von Kani Tuyala
Mit der Begründung, dass sich die Veranstalter sowie die Teilnehmer wohl nicht an die vorab vereinbarten Hygiene-Regeln halten werden, wurden die für das kommende Wochenende in Berlin geplanten Proteste gegen die Corona-Maßnahmen von der Berliner Versammlungsbehörde verboten.
Schließlich hätten die entsprechende Veranstaltung am 1. August gezeigt, dass Veranstalter und Teilnehmer bewusst gegen die vorab vereinbarten Regeln verstoßen hätten. Laut dem Berliner Innensenator Andreas Geisel (SPD) sei daher auch für das kommende Wochenende "mit Verstößen gegen die geltende Infektionsschutzverordnung zu rechnen".
Sollte eine, zugegebenermaßen nicht von der Hand zu weisende, Vermutung tatsächlich als rechtlich ausreichende Basis für die Verhängung des Demonstrationsverbots gelten? Was vermeintlich so plausibel und einleuchtend daherkommt, entpuppt sich bei näherer Betrachtung als weiterer Schlag gegen die in den letzten Monaten oft zitierten Grundrechte. Diese werden jedoch angeblich nur von durchgeknallten "Reichsbürgern", sonstigen "Rechtsextremen" und natürlich den "Verschwörungstheoretikern" durch die Corona-Maßnahmen und deren gesellschaftlichen und politischen Auswirkungen als gefährdet betrachtet.
Ich bin nicht bereit, ein zweites Mal hinzunehmen, dass Berlin als Bühne für Corona-Leugner, Reichsbürger und Rechtsextremisten missbraucht wird. Ich erwarte eine klare Abgrenzung aller Demokratinnen und Demokraten gegenüber denjenigen, die unter dem Deckmantel der Versammlungs- und Meinungsfreiheit unser System verächtlich machen.
Mit diesen Worten begrüßte Geisel die Verbotsentscheidung der Berliner Versammlungsbehörde. Apropos, laut dem deutschen Verfassungsschutz seien die Versuche tatsächlicher Rechtsextremer gescheitert, die Corona-Demos zu unterwandern. Wie Verfassungsschutzpräsident Haldenwang nun erklärte, sei es diesen nicht gelungen, die "Hoheit über das Demonstrationsgeschehen zu bekommen". Vielmehr handele es sich bei den Protesten um "eine große Anzahl von Menschen, die den unterschiedlichsten", na klar, "Verschwörungstheorien anhängen". Was als Verschwörungstheorie bzw. Verschwörungspraxis gilt, ist allerdings bekanntlich immer eine Frage der Perspektive. Etliche Beispiele in der internationalen (Geo)Politik belegen dies eindrücklich.
Abgesehen davon ist das plumpe Verbot unliebsamer Protestveranstaltungen unter dem Deckmantel des sogenannten "Schutz auf Leben" auch Ausdruck einer längst beunruhigend stark ausgeprägten Corona-Schizophrenie innerhalb der bundesdeutschen Flure der Macht. Dazu muss man sich etwa folgenden Appell auf der Zunge zergehen lassen:
Meinungsfreiheit muss garantiert sein, das Recht auf Demonstrationen ebenso. Und unsere Forderung geht auch in Richtung von unabhängige Medien, über die sich die Menschen informieren können müssen.
Ein Zitat aus den Reihen vermeintlicher "Corona-Leugner" und sogenannter "COVIDioten", die partout am Wochenende in Berlin den Aufstand proben wollen? Nein, die Worte stammen von Bundeskanzlerin Angela Merkel höchstselbst. Doch gelten diese salbungsvollen Worte nicht etwa für die eigene Bevölkerung, sondern für die zigtausenden Menschen in Minsk und anderen Städten Weißrusslands, die ohne jegliche Abstandstands- und "Hygieneregeln" gegen den weißrussischen Präsidenten Lukaschenko die Straßen füllen.
