Während UN-Generalsekretär António Guterres sich beim Thema Libyen "frustriert" zeigt und der deutsche Außenminister Heiko Maas (SPD) die Rolle der Bundesrepublik im UN-Sicherheitsrat nutzt, um mahnende Worte für die an dem Krieg in dem Wüstenstaat offiziell oder mutmaßlich beteiligten Regierungen in die Öffentlichkeit zu senden, zeigen aktuelle Zahlen, dass die deutsche Rüstungsindustrie nicht unerheblich von diesem und anderen Kriegen profitiert.
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Deutschland hat als nichtständiges Mitglied in diesem Monat den Vorsitz im Sicherheitsrat und kann damit eigene Themen setzen. Die von der Bundesregierung ausgerichtete Berliner Konferenz im Januar zu dem vertrackten und langanhaltenden Konflikt in Libyen hat keine Fortschritte gebracht, zwischenzeitlich gerieten gar die NATO-Mitglieder Frankreich und Türkei aneinander. Nach Gefechten um Tripolis könnte die strategisch wichtige Hafenstadt Sirte zum nächsten Brennpunkt werden. Auch für Europa will sich die Bundesrepublik während ihrer Ratspräsidentschaft einsetzen – dabei ist die Flüchtlingsfrage, die ein Knackpunkt in den europäischen Beziehungen darstellt, teils direkt mit den Konflikten und deren Folgen verbunden, wegen derer Menschen ihre Heimat verlassen.
Dennoch beliefert Deutschland zeitgleich kritische Regierungen weiter mit Waffen. Zwar teilte das Bundeswirtschaftsministerium Anfang Juli mit, dass die Genehmigungen der Bundesregierung für Rüstungsexporte nach dem Rekordjahr 2019 deutlich zurückgehen und sich im ersten Halbjahr im Vergleich zum Vorjahr von 5,33 auf 2,78 Milliarden Euro beinahe halbierten, immerhin hatten sie im Vorjahr bei knapp über acht Milliarden Euro gelegen.
Doch wurden mehr als 60 Prozent der Genehmigungen im ersten Halbjahr 2020 für sogenannte Drittstaaten erteilt, die weder der EU noch der NATO angehören und als besonders problematisch angesehen werden. Sevim Dağdelen, die abrüstungspolitische Sprecherin und Obfrau der Linksfraktion im Auswärtigen Ausschuss, bewertete die Halbjahreszahlen entsprechend skeptisch: "Die neuen Zahlen zu deutschen Rüstungsexporten sind kein Grund zur Entwarnung, zumal ein Großteil der genehmigten Waffenlieferungen in Krisen- und Spannungsgebiete geht."
Nummer eins unter den Empfängerländern war Israel mit Ausfuhrgenehmigungen im Wert von 533 Millionen Euro. Dahinter folgen Ägypten mit 312 Millionen Euro, die USA mit 266 Millionen Euro und Katar mit 260 Millionen Euro.
Während jene Stimmen lauter werden, die die völkerrechtlichen Verstöße Israels anprangern, gelten Exporte nach Ägypten im Hinblick auf den internationalen Konfliktherd in Nordafrika als besonders heikel, da das nordafrikanische Land von den Vereinten Nationen zu den Ländern gezählt wird, die sich mit Waffenlieferungen in den Libyen-Konflikt eingeschaltet haben.
