nichtdeutsche Staatsangehörige im Ausland Anwendung. Eine anlasslose, "globale und pauschale Überwachung ist nicht zulässig". Das Gericht verlangte nachvollziehbare Begründungen für Geheimhaltungen und für Abhörmaßnahmen. Die Rechtsstaatlichkeit der Spionagetätigkeiten müsse zudem von einer unabhängigen Stelle überwacht werden.
Der neue Gesetzentwurf formuliert nun explizit, wie der deutsche Geheimdienst durch sogenannte "Signals Intelligence" in IT-Systeme von Ausländern im Ausland eingreifen darf. So heißt es im von netzpolitik veröffentlichten, 111-seitigen Gesetzentwurf:
Der Bundesnachrichtendienst darf zur Erfüllung seiner Aufgaben mit technischen Mitteln personenbezogene Daten von Ausländern im Ausland auf der Grundlage zuvor angeordneter strategischer Aufklärungsmaßnahmen verarbeiten.
Das Aufklärungsfeld Terrorismus beispielsweise zeichne sich durch die Nutzung von Medien mit schwer knackbarer Verschlüsselung aus. In Einzelfällen könnten relevante Informationen auch im Bereich der politischen oder militärischen Aufklärung nur über Eingriffe in IT-Systeme im Ausland erlangt werden. Dies werde jedoch nicht persönliche IT-Endgeräte treffen, die auch viele private Informationen beinhalten können, wie Smartphones, sondern auf dienstlich genutzte IT-Systeme oder informationstechnische Infrastruktur, wie zum Beispiel "Netzwerkelemente einer militärischen Einrichtung in einem Krisenstaat". Diese Befugnis umfasst laut Gesetzentwurf neben der laufenden Telekommunikation auch auf dem informationstechnischen Gerät ruhende Daten. Dass somit Server oder Messenger, die von einer Vielzahl von Menschen genutzt werden, betroffen sein könnten, vom BND gehackt werden können, ist hier als unvermeidlich vorgesehen.
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Die Novellen stellen laut Kanzleramt aber kaum eine Ausweitung der Befugnisse da, zumal dies bereits zur Praxis gehöre.
Die Erhebung von Daten aus informationstechnischen Systemen von Ausländern im Ausland ist für die Aufgabenerfüllung des Bundesnachrichtendienstes unverzichtbar und erfolgt – unter Einhaltung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes sowie strenger formeller Hürden – bereits aktuell. Eine Befugniserweiterung ist daher mit der Regelung in § 36 nicht verbunden.
Hohe Mehrkosten – Endsumme unklar
Doch ist mit der Umsetzung des Gesetzes ein Mehrbedarf an Personal und Sachmitteln sowohl beim Bundeskanzleramt als auch beim Bundesnachrichtendienst verbunden. Der Bedarf beim Bundeskanzleramt gründet in der Einrichtung des Unabhängigen Kontrollrates in Höhe von rund 9,7 Millionen Euro jährliche Personal- und zugehörige Sachkosten. Überdies entstehe ein einmaliger Verwaltungsaufwand von rund fünf Millionen Euro. Beim BND entstünden jährliche Ausgaben in Höhe von voraussichtlich 73,3 Millionen Euro und einmalig Ausgaben in Höhe von voraussichtlich 300 Millionen Euro.
Der konkrete Erfüllungsaufwand bei Bundeskanzleramt und Bundesnachrichtendienst lässt sich laut Kanzleramt derzeit nicht abschließend ermitteln, sondern könne wohl erst nach Inkrafttreten der gesetzlichen Regelung vorgenommen werden.
Bei der anlasslosen "strategischen" Auslands-Überwachung soll der BND ganze Kommunikations- und Diensteanbieter durchforsten dürfen. Bereits bisher durchsucht der deutsche Auslandsgeheimdienst ohne bestimmten Verdacht große Datenströme auf interessante Informationen. Laut BND werden jeden Tag ungefähr 154.000 Kommunikationsbeziehungen erfasst, von denen sich am Ende etwa 260 als relevant herausstellen.
