von Susan Bonath
Vorausschauendes Handeln widerspricht der Logik der schnellen Profite. Dementsprechend agierte auch die Atomindustrie über Jahrzehnte. Doch wohin nun mit dem radioaktiven Strahlenmüll? Die Bundesgesellschaft für Endlagerung (BGE) soll das herausfinden. In ihrem am Montag vorgestellten Zwischenbericht blickt sie dafür eine Million Jahre in die Zukunft dieses "Sondermülls". Denn mindestens so lange müsste wegen der Halbwertszeiten die bewohnbare Umwelt vor dessen Strahlung geschützt werden. Der lange anvisierte Salzstock im niedersächsischen Gorleben ist demnach zwar sogar ungeeignet und damit aus dem Rennen. Aber dafür halten die beauftragen 70 Wissenschaftler nun sogar rund ein Drittel der Fläche Deutschlands als Endlagerstätte für geeignet.
Weite Gebiete im Norden, Süden und Osten "geeignet"
Die Geologen hatten dafür drei Jahre lang die Beschaffenheit des Bodens analysiert. Allein im Norden der Bundesrepublik weisen sie eine Gesamtfläche von rund 130.000 Quadratkilometern mit Salz- und Tongestein im Untergrund als nutzbar aus. Die neun Teilstücke befinden sich in Niedersachsen, Schleswig-Holstein, Mecklenburg-Vorpommern, Brandenburg und Berlin.
Von Ostsachsen über Bayern bis nach Baden-Württemberg benannten sie sieben weitere Regionen, in denen ihrer Analyse zufolge ein Atommüll-Endlager entstehen könne. Die Gesamtfläche dieser Granitgesteinsformationen beträgt etwa 80.000 Quadratkilometer. Ebenfalls in Frage kommen danach 84.000 Einzelteilstücke mit einer Fläche von insgesamt 30.000 Quadratkilometern in Sachsen-Anhalt, Thüringen und Ost-Niedersachsen. Dort befinden sich vor allem Salzstöcke.
500 Jahre Rückholung soll möglich sein
Dauerhaft eingelagert werden müssen – neben schwach- und mittelradioaktivem Atommüll – rund 27.000 Kubikmeter hochradioaktiver Kraftwerksabfall. Die Suche nach geeigneten Orten begann auf Grundlage des Endlagersuchgesetzes aus dem Jahr 2017. Vor knapp drei Wochen stimmte die Mehrheit des Bundestages – gegen die Stimmen der AfD und bei Enthaltung der Linksfraktion – zudem einer neuen Sicherheits-Verordnung der Bundesregierung zu.
Danach sollen die nun präsentierten "geeigneten Gebiete" weiter untersucht und eingegrenzt werden. Das zuständige Bundesamt für die Sicherheit nuklearer Entsorgung (BASE) will dafür eine "Fachkonferenz Teilgebiete" einrichten. Für 2022 ist der Atomausstieg Deutschlands anvisiert, bis 2031 soll eine Lösung gefunden werden. Die Fässer sollen ab 2050 laut Richtlinie mindestens 300 Meter unter der Erdoberfläche verbuddelt werden. Außerdem sei dabei für die nächsten 500 Jahre eine mögliche Rückholung sicherzustellen.
Umweltschützer nicht in Suche einbezogen
Der Bund für Umwelt und Naturschutz (BUND) kritisierte, bislang seien weder er noch andere Umweltorganisationen in das Verfahren einbezogen worden. "Eine unabhängige Prüfung der Suche und eine kritische Einschätzung der Auswahl waren somit unmöglich", konstatierte der Verband. An der bereits im Oktober erstmals tagenden "Fachkonferenz Teilgebiete" dürfe man sich dann zwar beteiligen. Allerdings müssten bereits bis Juni 2021 alle Einwände vorgetragen werden. Das sei ein viel zu kurzer Zeitraum. Gleichberechtigung sehe anders aus, rügte der Verband.
Die Fraktion Die Linke im Bundestag befürchtet Ähnliches. Trotz der guten Nachricht, dass Gorleben wegen Sicherheitsproblemen raus sei, "werden die Sorgen, dass es kein transparentes und partizipatives Verfahren geben wird, derzeit noch größer", klagte deren Linken-Sprecher für Atomausstieg, Hubertus Zdebel. Er forderte die zuständigen Behörden auf, "alle Fakten und Daten auf den Tisch" zu legen. Nur so könne das Vertrauen der Bevölkerung zurückgewonnen werden.
Laut BUND sieht es für das Offenlegen von Fakten nicht gut aus. Geologische Daten im Zwischenbericht stammten teils von Rohstofffirmen und würden nicht öffentlich behandelt. Nur das nationale Begleitgremium dürfe diese einsehen. Darüber hinaus sei die Zeitspanne zur Kommentierung des Berichts mit nur vier Monaten viel zu eng gesetzt. "Eine Befähigung der Zivilgesellschaft zum Austausch, beispielsweise durch finanzielle Mittel für kritische Gutachterinnen, wurde abgelehnt", so die Organisation.
Die Umweltschützer mahnen zudem, dass die Zeit für eine sichere und dauerhafte Lösung dränge. Jahrzehntelang hätten Politik und Atomindustrie das Entwickeln von Lösungen vor sich hergeschoben. "Bis heute lagert der Müll in havarierten Lagern wie Morsleben und Asse oder steht in unsicheren Zwischenlagern", konstatiert der BUND.
Unsichere Salzstöcke?
Sowohl in Asse (Niedersachsen) als auch in Morsleben (Sachsen-Anhalt) lagern radioaktive Fässer in Salzbergwerken. Dieses geologische Material leitet Fachleuten zufolge zwar entstehende Wärme besonders gut ab. Allerdings ist es wasserlöslich. Besonders in Asse ist das Problem mit einsickernder Feuchtigkeit so weit fortgeschritten, dass der Atommüll in aufwendigen Verfahren herausgeholt werden soll. Im knapp 40 Kilometer vom Schacht Asse II entfernten "Endlager" Morsleben droht Ähnliches.
Bisher ist lediglich der Schacht Konrad – ein ehemaliges Eisenerzbergwerk – im niedersächsischen Salzgitter als Endlager für schwach- und mittelradioaktive Abfälle genehmigt. Laut Plan könnte dort die Einlagerung 2027 starten.
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