"Weckruf für Europa", "Kamikaze-Aktion", "überfällig" – Reaktionen auf den US-Truppenabzug

Die am Mittwoch bekannt gewordenen Pläne Washingtons zum Abzug eines Teils der in Deutschland stationierten US-Soldaten lösten ein geteiltes Echo aus, stoßen im politischen Berlin aber mehrheitlich auf Ablehnung – mit teils drastischen Worten.

Am Mittwoch konkretisierte die US-Regierung ihre Pläne für einen Teilabzug der in Deutschland stationierten US-Soldaten. Demnach sollen knapp 12.000 der insgesamt rund 35.000 Militärangehörigen in andere Länder verlegt werden. Während rund 6.400 US-Soldaten in ihre Heimat zurückkehren sollen, sollen weitere 5.600 in andere europäische Länder verlegt werden, namentlich genannt wurden Italien und Belgien.

Damit fällt der Teilabzug umfangreicher aus als gedacht, war zuvor doch die Rede von einer Verlegung von 9.500 US-Soldaten. Zudem sollen die beiden Oberkommandos für Europa (US Eucom) und Afrika (US Africom) aus Stuttgart abgezogen werden. Während das europäische Oberkommando ins belgische Mons umziehen soll, ist ein Standort für das afrikanische Oberkommando noch nicht bekannt.

Ebenso wie die Bundesregierung befürchtet eine Mehrheit der deutschen Politiker eine Schwächung der NATO sowie negative Auswirkungen auf die deutsch-amerikanischen Beziehungen.  

Russland als lachender Dritter?

Sowohl US-Präsident Donald Trump als auch sein Verteidigungsminister Mark Esper betonten bei der Verkündung der Entscheidung, die Verlegung der US-Truppen werde die NATO stärken und die "Abschreckung gegenüber Russland" befördern.

Die USA erreichten damit "genau das Gegenteil dessen", meint dagegen der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses des Bundestags Norbert Röttgen. Der Truppenabzug schwäche das Militärbündnis, die "Schlagkraft des US-Militärs" werde "gerade mit Blick auf Russland und militärische Dauerkonflikte im Nahen und Mittleren Osten" verringert und nicht erhöht, so der CDU-Außenpolitiker.

Auch nach Ansicht des verteidigungspolitischen Sprechers der CDU/CSU-Bundestagsfraktion ist der strategische Gewinn für die USA mehr als zweifelhaft. "Die sprunghafte Politik von US-Präsident Trump wirkt sich auf diese Weise auch sicherheitspolitisch nachteilig im Bündnis aus", erklärte Henning Otte.

CSU-Generalsekretär Markus Blume wirft Trump vor, die gemeinsamen Interessen von Deutschland und den USA zu verraten. Gleichzeitig betont Blume: "Und trotzdem wird die transatlantische Partnerschaft stärker bleiben als dieser Präsident."

Der Transatlantik-Koordinator der Bundesregierung, Peter Beyer, hatte bis zuletzt noch gehofft, dass der US-Kongress Trumps Plänen einen Strich durch die Rechnung machen würde. Dass dem nicht so geschah, sei "bitter für die betroffenen Gemeinden, Landkreise und Bundesländer". Die Reduzierung liegt laut Beyer "nicht im Sicherheitsinteresse Deutschlands oder der NATO – und macht auch geopolitisch für die USA keinen Sinn".

Die FDP-Verteidigungsexpertin Marie-Agnes Strack-Zimmermann spricht gar von einer "Kamikaze-Aktion" des US-Präsidenten, bei der es sich um "eine persönliche Abrechnung" handele. Trump wolle Deutschland treffen, treffe aber die NATO insgesamt. Russlands Präsident Wladimir Putin sei der lachende Dritte. "Der wird heute Nacht vor Freude kaum ins Bett gefunden haben", meint Strack-Zimmermann.