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Deutsche Bürger dürfen nicht auf diese Weise überwacht werden. Der BND versucht deshalb, ihre Kommunikation vor der inhaltlichen Auswertung anhand eines mehrstufigen, automatisierten Filtersystems auszusortieren und "unwiederbringlich zu löschen".
Dieser Bereich der Aufklärung war bis zum Jahr 2016 rechtlich komplett ungeregelt. Erst als Reaktion auf die Enthüllungen des Whistleblowers Edward Snowden im NSA-Skandal hatte die Politik das BND-Gesetz reformiert und die Befugnisse des Nachrichtendienstes Ende 2016 beschrieben.
"Da die technische Aufklärung von Ausländern wegen ihrer Geheimhaltungsbedürftigkeit nur sehr begrenzte Auskunfts- und Benachrichtigungspflichten gebietet und deshalb individueller Rechtsschutz kaum wirksam zu erlangen ist, muss dies mit der objektiv-rechtlichen Kontrolle durch eine unabhängige Stelle kompensiert werden", heißt es in dem Entwurf.
Dafür soll ein Kontrollrat installiert werden, der von dem durch das Parlament legitimierten Parlamentarischen Kontrollgremiums (PKGr) gewählt wird und aus vier Bundesrichtern und zwei Bundesanwälten besteht. Zudem soll der Kontrollrat fähige Techniker zur Seite gestellt bekommen, um die Überwachungspraxis selbst fachkundig überprüfen zu können. Die erwähnten Mehrkosten werden vorrangig mit der Einrichtung des Kontrollrates begründet.
Berufsgeheimnisträger explizit nicht immer schützenswert
Mit dem Gesetz soll auch die Kommunikation von Berufsgeheimnisträgern wie Anwälten oder Journalisten vor Überwachung besser geschützt werden.
Da die Pressefreiheit ohne Informantenschutz kaum zu gewährleisten sei, solle "ein gezieltes Eindringen in solche schutzwürdige Vertraulichkeitsbeziehungen" nur noch mit sehr triftigen Gründen stattfinden können, so die Verfassungsrichter.
Allerdings behält sich das Kanzleramt vor – wie in anderen Bereichen ebenfalls auf der Basis vage formulierter, auslegbarer Vorgaben – zu beurteilen, ob nicht Anlass besteht, auch die vertrauliche Kommunikation von "Geistlichen, Rechtsanwälten und Journalisten" auszuforschen. Im Ausnahmefall könnte sich der BND auch damit befassen – zur Abwehr "schwerwiegender Gefahren" für die außenpolitischen Interessen der Bundesrepublik.
Zudem, so der Entwurf des Kanzleramtes, gelte der besondere Schutz nur für Journalisten, die frei und unabhängig arbeiteten – und nicht für jene Medienvertreter, die Staatspropaganda und gezielt "Fake News" verbreiteten oder gar für ausländische Nachrichtendienste tätig seien.
Nicht schutzwürdig seien somit Journalisten, die "für den sogenannten Islamischen Staat tätig sind oder unter dem Deckmantel des Journalismus bewusst Fake News" produzieren, "um auf diese Weise im Auftrag einer ausländischen Macht auf die inländische Bevölkerung einzuwirken und destabilisierend zu wirken."
Dies gilt erst recht hinsichtlich Vertretern staatlicher Presseorgane autoritärer Staaten oder als Journalisten getarnten Vertretern fremder Nachrichtendienste, für die bereits der persönliche Schutzbereich des Artikel 5 Absatz 1 des Grundgesetzes nicht eröffnet ist.
Gleichfalls keines Schutzes bedürfen laut dem Gesetzentwurf Rechtsanwälte, soweit deren Tätigkeit nicht von Freiheit und Unabhängigkeit geprägt ist, etwa wenn sie im Auftrag autoritärer Staaten tätig werden. Gleiches gilt für Geistliche, die in ihrer Eigenschaft als Seelsorger zur Radikalisierung beitragen oder anstiften. Unsicherheiten seien "auf der Grundlage informierter Einschätzungen zu begegnen", also der Bundesnachrichtendienst hat "auf Grundlage entsprechender tatsächlicher Feststellungen sorgfältig zu prüfen", ob eine solche Ausnahmesituation gegeben ist.
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