Vor bald zwanzig Jahren wurde in Paris die Organisation Attac (association pour une taxation des transactions financières pour l'aide aux citoyens) gegründet. Bereits im Namen steht geschrieben, was der Zweck der nach eigener Aussage in 50 Ländern aktiven Organisation ist: die Einführung einer Finanztransaktionssteuer.
Damit wollten die Gründer ein Instrument schaffen, um einen ersten Beitrag zur gerechteren Verteilung des "gigantischen Reichtums" zu leisten. Die 90.000 Aktivistinnen und Aktivisten setzen sich deshalb für "eine ökologische, solidarische und friedliche Weltwirtschaftsordnung" ein, dem genauen Gegenteil dessen also, was gegenwärtig vorherrscht.
In Deutschland nahm der Abbau des Sozialstaates mit dem sogenannten "Scheide-Papier" des damaligen Wirtschaftsministers Otto Graf Lambsdorff (FDP) 1982 seinen Anfang und wurde durch den wenig später gewählten Bundeskanzler Helmut Kohl (CDU) als "geistig-moralische Wende" in Angriff genommen. Damit wurden die Weichen für das gesetzt, was Kanzler Gerhard Schröder (SPD) mit dessen "Agenda 2010" noch beschleunigt hatte: eine neoliberale Wirtschaftsordnung, in der die Gewinnmaximierung von Konzernen Vorrang gegenüber dem arbeitenden Volk erhielt.
Genau dagegen protestiert Attac und kritisiert damit das Fundament des deutschen "Exportwunders". Für die Bundesregierung, die das System mit billigen Arbeitskräften für Unternehmen nach Kräften unterstützt, sind diese öffentlichkeitswirksamen Kampagnen lästig. Da man solche Organisationen aber deswegen nicht verbieten kann, hat man sich was anderes einfallen lassen.
Es fing mit einer Entscheidung des Finanzamts Frankfurt am Main im Frühjahr 2014 an, wonach dem Attac-Trägerverein mit Sitz in Frankfurt die Gemeinnützigkeit rückwirkend ab 2010 entzogen wurde. Die Begründung lautete, dass sich die Organisation mit ihren Forderungen nach einer Finanztransaktionssteuer oder einer Vermögensabgabe politisch engagiere und deshalb nicht förderungswürdig sei.
Attac legte daraufhin Beschwerde ein und wollte gegebenenfalls auch Klage einreichen, sagte damals die Geschäftsführerin Stephanie Handtmann.
Tatsächlich landete der Fall vor dem Hessischen Finanzgericht – mit einem positiven Urteil für den Trägerverein. Die Richter kamen zu dem Schluss, dass die Aberkennung der Gemeinnützigkeit durch das Finanzamt Frankfurt nicht rechtens war, und sprachen der globalisierungskritischen Organisation am 10. November 2016 diesen Status wieder zu. Selbst die Möglichkeit einer Revision gegen dieses Urteil schlossen die Richter aus.
Anordnung aus Berlin
Die Freude über diesen juristischen Erfolg sollte allerdings nur von kurzer Dauer sein. Nur wenige Tage vor Ablauf der Beschwerdefrist erhielt der Leiter des Hessischen Finanzministeriums Anfang Mai 2017 einen Brief aus dem Bundesfinanzministerium in Berlin, das zu diesem Zeitpunkt von Wolfgang Schäuble (CDU) geführt wurde.
Mit diesem Brief, den die Initiative FragDenStaat auf Basis des Informationsfreiheitsgesetzes erhielt und auf ihrer Webseite veröffentlichte, wurden die Hessen aufgefordert, noch auf den letzten Drücker eine Beschwerde beim Bundesfinanzhof (BFH) gegen die Entscheidung der Richter am Hessischen Finanzgericht einzureichen, die Revision gegen das Urteil auszuschließen.
Wie Staatssekretärin Bernadette Weyland (CDU) aus dem hessischen Finanzministerium auf Nachfrage des Linken-Politikers Jan Schalauske bestätigte, kam die "Weisung" direkt von Finanzminister Schäuble aus Berlin. Er wollte, dass die Hessen den Rechtsstreit gegen Attac weiterführen.
Dass es sich dabei nicht um eine juristische Spitzfindigkeit, sondern um eine klare politische Botschaft handelte, wird auch aus dem Berliner-Brief deutlich. Dort heißt es zu den Beweggründen der Aufhebung der Gemeinnützigkeit von Attac:
Der BFH – und mit ihm die Steuerverwaltung – hat bisher eine "politische Betätigung" einer gemeinnützigen Körperschaft lediglich dann toleriert, wenn eine gemeinnützige Tätigkeit nach den Verhältnissen im Einzelfall zwangsläufig mit einer politischen Zielsetzung verbunden ist und solange die unmittelbare Einwirkung auf die staatliche Willensbildung gegenüber der Förderung des gemeinnützigen Zwecks weit in den Hintergrund tritt. (Hervorhebung im Original/Anm. d. Redaktion)
Damit wurde auch die Frage beantwortet, weshalb Organisationen wie Atlantik-Brücke oder die Bertelsmann Stiftung ohne Probleme als gemeinnützig gelten. Solange ihre "politische Betätigung" im Einklang mit der "staatlichen Willensbildung" der Bundesregierung steht, werden sie diesen Status weiterhin behalten und müssen wohl nichts befürchten. Gegner der bundesdeutschen Politik hingegen müssen damit rechnen, dass durch die Aberkennung der Gemeinnützigkeit die Regierung es auf ihre Finanzierung abgesehen hat, die im Wesentlichen aus Spenden bestehen. Ohne diesen Status können die Trägervereine aber keine Zuwendungsbestätigungen ausstellen, mit welchen die Geldgeber ihre Spende steuerlich absetzen können.
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