In Deutschland hatte die Debatte über Aufnahme weiterer Asylsuchender zuletzt an Schärfe zugenommen. Grüne, Linke, die SPD und mehrere Kommunen hatten in den vergangenen Tagen dazu aufgerufen, weitere Migranten aus Griechenland aufzunehmen. Innerhalb der CDU gibt es jedoch auch Gegenstimmen. Zugleich warnt der griechische Ministerpräsident Kyriakos Mitsotakis vor falschen Signalen. Er befürchtet einen Pull-Effekt.
Am vergangenen Freitag hatte Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) mitgeteilt, Deutschland werde von insgesamt 400 unbegleiteten Minderjährigen, die aus Griechenland in andere europäische Länder gebracht werden sollen, 100 bis 150 Jugendliche aufnehmen. Die Entscheidung erfolgte nach dem Brand in dem überfüllten Flüchtlingslager Moria auf der griechischen Insel Lesbos.
SPS-Vize Kühnert forderte Seehofer zum Rücktritt auf, sollte er seine Haltung in der Frage der weiteren Aufnahme aus Moria nicht ändern
Nun sollen auch 1.500 weitere Migranten von den griechischen Inseln folgen. Wie die Deutsche Presse-Agentur am Dienstag von Innenpolitikern erfuhr, handelt es sich dabei um Familien mit Kindern, die in Griechenland bereits als schutzbedürftig anerkannt wurden. Den Angaben zufolge ist der Vorschlag mit der griechischen Regierung bereits besprochen worden. Ob die SPD dem zustimmen wird, war zunächst noch offen.
Die SPD-Vorsitzende Saskia Esken hatte jedoch zuletzt gefordert, Deutschland müsse zusätzlich zu den bereits gemachten Hilfsangeboten mehrere Tausend Geflüchtete aus Griechenland aufnehmen. SPD-Vizechef und Juso-Vorsitzender Kevin Kühnert forderte Innenminister Seehofer gar zum Rücktritt auf, sollte dieser seine Haltung in der Frage der weiteren Aufnahme von Flüchtlingen aus Moria nicht ändern. So sagte Kühnert der Rheinischen Post am Dienstag, die SPD habe der Union "nun 48 Stunden Zeit gegeben", "um sich endlich zu besinnen und zu praktikablen Vorschlägen zur Beendigung des Elends zu kommen". Demnach forderte der SPD-Politiker von Seehofer, endlich seine Blockade aufzugeben und die Hilfe derer zuzulassen, die helfen wollten und könnten.
Doch innerhalb der CDU selbst gibt es Gegenwind. Der Kandidat für den CDU-Vorsitz, Friedrich Merz, sieht die Suche nach einer europäischen Lösung für die Verteilung von Migranten äußerst skeptisch. So sagte der gegenüber der dpa:
Wenn ich es richtig sehe, hat Griechenland bisher nicht darum gebeten, Flüchtlinge aus Lesbos in der Europäischen Union aufzunehmen und auf einzelne Länder zu verteilen. Außer Luxemburg und Deutschland ist dazu ohnehin zum gegenwärtigen Zeitpunkt kein anderes Mitgliedsland der EU bereit.
Es mache daher weder Sinn, weiter nach einer "europäischen Lösung" zur Verteilung zu suchen, noch in einen Überbietungswettbewerb in Deutschland einzutreten, wie viele Migranten wir denn aufnehmen sollen", ergänzte Merz. Vielmehr sollte Berlin den Griechen "mit allen Mitteln, die wir haben", helfen, die Geflüchteten dort menschenwürdig unterzubringen.
Auch der innenpolitische Sprecher der Unionsfraktion, Mathias Middelberg, widersprach vielen seiner Parteikollegen und warnte vor einem deutschen Alleingang. So sagte er am Dienstag im ARD-Morgenmagazin, dass Deutschland es nicht allein machen dürfe. Mit einem deutschen Alleingang würde das "falsche Signal" gesetzt. Er sei dafür, dass in der EU "möglichst viele im Gleichschritt" vorangehen.
Doch auch Griechenland selbst möchte einen sogenannten Pull-Effekt verhindern. Die griechische Regierung hatte zuletzt stets betont, man werde keinen einzigen Flüchtling aus Moria ausreisen lassen. Der griechische Ministerpräsident Mitsotakis hatte dies nochmals am Montag klargestellt. Wegen der Ursache des Feuers im Migrantencamp – obwohl die Untersuchungen noch andauern – hatte Mitsotakis bereits gesagt:
Es besteht kein Zweifel, dass Moria von einigen hyperaktiven Flüchtlingen und Migranten verbrannt wurde, die die Regierung erpressen wollten, indem sie Moria niederbrannten und ihre sofortige Umsiedlung von der Insel forderten.
Die griechische Regierung lasse sich aber nicht erpressen, so Mitsotakis. Deshalb müssten alle 12.000 Migranten auf der Insel Lesbos bleiben und sich in das neue, provisorische Lager einquartieren lassen.
Athen befürchtet, man würde Anreize setzen, dass auch in anderen Camps auf anderen Inseln Unruhen entstehen oder Unterkünfte angezündet werden
Der Migrationsminister Notis Mitarakis wählte noch schärfere Worte:
Wenn einige Leute denken, sie könnten hier einen Aufruhr organisieren, bekommen dann Asyl und könnten dann in ein anderes europäisches Land, dann irren sie sich.
Wenn sie das durchgehen lassen würden, so der Minister, könnte das andere ermuntern, sie nachzuahmen. Athen befürchtet, man würde Anreize setzen, dass auch in anderen Camps auf anderen Inseln Unruhen entstehen oder Unterkünfte angezündet werden. Tausende Migranten und Flüchtlinge sind auch in den Camps auf den Inseln Leros, Samos, Chios und Kos untergebracht. Athen forderte die nun obdachlos gewordenen Menschen auf Lesbos dazu auf, umgehend in das neue, provisorische Zeltlager zu gehen.
Ab kommenden Montag werden Asylverfahren nur für jene bearbeitet, die im Lager sind", erklärte Mitarakis.
Wie der Sender ERT berichtet, wolle die Regierung per Handzettel an Migranten auf Lesbos appellieren, das neue Zeltlager aufzusuchen. Bisher sollen nur 600 dort eingezogen sein. Das neue Zeltlager könne jetzt mehr als 5.000 Migranten aufnehmen, erklärte aber Mitarakis. In den kommenden Tagen solle es weiter ausgebaut werden, bis alle 12.000 Menschen, die jetzt obdachlos sind, untergebracht sind. Auch aus Deutschland kam bereits Hilfe. Das Deutsche Rote Kreuz (DRK) schickte am Sonntag und Montag nach eigenen Angaben insgesamt vier Flugzeuge mit großen Zelten nach Lesbos.
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