Die Ankündigung der US-Regierung löste ebenfalls in den USA heftige Kritik aus, auch unter Trumps Parteigängern. So bezeichnet der republikanische Senator Mitt Romney den Plan als einen "schwerwiegenden Fehler", der einem "Schlag ins Gesicht eines Freundes und Verbündeten" gleichkomme. Auch Trumps Ex-Sicherheitsberater John Bolton meldete sich zu Wort und erklärte, die Entscheidung sende "unseren Gegnern das falsche Signal und macht unsere Verbündeten angesichts der zunehmenden globalen Bedrohungen verwundbar".

"Weckruf für Europa"

Dass es gegen Washingtons Abzugspläne auch in den Reihen der Republikaner Widerstand gibt, betrachtet Friedrich Merz als Zeichen der Hoffnung, dass Trumps Vorhaben noch scheitern könnte:

Man muss sehen, ob dieser Truppenabzug dann tatsächlich so stattfindet. Der US-Kongress muss die Mittel dazu bewilligen. Es gibt dort auch unter republikanischen Abgeordneten erhebliche Bedenken gegen diese sehr spontane, emotionale Entscheidung von Donald Trump.

Zum Vorwurf der US-Regierung, Deutschland gebe nicht genug für sein Militär aus, sagte der Bewerber um den CDU-Parteivorsitz im Deutschlandfunk, dass in Deutschland kein Etat so schnell wachse wie der Verteidigungshaushalt. Auf Twitter erklärte Merz dazu:

"Die USA sind nicht das Inkassobüro der NATO. Wir schulden nicht Amerika etwas, sondern wir schulden der gemeinsamen Sicherheit etwas. Wir müssen uns in Europa um unsere eigene Sicherheit mehr kümmern."

Merz, der von 2009 bis 2019 Vorsitzender der Atlantik-Brücke war, spricht von einem "Weckruf für Europa", der den Kontinent in die Pflicht nehme, mehr für die eigene Sicherheit zu tun. Auch wenn der Teilabzug "beunruhigend" sei, gebe es "jetzt trotzdem keinen Anlass zur Panik auf europäischer Seite", so der CDU-Politiker.

Diesen Gedanken griff auch der Staatsminister für Europa im Auswärtigen Amt, Michael Roth, auf. Bei aller Enttäuschung "sollten wir jetzt nicht jammern und in Wehklagen verfallen, sondern den Schritt der USA als Weckruf und Chance zur Stärkung unserer europäischen Souveränität begreifen", sagte der SPD-Politiker. Es sei an der Zeit, dass Europa seine Rolle in der Welt stärke und auf eigenen Füßen stehe. "Es geht um unsere Selbstbehauptung."

Roths Parteikollege Wolfgang Hellmich sieht in dem angekündigten Teilabzug keine große Bedeutung für die Sicherheit Deutschlands und Europas. Wenn man in die Details der Ankündigung schaue, "dann bin ich mir sicher, dass es in Bezug auf die Verteidigungsfähigkeit und die Fähigkeiten der NATO in Europa keine Schwächung geben wird oder geben soll", sagte der Vorsitzende des Verteidigungsausschusses im Bundestag am Donnerstag.

Denn der Zeitpunkt des Abzugs sei noch völlig unklar. So sähen die Pläne vor, Hauptquartiere von Stuttgart ins belgische Mons zu verlegen. Bisher habe jedoch kein Neubau eines Hauptquartiers in Mons begonnen. Dorthin soll die Kommandozentrale für die US-Truppen in Europa (US Eucom) verlegt werden. 

Die Linke: Atomwaffen bitte gleich mitnehmen

Eine Minderheit im politischen Berlin begrüßt jedoch die Entscheidung des US-Präsidenten. So sprechen sich Vertreter der Linken einhellig für den Teilabzug aus und hoffen, dass auch die verbleibenden US-Soldaten – mitsamt Atomwaffen – folgen werden.

"Bitte, vergesst Eure Atomwaffen nicht!", schrieb etwa Dietmar Bartsch auf Twitter. Der Vorsitzende der Linksfraktion im Bundestag mahnt zudem an, sich bereits jetzt über eine "sinnvolle und nahtlose zivile Nutzung der ehemaligen US-Stützpunkte" Gedanken zu machen.

