Die Linken-Politikerin Sahra Wagenknecht sieht im Fall Nawalny eine Doppelmoral am Werk. Die ehemalige Fraktionschefin der Linken im Bundestag warnte in der Debatte über Konsequenzen gegenüber Russland nach der mutmaßlichen und ungeklärten Vergiftung Alexei Nawalnys vor Doppelstandards der Bundesregierung.
Der Fall des russischen Oppositionspolitikers Nawalny, der derzeit in der Berliner Charité behandelt wird, dient einigen Funktionären im Bundestag als Anlass, den ungeklärten Anschlag auf ihn zu einer Forderung nach einem Baustopp für Nord Stream 2 zu nutzen.
Wagenknecht warnte in der Debatte um mögliche Strafmaßnahmen gegen Russland vor "Heuchelei" und beklagte sich über die Sanktionspolitik der Regierung gegen Handelspartner, da diese in Berlin nicht gleich behandelt würden. Sie verwies in ihrem Interview mit der "Neuen Osnabrücker Zeitung" auf schwere Verstöße vonseiten Saudi-Arabiens und der USA.
Wer mit Verweis auf Nawalny ein Aus für die Erdgas-Pipeline Nord Stream 2 fordere, müsse alle anderen Rohstofflieferanten Deutschlands nach den gleichen Kriterien bewerten und auch da Konsequenzen verlangen. Alles andere sei Heuchelei. "Aber selbst wenn der Kreml dafür verantwortlich sein sollte (wofür es bisher keine Belege gibt), ist es auch nicht abscheulicher, als Oppositionelle zu köpfen oder zu Tode zu peitschen, wie es in Saudi-Arabien, von dem wir Öl beziehen, gängige Praxis ist", so Wagenknecht. Sie sagte weiter:
Es ist auch nicht abscheulicher, als unschuldige Zivilisten mit Drohnen zu zerfetzen, wie es die Vereinigten Staaten, die uns ihr Fracking-Gas liefern, in weit mehr als tausend Fällen getan haben.
Die Ostsee-Pipeline Nord Stream 2, deren Fertigstellung bevorsteht, soll russisches Gas nach Deutschland liefern. Nach der Causa Nawalny ist nun eine Debatte entbrannt, ob das Vorhaben gestoppt werden sollte. Außenminister Heiko Maas erklärte bereits: "Ich hoffe nicht, dass die Russen uns zwingen, unsere Haltung zu Nord Stream 2 zu ändern." Er betonte gleichzeitig, dass ein Stopp der fast fertig gebauten Pipeline auch deutschen und europäischen Firmen schaden würde.
Wenn es in den nächsten Tagen auf der russischen Seite keine Beiträge zur Aufklärung des Angriffs auf Herrn Nawalny gibt, werden wir mit unseren Partnern über eine Antwort beraten müssen", so Maas weiter.
Mittlerweile meldete sich auch Oskar Lafontaine, Fraktionsvorsitzender der Linken im saarländischen Landtag, zu Wort. Dieser hatte sich ebenfalls über die Doppelstandards der Bundesregierung beklagt. Die Bundesregierung unterstelle Russland, in Nawalnys Vergiftung verwickelt zu sein, was nicht bewiesen sei. Die Frage laute aber, ob die Bundesregierung moralisch berechtigt sei, "solche Verbrechen gegen die Menschlichkeit" zu verurteilen. "Eine Regierung, die sich selbst an völkerrechtswidrigen Kriegen beteiligt, in denen viele Tausende Menschen grausam ums Leben kommen", sagte Lafontaine.
Die Bundesregierung hat seit Anfang 2019 Rüstungsexporte für mehr als eine Milliarde Euro an Länder genehmigt, die am Jemen-Krieg beteiligt sind. Damit befeuerte sie den seit fünf Jahren andauernden Krieg. Beispielsweise an die Vereinigten Arabischen Emirate, die an der Seite Saudi-Arabiens im Krieg involviert sind und Kriegsverbrechen gegen die Zivilbevölkerung im Jemen verübt haben.
Auch der Linken-Politiker Gregor Gysi kritisierte eine Ungleichbehandlung. "Bei Russland würden alle sofort nach Sanktionen rufen. Bei anderen Ländern sei man äußerst vorsichtig." Als Beispiel nannte er Saudi-Arabien und den Fall des getöteten Journalisten Khashoggi. Ähnlich hatte sich Linken-Fraktionschef Dietmar Bartsch geäußert. Die derzeitige Debatte über einen möglichen Stopp des Gaspipeline-Projekts Nord Stream 2 halte er für völlig falsch. Hinsichtlich des ungeklärten Anschlags auf Nawalny warnte er vor voreiligen Schlüssen. "Das Allererste ist, dass aufgeklärt wird. Und da haben alle mitzuwirken", sagte der Linken-Politiker. Ansonsten gelte in einem Rechtsstaat immer die Unschuldsvermutung. "Ich will jetzt überhaupt nicht spekulieren, weil das ist genau das, was in Deutschland reichlich passiert", so Bartsch weiter. Für viele stehe fest, was passiert sei. "Für mich nicht."
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