Das im Berliner Neutralitätsgesetz enthaltene pauschale Verbot des Tragens religiöser oder anderer weltanschaulicher Symbole im Schulunterricht stelle eine nicht hinzunehmende Diskriminierung wegen der Religion dar, urteilte am Donnerstag das Bundesarbeitsgericht.
Die Richter in letzter Instanz bestätigten somit im Ergebnis das Urteil des Landesarbeitsgerichts (LAG) Berlin-Brandenburg, das einer muslimischen Bewerberin für eine Stelle als Lehrerin eine Diskriminierungsentschädigung zugesprochen hatte. Das Land Berlin war gegen dieses Urteil in Revision gegangen, die nun in Erfurt abgewiesen wurde.
Die Klägerin hatte vom Landesarbeitsgericht eineinhalb Monatsgehälter zugesprochen bekommen, insgesamt 5.159 Euro. Auch diese Summe wurde nun vom Bundesarbeitsgericht bestätigt.
Die muslimische Klägerin, eine Diplominformatikerin, hatte sich als Quereinsteigerin für Gymnasien, Sekundarschulen und Berufsschulen beworben. An den letzten zwei Einrichtungen wurde sie abgelehnt, unter anderem, weil es ausreichend Bewerber mit entsprechender Laufbahn gab, denen man vor Quereinsteigern den Vorzug gab. Bei einem Bewerbungsgespräch soll ein Schulrat sie darauf hingewiesen haben, dass sie aufgrund des Berliner Neutralitätsgesetzes nicht mit Kopftuch am Gymnasium unterrichten dürfe. Sie war aber nicht bereit, das Kopftuch abzulegen, obwohl dieses dort nicht gestattet ist. Daraufhin klagte sie und verlangte eine Entschädigung.
Die Berliner Richter hatten sich bei ihrem Urteil auf eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 27. Januar 2015 zum pauschalen Kopftuchverbot in Nordrhein-Westfalen gestützt. Danach sei der damit verbundene Eingriff in die Religionsfreiheit "erst dann zu rechtfertigen, wenn eine hinreichend konkrete Gefahr für den Schulfrieden oder die staatliche Neutralität feststellbar ist". Diese konkrete Gefahr sei hier aber nicht feststellbar, so das Landesarbeitsgericht. Dies bestätigte nun auch das Bundesarbeitsgericht.
Das in den Berliner Bestimmungen enthaltene pauschale Verbot, religiöse oder weltanschauliche Symbole sichtbar im Schulunterricht zu tragen, sei mit der Verfassung nicht vereinbar. Allerdings könne die Regelung "verfassungskonform" ausgelegt werden. Damit sei ein Verbot nur bei konkreten Gefahren, wie etwa die Störung des Schulfriedens, zulässig. Diese Gefahren habe das Land im Streitfall aber nicht dargelegt. Eine Vorlage des Verfahrens vor dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) lehnte das Bundesarbeitsgericht ebenfalls ab.
Auch innerhalb des rot-rot-grünen Senats ist das Neutralitätsgesetz umstritten. Die SPD mit Bildungssenatorin Sandra Scheeres will am Gesetz festhalten, während die Grünen mit Justizsenator Dirk Behrendt das Neutralitätsgesetz noch in dieser Legislaturperiode ändern wollen. Demnach sollen geeignete Lehrkräfte nicht länger diskriminiert werden. Behrendt schrieb nun auf Twitter:
In der multireligiösen Gesellschaft muss es darum gehen, was jemand im Kopf und nicht auf dem Kopf hat.
Enttäuscht nach dem Urteil zeigte sich dagegen Bildungssenatorin Scheeres:
Wir hätten uns eine andere Entscheidung gewünscht", teilte sie mit.
Viele Schulleitungen hätten ihr berichtet, dass es ihnen in einer auch religiös so vielfältigen Metropole wie Berlin wichtig sei, dass die Lehrkräfte neutral auftreten.
Rechtsanwältin Seyran Ateş, die das Land in den Verfahren vertreten hat, sagte laut Tagesspiegel, sie sei in ihrem Alltag ständig dem Drängen und Drohen von Muslimen ausgesetzt. Wenn der Staat Lehrerinnen das Kopftuch erlauben würde, könnte er damit unzulässigerweise für eine bestimmte Interpretation des Koran Partei ergreifen. Die muslimische Kopfbedeckung sei eine "nonverbale Vermittlung bestimmter Moralvorstellungen". Es dürfe nicht den Schulkindern und deren Eltern überlassen werden, gegen eine religiöse Einflussnahme von Lehrkräften Widerstand zu leisten.
Das Berliner Neutralitätsgesetz erlaubt als einzige Ausnahme für Lehrerinnen mit Kopftuch, dass sie an Berufsschulen unterrichten dürfen, weil die Schüler dort meist schon volljährig und somit weniger beeinflussbar seien.
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