Auch Linken-Außenpolitikerin Sevim Dağdelen forderte Trump auf, die verbleibenden US-Soldaten abzuziehen "und die US-Atomwaffen gleich mitzunehmen". "Von dieser Strafe kann ich gar nicht genug kriegen", kommentierte Gregor Gysi im ironischen Ton die Maßnahme des US-Präsidenten, der diese ja mit Deutschlands angeblich zu niedrigen Militärausgaben begründet hatte. "Wenn der Trump nur in dieser Form straft – meinetwegen", so der außenpolitische Sprecher der Linksfraktion.

"Kein Bündnis unter Gleichen"

Aber nicht nur die Linkspartei gewinnt dem Teilabzug Positives ab, auch aus den – eher hinteren – Reihen der CDU gibt es Zustimmung. Mit "Hurrah, Hurrah" begrüßte etwa Finanzexperte Max Otte die Truppenverlegung. "Zeit, dass wir die USA entlasten, uns aus Auslandsabenteuern ausklinken und unsere Verteidigung wieder in die eigene Hand nehmen", schrieb das Mitglied der CDU-Werteunion auf Twitter.

Die NATO habe sich "nie in der Nähe eines Bündnisses unter Gleichen" befunden, da die USA das nukleare Kommando hätten, sagte Otte gegenüber RT. Kritisch merkt er an, dass das transatlantische Militärbündnis seinen eigentlichen Gründungszweck – die Verteidigung seiner Mitglieder – heute nicht mehr verfolge:

Jetzt hat es sich in verschiedene Richtungen auseinander bewegt, und die Menschen versuchen, aus Mangel an Fantasie oder vielleicht aus Angst vor dem Unbekannten an alten Strukturen festzuhalten, aber natürlich ist es kein Bündnis unter Gleichen. Ich habe eine Sorge hinsichtlich der Stabilität, wenn man an NATO-Mitglieder wie die Türkei und Griechenland denkt, und an NATO-Aktionen außerhalb des eigenen Gebiets, die der Bundeswehr nach der alten deutschen Politikdoktrin bis in die neunziger Jahre streng verboten waren. Die Bundeswehr war eine Vertragsarmee zum Schutz des Heimatgebiets, Punkt.

Trump habe nun den Raum geöffnet, um tiefer über den Sinn und Zweck der NATO nachzudenken, "und das kann nur zum Guten sein", so Otte. Deutlich schärfer formulierte dessen langjähriger Parteikollege Willy Wimmer die Kritik am Istzustand der NATO. Der Abzug von US-Truppen sei "überfällig" und man habe "fast den Eindruck, dass hier in Teilen das nachgeholt wird, was eigentlich schon nach der Auflösung des Warschauer Paktes hätte umgesetzt werden sollen", sagte der CDU-Politiker gegenüber RT.

Nach dem Ende des Warschauer Paktes konnte die Präsenz des US-Militärs nicht mehr mit der Sicherheitslage in Europa begründet werden. Stattdessen dienten die US-Truppen in Deutschland "der amerikanischen Kriegführung in allen Teilen der Welt und vor allem außerhalb des Geltungsbereiches des NATO-Vertrages". Wimmer führt aus:

Den Ministerpräsidenten in deutschen Bundesländern, die jetzt Krokodilstränen in Richtung Washington vergießen, sollte man ins Stammbuch schreiben, dass mittels der hier stationierten US-Truppen unsere Nachbarn nah und fern in die Steinzeit zurückgebombt worden sind. Millionen Menschen, die sich jetzt auch in Deutschland aufhalten, wurden durch amerikanische Dauerkriege aus ihrer Heimat herausgebombt.

Selbst die Vereinten Nationen äußerten sich zu dem US-Abzug, ohne diesen jedoch konkret zu kommentieren. "Wir hoffen, dass die Beziehungen zwischen den Vereinigten Staaten und Deutschland weiterhin positiv und konstruktiv für beide Staaten sein werden", formulierte UN-Sprecher Farhan Haq diplomatisch am Mittwoch in New York.

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(rt/dpa)