Bundesgesundheitsminister Jens Spahn plant offenbar, die Daten der 73 Millionen gesetzlich Versicherten der Industrie zugänglich zu machen. Das berichtete das Onlinemagazin Telepolis am Mittwoch.
Demnach sei aus der neuen Verordnung zur Datentransparenz vom Juni 2020 eine Passage verschwunden, die die Weitergabe der Daten an Dritte verboten hatte. Das "Digitale-Versorgung-Gesetz" vom November 2019 hatte eine solche Weitergabe durch das neu zu schaffende staatliche Forschungsdatenzentrum zwar in Ausnahmefällen und auf Antrag für möglich erklärt. Grundsätzlich galt aber:
Die Nutzungsberechtigten dürfen die … zugänglich gemachten Daten nicht an Dritte weitergeben.
Auch eine Beschränkung dieser "Dritter" auf öffentliche oder nicht gewinnorientierte Institutionen, wie sie der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) gefordert hatte, ist in dem Papier nicht enthalten. Telepolis schließt daraus:
Im Klartext: Damit sind die sensiblen Gesundheitsdaten von 73 Millionen gesetzlich versicherter Bürger jetzt mittelbar dem Zugriff der gewinnorientierten Gesundheitswirtschaft ausgesetzt.
Zu den eigentlichen Nutzungsberechtigten des Forschungsdatenzentrums, die die Daten an interessierte Dritte weitergeben können, gehören unter anderem Kassen-, Ärzte- und sonstige Verbände, Forschungseinrichtungen, Universitäten und Behörden.
Die vom Forschungsdatenzentrum zu sammelnden und weiterzugebenden Daten erhält die Einrichtung sowohl durch erzwungene als auch durch freiwillige Weitergabe. Im "Digitale-Versorgung-Gesetz" ist festgelegt, dass die von den Krankenkassen gespeicherten Sozialdaten (also auch die Gesundheitsdaten) an das Forschungsdatenzentrum weitergegeben werden. Widerspruch durch die Versicherten ist nicht möglich. Freiwillig soll ab 2023 die Weitergabe der Daten aus den "elektronischen Patientenakten" erfolgen. Das sieht das ePA-Datengesetz vor.
Telepolis konstatiert darüber hinaus ein erhöhtes Risiko für den Datenschutz, weil das Forschungsdatenzentrum neben anonymisierten Daten auch pseudonymisierte Einzeldatensätze zur Nutzung anbieten soll, und zwar nicht nur als Ausnahme. Das Risiko, Patienten identifizieren zu können, sei aufgrund des Umfangs der Daten beträchtlich.
Ein umfassender Schutz der Daten vor Missbrauch ist offenbar nicht vorgesehen. Für die "nutzungsberechtigten Antragsteller" ist eine Selbstverpflichtung angedacht. Ernsthafte Sanktionen bei missbräuchlicher Verwendung sind nicht geplant. Der "gläserne Versicherte", so das Fazit des Artikels, sei mit Spahns Verordnung näher gerückt.
Keine Probleme mit der neuen Verordnung hat der Bundesdatenschutzbeauftragte Ulrich Kelber (SPD). Ebenfalls gegenüber Telepoliserklärte Kelber auf die Frage, ob er aufsichtsrechtliche Maßnahmen für geboten halte:
Aufgrund der oben genannten Vorgaben – insbesondere der pseudonymen Zulieferung und Speicherung, der klaren Definition der nutzungsberechtigten Personen und Einrichtungen und der Sanktionen bei Verstößen – sehe ich aktuell keinen Handlungsbedarf.
Patientendaten gelten als Goldgrube für die Medizin- und Pharmabranche, denen vor allem die Verfügbarkeit individueller Daten ungeahnte Geschäftsmöglichkeiten eröffnen würde. Der Bereich Gesundheit gilt als einer der Wachstumsmärkte überhaupt, was der tatsächlichen Gesundheit der Menschen allerdings nicht unbedingt zuträglich sein muss.
Der gelernte Bankkaufmann Jens Spahn war von 2006 bis 2010 als Gründer der Lobbyagentur Politas neben seiner Tätigkeit als Abgeordneter als Lobbyist und Berater für die Pharmaindustrie aktiv.
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