Laut einer repräsentativen Bevölkerungsumfrage des Bundesinstituts für Risikobewertung (BfR) vom April dieses Jahres vertrauen 54 Prozent der Bevölkerung den staatlichen Stellen, dass diese die Gesundheit schützen und mehr als drei Viertel der Bevölkerung halten Lebensmittel in Deutschland für sicher.
Doch wenn ein appetitliches Waffeltörtchen tatsächlich eine gesundheitliche Gefahr darstellt, da sich darin genotoxische und krebserregende Kontaminanten befinden; oder wenn Fleisch wieder einmal mit Listerien belastet ist oder in Käse sowie gleich in mehreren Schokoladensorten Kunststofffremdkörper und im gern für Kleinkinder gekauften Bio-Tee erhöhte Werte sogenannter Pyrrolizidinalkaloiden (PA) und Tropanalkaloiden (TA) enthalten sind, die die Leber schädigen und im Tierversuch erbgutverändernde und krebsauslösende Wirkungen zeigen – dann sind unsichere Lebensmittel bereits jetzt Alltag, wie ein Blick auf die Internetseite "Lebensmittelwarnung" des Bundesamtes für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit zeigt.
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Die empörenden Nachrichten über systematische Missachtung von Vorgaben sowohl im Verbraucher- als auch im Tier- und Arbeitnehmerschutz beim prominenten Schlachthof Tönnies waren noch in den Schlagzeilen, als sich die zuständige Bundesernährungsministerin Julia Klöckner (CDU) erfolgreich für noch weniger Sicherheit im Lebensmittelbereich engagierte, indem vorgeschriebene Betriebskontrollen reduziert würden. Dieses Anliegen hat die Ministerin so weit vorangebracht, dass das Kabinett die Reform Ende Juli verabschiedete, und schon am 18. September der Bundesrat darüber entscheiden soll.
Laut der nicht staatlichen Verbraucherschutzorganisation foodwatch werden bereits bisher in keinem einzigen Bundesland die vorgegebenen Kontrollfrequenzen eingehalten, unter anderem weil die zuständigen Behörden personell unterbesetzt sowie finanziell und anderweitig gar nicht ausreichend ausgestattet sind.
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Diesen Missstand "behebt" das zuständige Bundesernährungsministerium jedoch nicht etwa durch eine angemessenere Ausstattung der Behörden. Vielmehr sollen die in der Verwaltungsvorschrift (der sogenannten Allgemeinen Verwaltungsvorschrift Rahmen-Überwachung AVV RÜb) vorgegebenen Kontrollfrequenzen einfach drastisch reduziert und so "nicht das Personal an die Aufgaben, sondern die Aufgaben an den Personalmangel angepasst" werden, wie foodwatch es formuliert. Und wie so oft enthält diese Klöckner-Reform auch gleich einen scheinbaren argumentativen Hammer gegen mögliche Skeptiker, schließlich sollen demnach die Behörden zusätzliche Kontrollen machen – allerdings ist dies nicht mehr verbindlich. Das Landwirtschaftsministerium argumentiert, mit der Reform solle sichergestellt werden, dass "Problembetriebe" öfter kontrolliert werden. Die Länder sollen aber gleichzeitig sicherstellen, dass die anderen Lebensmittelunternehmen auch weiterhin "in angemessenem Umfang" überprüft werden. Damit wird erneut mehr Verantwortung auf lokale Behörden abgewälzt, womit die Durchführung von Lebensmittelkontrollen in den Landkreisen und Städten noch stärker als ohnehin schon von der finanziellen Lage und anderen Faktoren der jeweiligen Länder abhängt. Mehr als 149.000 Bürger haben bereits eine von der Verbraucherorganisation foodwatch initiierte Petition an die Bundesländer unterzeichnet, der Reform im Bundesrat nicht zuzustimmen.
"Wenn die Landesregierungen die Lebensmittelsicherheit nicht markant absenken und dem nächsten Skandal Vorschub leisten wollen, müssen sie diese wahnwitzigen Pläne im Bundesrat stoppen", sagte foodwatch-Geschäftsführer Martin Rücker der Nachrichtenagentur AFP. Unterstützung erhielt die Organisation Ende August von den Amtstierärzten, Lebensmittelkontrolleuren und dem Verbraucherzentrale Bundesverband. "Die Klöckner-Reform wäre vielleicht ein vorgezogenes Weihnachtsgeschenk an Herrn Tönnies, aber eine gravierende Schwächung des Verbraucherschutzes", warnte foodwatch-Geschäftsführer Rücker.
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