Der stellvertretende SPD-Vorsitzende Kevin Kühnert hat sich in einem Interview mit der taz gegen eine Fortsetzung der Großen Koalition nach der Bundestagswahl im kommenden Jahr ausgesprochen. Kühnert ist aktuell auch Bundesvorsitzender der Jusos, hat aber bereits angekündigt, sein Amt beim Bundeskongress im November "zur Verfügung" stellen zu wollen.
Der SPD-Politiker strebt nunmehr offiziell für ein Bundestagsmandat seine Direktkandidatur im Berliner Wahlkreis Tempelhof-Schöneberg an und hat übrigens damit das Kandidatenkarussell in der Berliner Sozialdemokratie mächtig in Bewegung gebracht. Kühnert wird ebenso nachgesagt, dass er auf den Platz 1 der Landesliste schielt – genauso wie der Regierende Bürgermeister von Berlin Michael Müller. Aber auch wenn es am Ende nicht Platz 1 wird, dürfte sich Kühnert dennoch auf einem der aussichtsreichsten Listenplätze wiederfinden. Seine Wahl in den Bundestag wäre damit trotz derzeit schwacher Umfragewerte für die SPD ziemlich sicher.
Auf die Frage, ob eine Fortsetzung der Großen Koalition nach 2021 für ihn denkbar sei, antwortete Kühnert wörtlich:
Nur über meine Leiche – also politisch gesehen. Die Groko funktioniert in dieser Krise ganz okay, weil die Union nicht so viel im Weg 'rumsteht. Aber alle grundlegenden Argumente gegen die Dauer-Groko sind noch immer richtig.
Kühnert vertrat zudem die Auffassung, "Olaf Scholz (und mit ihm die Politik der SPD)" habe sich "spürbar nach links bewegt". Auf die Frage, ob er verstehe, wenn Linke der SPD noch immer misstrauen – also die indirekte Frage danach, ob Olaf Scholz der geeignete Kanzlerkandidat ist – reagierte Kühnert so:
(…) Wer nur sagt: Scholz ist ein Neoliberaler, der den Sozialstaat abbaut, hat es sich in einer vermeintlichen Gewissheit bequem gemacht und zuletzt vermutlich auch wenig die Nachrichten verfolgt. Der Clou ist doch: Die richtige Politik wird manchmal von den vermeintlich falschen Leuten gemacht.
Scholz selbst hat sich indes noch nicht zu möglichen Koalitionsvarianten nach den Wahlen geäußert. Einzig die Parteichefin Esken hatte sich zuvor offen für ein rot-rot-grünes Bündnis geäußert. Auch Kühnert kann sich ein solches Bündnis vorstellen. Esken hatte jedoch auch nicht ausgeschlossen, dass die SPD darin Juniorpartner sein könne.
Nach den letzten Bundestagswahlen sah die SPD ihre Rolle zunächst in der Opposition. Erst nach dem Scheitern der Verhandlungen zwischen CDU/CSU, FDP und den Grünen sowie auf Drängen des Bundespräsidenten zeigte sie sich für eine Fortsetzung der Großen Koalition bereit – aus "staatspolitischer Verantwortung", wie es damals vielfach hieß.
Nach heutigem Stand dürften die politischen Verhältnisse jedoch mindestens ähnlich "schwierig" werden – jedenfalls dann, wenn man weiterhin in den tradierten Strukturen der alten westdeutschen Bundesrepublik denkt. Auch ein im Raum stehendes rot-rot-grünes Bündnis käme jedoch nach Umfragen aktuell rechnerisch auf lediglich rund 42 Prozent.
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