Im vergangenen Jahr schlitterte Österreich in eine handfeste Regierungskrise. Der Auslöser: Videoaufnahmen des damaligen FPÖ-Chefs Heinz-Christian Strache, in denen dieser einer falschen Oligarchennichte scheinbar krumme Geschäfte in Aussicht stellte. Die FPÖ bildete zu diesem Zeitpunkt eine Regierungskoalition mit der ÖVP.
Die Aufnahmen mit einer Gesamtlänge von mehr als zwölf Stunden waren im Jahr 2017 in einer Finca auf Ibiza entstanden. Dort hatten sich FPÖ-Mann Strache und der Klubobmann (Fraktionsvorsitzende) der Partei im Nationalrat Johann Gudenus mit der angeblichen Nichte eines russischen Oligarchen getroffen. Ebenso anwesend waren die Ehefrau und ein Bruder von Gudenus sowie der "Vermittler" des Treffens.
Strache und Gudenus unterhielten sich mit der "Russin" und dem "Vermittler" über mögliche Großinvestitionen in Österreich, eine denkbare Privatisierung eines ORF-Kanals oder die Teilprivatisierung der öffentlichen Wasserversorgung, sodass "derjenige, der das betreibt, genauso eine Einnahme hat". Auch ging es um Spenden für die FPÖ.
Strache spricht zudem von einer möglichen Übernahme der Kronen Zeitung (Österreichs größte Tageszeitung) durch die "Russin" und deutet in diesem Zusammenhang das Ziel einer indirekten Beeinflussung der Berichterstattung zugunsten seiner Partei an. Die Dame gab an, mehrere hundert Millionen Euro ihres Vermögens für derartige Investitionen bereitstellen zu können, und Strache erklärte, man könne bei einem Wahlsieg der FPÖ über "alles reden".
Die Finca war jedoch zuvor präpariert und das gesamte Treffen mit versteckter Kamera gefilmt und abgehört worden. Und die vermeintliche Oligarchennichte stellte sich später als unecht heraus. Besonders abstrus: Der russische "Onkel", als dessen Nichte sich die Frau ausgab, hat gar keine Geschwister – und damit auch keine Nichte. Strache und Gudenus waren offenbar in eine Falle getappt.
Im Mai 2019 hatten schließlich die deutschen Onlinemedien sueddeutsche.de und Spiegel Online Teile der Aufzeichnungen veröffentlicht, an die sie zuvor über unbekannte Wege gelangt waren. Allerdings handelte es sich dabei nur um einen Bruchteil der mehrstündigen Videos – doch eben um genau jene "brisanten" Passagen, die politisch für Wirbel sorgen mussten.
So legten bereits einen Tag darauf Strache und Gudenus ihre Ämter nieder. Die ÖVP-FPÖ-Regierung hielt nicht stand, und Kanzler Kurz wurde schließlich durch ein Misstrauensvotum gestürzt. Nach Wahlen wurde erneut eine Regierung unter Sebastian Kurz gebildet, diesmal jedoch bestehend aus ÖVP und Grünen. Die Freiheitlichen hatten bei den Wahlen stark an Stimmen eingebüßt.
Damit verlor die Affäre schnell ihre mediale Bühne. Strache hatte seine Mühe, der Öffentlichkeit die getätigten Aussagen zu erklären. Doch beteuerte er stets, dass er bei dem Treffen in der Finca gegenüber seinen Gastgebern "immer wieder betont" habe, "nie etwas Unredliches machen zu wollen". Neueste Veröffentlichungen scheinen dies zu belegen. Es handelt sich hierbei um Abschriften weiterer Video-Minuten aus den Akten der Staatsanwaltschaft.
Demnach wird Strache mehrmals von seiner Gesprächspartnerin und deren Begleiter beinahe gedrängt, sich auf ein "Geschäft" festzulegen. So lässt sich z.B. nach Informationen des Onlinemediums oe24.at der Begleiter unter anderem so zitieren:
Schau, sie [die "Oligarchennichte"] braucht mehr oder weniger definitive Zusagen auf egal was. Es gibt 20 verschiedene Optionen. und sie braucht klare, irgendwas! Was wäre so als, okay, wenn's passiert, schau ma, verschiedene Möglichkeiten, wir finden einen Weg ...
Darauf Strache: "Nein, aber es wäre unredlich." Und an anderer Stelle: "No way, mach ich nicht. Und bei mir nur gerade Geschichten, ganz gerade Geschichten." Auf den Vorhalt der vermeintlichen Oligarchennichte, dass "im Osten mehr möglich" sei, reagiert Strache so:
Nein, nein, aber jetzt sind wir ehrlich. Mit jedem anderen Scheiß machst du dich angreifbar, und ich will nicht angreifbar sein. Ich will ruhig schlafen. Ich will in der Früh aufstehen und sagen, bin sauber, und wenn, dann tue ich was da. Und das ist die Stärke. Und wenn ich dann in Pension geh, freu ich mich, wenn der eine oder andere Freund sich an mich erinnert und sagt: okay, okay.
Auch Gudenus bekräftigt:
Na ja, ist in Ordnung, aber in Wirklichkeit haben wir das beantwortet. Es ist klar, da ist etwas drinnen, aber wir machen nichts Illegales, Punkt.
Sicherlich mag die Frage berechtigt sein, warum Strache und Gudenus das Gespräch nicht an irgendeiner Stelle abbrachen. Oder warum sich ein wichtiger Politiker überhaupt mit osteuropäischen Oligarchen – echten oder vermeintlichen – trifft.
Es dürfte aber auch eines klar sein: Wären diese Informationen bereits im Mai 2019 bekannt gewesen, hätte das politische Erdbeben, das letztlich zum Rücktritt Straches und zum Bruch der ÖVP-FPÖ-Koalition führte, so wohl nicht stattgefunden. Ganz augenscheinlich waren sueddeutsche.de und Spiegel Online bei ihren Veröffentlichungen sehr wählerisch. Straches Anwalt Johann Pauer formuliert es gegenüber oe24.at so:
Festzuhalten ist, dass bisher nur ein kleiner Teil des Ibiza-Videos transkribiert worden ist. Die noch zu erwartende, weitreichendere Transkription wird deutlicher aufzeigen, dass die Auswahl der veröffentlichten Passagen bewusst nachteilig für Heinz-Christian Strache erfolgten.
Im Nationalrat ist zwischenzeitlich ein Untersuchungsausschuss zur "Ibiza-Affäre" eingerichtet worden. Dieser soll allerdings nicht nur die Geschehnisse rund um den Abend in der Finca aufarbeiten, sondern auch mögliche Verbindungen zur ÖVP und die "mutmaßliche Käuflichkeit der Bundesregierung" unter Kanzler Kurz prüfen. Strache, der aktuell mit einer neuen Partei im Bundesland Wien im Landtagswahlkampf steht, äußerte sich der Welt zufolge am vergangenen Donnerstag vor dem Ausschuss so:
Es war ein Abend, für den ich mich geniere. Aber ich habe mich immer auf dem Boden des Rechtsstaates bewegt und nie rechtswidrige Angebote gemacht.
Zu den einzelnen Vorwürfen könne er wegen parallel laufender Strafverfahren nur so viel sagen: "Ein kriminelles Netzwerk" rund um einen enttäuschten ehemaligen Sicherheitsmann habe "seit Jahren den Plan gehabt, mich zu vernichten".
Die falsche Oligarchennichte wird im Übrigen von der österreichischen Polizei gesucht. Ihr Begleiter und "Vermittler" des Treffens soll nach Informationen der Welt in Berlin leben – oder zumindest dort gemeldet sein.
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