von Susan Bonath
In der Warteschleife
Vom Band kommt eine Ansage zum eingeschränkten Betrieb der Jobcenter. Dann beginnt die Warteschleife. Und wieder ertönt das Besetztzeichen. Katja Müller (Name geändert) ist aus der Leitung geflogen. Seit Tagen versucht sie, das Jobcenter Börde zu erreichen. Sie steckt in akuter Geldnot und benötigt dringend Hilfe.
Doch ihr Jobcenter ist – wie viele andere Behörden auch – trotz der bundesweiten Lockerungen noch immer auf unbestimmte Zeit geschlossen. Der Versuch der Kontaktaufnahme gestaltet sich schwierig, obwohl die Bundesagentur für Arbeit (BA) zu Beginn der Pandemie viel versprochen hat, beispielsweise vereinfachte Antragsverfahren und Notfallmanagement.
Beistand verboten
Andernorts ist mancher Betroffene offenbar eher erleichtert. Dies berichtet jedenfalls der Sozialrechtler Harald Thomé vom Verein Tacheles aus Wuppertal. Dort gebe es eine direkte Durchwahlnummer, sagte er im Gespräch mit der Autorin und ergänzt:
Noch nie war die Kommunikation zwischen der Behörde und den Klienten so gut wie heute.
Dennoch, so Thomé, liege vieles weiterhin im Argen. So habe er von einem anderen Problem gehört: In jenen Behörden, die wieder Termine an Hartz-IV-Betroffene versenden, dürften Hilfesuchende derzeit keinen Beistand mitbringen. Das sei besonders problematisch, erklärt er. Denn die Gesetze seien für viele Menschen undurchschaubar, die Forderungen der Ämter häufig willkürlich, Verstöße gar nicht selten.
Notfallschalter? Nicht gesehen
"In Lüneburg läuft es sehr schlecht, um nicht zu sagen: Da läuft so gut wie nichts, und es gibt viele Klagen", konstatiert hingegen die frühere Jobcentermitarbeiterin Inge Hannemann (Die Linke) gegenüber der Autorin. Betroffene hätten ihr erläutert, wie kompliziert es sei, mit der Behörde zu kommunizieren. Häufig sei dies nur über das Callcenter möglich. "Da ist es sehr unwahrscheinlich, dass es schnelle Hilfe gibt", mahnt sie. Einen Notfallschalter? "Den habe ich in Lüneburg noch nicht gesehen", so Hannemann.
Es fällt auf: In der Corona-Pandemie scheint jedes Jobcenter nach seinen eigenen Regeln zu agieren. Eine Behörde hat teilweise geöffnet, eine andere ist zu. Einige verschicken bereits wieder Vorladungen, andere nur Stellenangebote oder bisweilen auch gar nichts. Einige Jobcenter sind gut, andere hingegen gar nicht persönlich erreichbar.
Auch mit den Unterlagen, die von Leistungsbeziehern angefordert werden, verfahren die Ämter höchst unterschiedlich. Mancherorts kann man sie – zumindest nach der öffentlichen Darstellung – an Notschaltern abgeben und sich den Eingang absegnen lassen. Woanders ist dies nicht möglich. Dabei ist gerade ein solcher Nachweis wichtig für Hilfesuchende. Sozialverbände klagen nicht ohne Grund darüber, dass in Jobcentern so häufig Papiere verschwinden. "Als wären das schwarze Löcher", sagt Hannemann.
Bundesagentur für Arbeit ist angeblich "nicht weisungsbefugt"
Es stellt sich eine Frage: Gibt es kein bundesweites Konzept, das die Öffnung sowie den Umgang mit Notfällen regelt? Nein, meint BA-Sprecherin Susanne Eikemeier auf Nachfrage der Autorin. Sie erklärt:
Jedes Jobcenter entscheidet nach seinen eigenen regionalen Gegebenheiten und in eigener Verantwortung.
Eine Begründung liefert die BA-Sprecherin auch gleich mit: Ihre Behörde sei den Jobcentern gegenüber gar nicht weisungsbefugt. Die BA könne daher keine Anweisungen erteilen, sondern "nur Empfehlungen aussprechen". Das verwundert, denn die meisten Jobcenter sind sogenannte gemeinsame Einrichtungen. Zum Teil unterstehen sie der Bundesagentur für Arbeit, zum Teil der Kommune. Zweitens handeln sie nach Bundesgesetzen. Und: Die BA gibt regelmäßig "fachliche Weisungen" an die Jobcenter heraus.
Für den Kontakt mit Hilfesuchenden während der Corona-Pandemie spielt das offenbar keine Rolle. "Die Jobcenter entscheiden selbst und sind auch selbst für ihren Dienstbetrieb und ihre Erreichbarkeit verantwortlich", betont Eikemeier eindrücklich. Und sie beschwichtigt: Es gebe zusätzliche Hotlines, und für dringende Anliegen halte jedes Amt einen Notfallschalter zur Vorsprache bereit.
Angesprochen darauf, dass Lüneburg dies offensichtlich anders handhabe, erklärte sie, dort gebe es stattdessen "Notfallbüros". "Wo die sein sollen, ist mir und den Betroffenen, die mich um Rat baten, bisher nicht bekannt geworden", kommentierte Hannemann die Aussage. Aber vielleicht helfe der Hinweis weiter.
Hotline oder Hausbriefkasten
Der Sprecher des Jobcenters Börde, Georg Haberland, weicht der Frage nach einem Notfallschalter aus. Es stehe der Hausbriefkasten bereit – und ansonsten "die bekannte Servicerufnummer". Letztere führt zu dem Callcenter, das Katja Müller mutmaßlich wegen Überlastung nicht erreichen konnte. Und der Hausbriefkasten gibt eben keine Eingangsbestätigungen heraus. Für die digitale Plattform, laut Haberland ein Zusatzangebot, benötigt man Zugangsdaten, und die bekommt man nur beim Jobcenter.
Katja Müller soll ein solches Passwort nun erhalten. Das hat ihr letztlich die Leistungsabteilung telefonisch zugesichert. Tatsächlich gelangte sie über eine zweite vom Jobcenter veröffentlichte Telefonnummer in die Leistungsabteilung. Über die Plattform könne sie dann ihre Anliegen vortragen und gegebenenfalls Anträge einreichen, habe man ihr erklärt. Die Verunsicherung aber bleibt. "Hoffentlich benötige ich dafür keine IT-Ausbildung", merkt sie ironisch an. Sie wird voraussichtlich Bekannte fragen müssen, ob diese ihr etwas Geld zur Überbrückung leihen können.
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