Zur Erinnerung: Alexander Lukaschenko ist das belarussische Staatsoberhaupt, das in der westlichen Hemisphäre nun als finsterer "Diktator" gilt, weil er als solcher nicht (mehr) den Segen der Wertegemeinschaft besitzt. Deshalb muss er jetzt weg.
Klar, dass auch der omnipräsente "Corona-Experte" Karl Lauterbach, der nicht müde wird, die diffuse Corona-Angst in der Bevölkerung zu schüren, an einer ausgeprägten kognitiven Dissonanz leidet. Seinen Twitter-Einlassungen nach sind die Corona-Demos in deutschen Landen die Ausgeburt asozialen Verhaltens, die Demos in Weißrussland feiert er jedoch vollkommen kritiklos als gäbe es kein Morgen. Offensichtlich heiligt auch für Lauterbach der Zweck die Mittel.
Logisch, dass er daher bereits den Regime-Change in Russland herbeisehnt, dann auch gerne samt erträumter Massenproteste ohne Abstandsregeln und Maskenschutz. Längst heißt es übrigens, dass "Corona" dem fast in der politischen Versenkung verschwundenen Lauterbach "zum Comeback" verholfen habe.
Doch zurück zum "Recht auf Leben".
Wir müssen deshalb zwischen dem Grundrecht der Versammlungsfreiheit und dem der Unversehrtheit des Lebens abwägen. Wir haben uns für das Leben entschieden", erklärte SPD-Innensenator Geisel.
Es wäre interessant zu erfahren, wie ausgerechnet der ehemalige deutsche Innenminister und heutige Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble derlei Aussagen einordnet. Es war Schäuble, der Ende April davor warnte, angesichts der Einschränkungen vieler Grundrechte, dem "Schutz von Leben" in der Corona-Krise alles unterzuordnen.
Wenn ich höre, alles andere habe vor dem Schutz von Leben zurückzutreten, dann muss ich sagen: Das ist in dieser Absolutheit nicht richtig", erklärte der nicht gerade als zimperlich geltende Schäuble.
Wenn es überhaupt einen absoluten Wert im Grundgesetz gebe, dann sei das die Würde des Menschen:
Die ist unantastbar. Aber sie schließt nicht aus, dass wir sterben müssen.
Nun ist es ausgerechnet die Menschenwürde, die viele Demonstranten durch die Corona-Maßnahmen zunehmend gefährdet sehen. Durch Berufung auf das hohe Gut der Demonstrationsfreiheit wollten sie ihrem Unmut am Wochenende in Berlin Ausdruck verleihen. Daraus wird nun nichts. Ob dies rechtlich zulässig ist, ist alles andere als gesichert.
Ohnehin wurde vor wenigen Wochen noch ganz anders argumentiert. Nach der Berliner Corona-Großkundgebung am 1. August war es SPD-Bundesjustizministerin Christine Lambrecht (SPD), die sich in der Debatte um die "massenhaften Verstöße gegen Corona-Regeln" gegen ein Verbot solcher Veranstaltungen ausgesprochen hatte. Es gelte nach wie vor das Recht auf Versammlungsfreiheit.
Ich finde es ganz wichtig, dass wieder Demonstrationen stattfinden können und Menschen dort ihre Meinung, auch zur aktuellen Corona-Politik der Bundesregierung, frei und öffentlich äußern können", hatte Lamprecht erklärt.
Argumentativ an ihre Seite stellte sich ausgerechnet Innensenator Geisel, der sich ebenfalls gegen Verbote aussprach.
In Berlin stehen alle Corona-Ampeln noch auf Grün. Da sind neuerliche Verbote schwer zu begründen.
Noch ist es nicht verboten, sich die Frage zu stellen, was den Sinneswandel eines Andreas Geisel wohl bewirkt haben mag. Vom offensichtlich plötzlichen umschalten der Corona-Ampel von grün auf rot ganz zu schweigen. Ein Leckerbissen für die berühmt-berüchtigten Verschwörungstheoretiker.
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