Die ägyptische Luftwaffe und Spezialeinheiten der Armee sind seit dem Sturz von Machthaber Muammar al-Gaddafi im Jahr 2011 zeitweise im Einsatz. Ägypten unterstützt dort die Truppen von General Chalifa Haftar. Seit 2014 laufen Lufteinsätze mit den Vereinigten Arabischen Emiraten über Libyen. Ägyptens Präsident Abdel al-Fattah as-Sisi hat die Streitkräfte seit seiner Machtübernahme im Jahr 2013 mit westlicher Hilfe stetig ausgebaut und modernisiert. Ägypten hat eine der stärksten Streitkräfte im arabischen Raum sowie in ganz Afrika und zählt zu den größten Empfängern von US-Militärhilfe. Auch im humanitär katastrophalen Jemen-Krieg ist das ägyptische Militär im Einsatz und soll vor der Küste gemeinsam mit anderen Staaten außerdem das Rote Meer für die internationale Schifffahrt sichern. Es gibt zudem Berichte über den Einsatz ägyptischer Spezialkräfte im Jemen. Dabei hat Kairo Hilfe aus dem Ausland. Dem schwedischen Institut SIPRI zufolge ist das nordafrikanische Land derzeit der drittgrößte Importeur von Waffen.
Dennoch hat der Bundessicherheitsrat soeben erst die umstrittene Lieferung eines weiteren U-Boots aus Deutschland nach Ägypten genehmigt. Eine "abschließende Genehmigungsentscheidung" habe der Bundessicherheitsrat auf Antrag von ThyssenKrupp Marine Systems (TKMS) getroffen, teilte Wirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) dem Wirtschaftsausschuss des Bundestages mit.
Erlaubt wurde die Lieferung eines vierten U-Boots der für den Export bestimmten Klasse 209/1400 an das arabische Land, das zudem wegen Menschenrechtsverletzungen im eigenen Land in der Kritik steht. Bei einem Besuch im vergangenen Jahr hatte Außenminister Heiko Maas noch hervorgehoben, Ägypten sei ein "wichtiger Partner", um die Stabilität in der Region zu gewährleisten.
Die Linken-Außenpolitikerin Sevim Dağdelen betonte Berlins Rolle in den fatalen Kriegen durch die "skrupellose Exportpolitik".
Mit der Aufrüstung von Ägypten befeuert die Bundesregierung die Kriege im Jemen und Libyen.
Im April war in Kiel das dritte von vier U-Booten aus deutscher Produktion an Ägypten übergeben worden. Das führte gar dazu, dass sich der andere Hauptimporteur deutscher Waffen, nämlich Israel, mokierte und befürchtete, von der militärischen Vorreiterposition in der Region ins Hintertreffen zu geraten.
Innerhalb Deutschlands hat Schleswig-Holstein das erste Halbjahr als klarer Spitzenreiter bei den Ausfuhrgenehmigungen abgeschlossen, innerhalb eines Jahres konnte das nördlichste Bundesland diese von 108 Millionen auf 1,07 Milliarden Euro steigern und machte so einen Gesamtanteil von fast 40 Prozent aus. Bayern rangierte mit 545 Millionen Euro auf dem zweiten und Baden-Württemberg mit 427 Millionen auf dem dritten Platz. Im vergangenen Jahr waren diese Länder Spitzenreiter der deutschen Rüstungsexporte, Bayern mit 2,76 Milliarden Euro und Baden-Württemberg mit 1,63 Milliarden.
Auch mit vier weiteren Empfängerländern erlaubte der Bundessicherheitsrat neue Rüstungsgeschäfte. Brasilien erhält Technologie und Teile für Korvetten Tamandare MEKO A-100MB von TKMS und der Atlas Elektronik GmbH. Nach Algerien darf die Wittenstein motion control GmbH 18 Antriebe für Rohrwaffenrichtanlagen liefern. Diese sind als Teil von fernbedienbaren Waffenstationen am Transportpanzer Fuchs vorgesehen. Heckler & Koch wurde die Lieferung von 159 Granatpistolen im Kaliber 40mm an Singapur genehmigt. Südkorea soll von Heckler & Koch 27 Sturmgewehre des Modells HK416 sowie ein Waffenbauteil bekommen. In dem Schreiben Altmaiers zu den Exportgenehmigungen heißt es weiter: "Die Bundesregierung ist gern bereit, die Entscheidungen im Ausschuss für Wirtschaft und Energie zu erläutern."
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