Ein Jahr nach gerichtlicher Bestätigung seiner eklatanten Fehler im Maut-Skandal gerät der weiterhin amtierende Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer (CSU) aus ganz anderen Gründen unter Druck. Die Opposition verlangt Aufklärung über die Kontakte zu dem durch die Lobbyismus–Affäre um den Unionshoffnungsträger Philipp Amthor (CDU) in die Schlagzeilen geratenen, ansonsten bisher recht opak erscheinenden US-Unternehmen Augustus Intelligence. Dieses war unter anderem zu hochkarätigen Treffen ins Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur (BMVI) eingeladen worden.
In einem auf den 17. Juni datierten Brief an Scheuer fordert der Grünen-Chefhaushälter Sven-Christian Kindler "volle Transparenz" über alle Treffen, Gespräche und Kontakte zwischen dem Verkehrsministerium und Augustus Intelligence, diese und weitere Fragen solle Scheuer bis Anfang Juli beantworten. Unter anderem verlangt Kindler Auskunft über Kontakte zu Vertretern von Augustus Intelligence, die bisher nicht erwähnt wurden.
Auf eine Anfrage der Vizechefin der Linksfraktion im Bundestag, Petra Sitte, hatte der Staatssekretär beim Bundesverkehrsminister, Steffen Bilger (CDU), angegeben, das Expertengespräch habe einer "umfassenden Information" des Verkehrsministeriums über die "Potenziale und Perspektiven, die KI und Digitalisierung für eine nachhaltige und intelligente Mobilität der Zukunft" und einer "Ideensammlung" gedient.
Über die Teilnehmer des Treffens könne er keine genauen Angaben machen – wegen des Datenschutzes. Jedenfalls, so Bilgers Beitrag zum Verständnis der Vorgänge weiter, sei es darum gegangen, "die Perspektive eines Start-ups über agiles und Matrixdenken im Umgang mit neuen Herausforderungen der Plattformökonomie nutzerorientiert einzubringen".
Ein Sprecher des BMVI räumte am Donnerstag ein, dass es Kontakte zu dem Unternehmen gegeben habe. Das Bundesverkehrsministerium habe einen "Aktionsplan Digitalisierung und Künstliche Intelligenz in der Mobilität" erarbeitet und damit die "Strategie Künstliche Intelligenz der Bundesregierung" unterstützt. In diesem Zusammenhang habe es Gespräche und Austausch mit Unternehmen und Forschungseinrichtungen gegeben, zum Beispiel am 26. September 2018 in Berlin.
Christlich-Soziale Union im Fokus
Das Ministerium reagierte damit auf einen Artikel des Spiegel, der die Frage stellt, wie das Treffen mit dem Start-up und den Vertretern gestandener deutscher Unternehmen zustande gekommen sei. Das Magazin schreibt, wenn nicht Amthor den Kontakt hergestellt habe, so könnten sich auch andere einflussreiche Personen im Umfeld der Firma mit ihren Kontakten zur CSU als Vermittler angeboten haben.
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Dazu gehören demnach Personen wie der geschasste Ex-Verfassungsschutzchef Hans-Georg Maaßen oder der frühere BND-Chef August Hanning. Der vorzeitig in den Ruhestand entlassene Maaßen, Mitglied der sogenannten WerteUnion und weiterhin präsent bei Veranstaltungen wie dem 25. Europäischen Polizeikongress zuletzt im Februar dieses Jahres, war im Oktober vergangenen Jahres zudem bei einer Kölner Anwaltskanzlei eingestiegen, zu deren Mandanten Bundestagspolitiker bestimmter Parteien gehören.
Der ebenfalls aufgrund eines umstrittenen Verhältnisses zu Transparenz und Ehrlichkeit aus der Bundespolitik geschiedene Ex-Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg, der nicht nur wie frühere und der aktuelle Verkehrs-Ressortchefs Mitglied der CSU ist, sondern für diese noch zur vergangenen Bundestagswahl offen warb, ist offenbar als Teilhaber bei Augustus eingestiegen und Präsident der Firma geworden.
Nach Angaben des Sprechers zählten zu den weiterhin eingeladenen nicht weniger exquisite und mit öffentlichen Geldern geförderte Unternehmen – darunter Vertreter von BMW, Bosch, Cargonexx, Deutsche Bahn und Deutsche Telekom sowie aus der Wissenschaft, etwa dem Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt, dem Fraunhofer-Institut für Offene Kommunikationsforschung und der Technischen Universität Berlin – und eben auch von Augustus Intelligence. Es sei dabei um Anwendungen von KI – national und international – gegangen, auch aus Sicht eines Start-ups. Für das Expertengespräch seien bis zu zwölf Personen aus Wirtschaft und Wissenschaft gesucht worden.
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Die Auswahl der Personen sei nach Gesichtspunkten wie Fachkompetenz und verschiedener Sichtweisen vom Großunternehmen bis zum Start-up erfolgt. So hätten die beiden Vertreter von Augustus Intelligence über eine Expertise für künstliche Intelligenz, Deep Learning, Datenplattformen und Blockchain sowie über Kenntnisse im Bereich KI in Amerika und Asien verfügt. "Es war ein reiner Gedankenaustausch", unterstrich der Sprecher. Und der Termin sei auch öffentlich gemacht worden.
Vor diesem Expertengespräch habe es am 9. Juli 2018 "ein erstes Kennenlerngespräch" im Ministerium gegeben. Neben Vertretern von Augustus Intelligence seien Minister Andreas Scheuer (CSU) anwesend gewesen sowie ein Abteilungsleiter, der persönliche Referent des Ministers, der Ministersprecher und der Abteilungsleiter Kommunikation.
Auch das Bundeswirtschaftsministerium hatte Kontakte mit Augustus Intelligence eingestanden, dabei sei es aber nicht um Kooperationen oder Fördergelder gegangen.
Mit der Tarnkappe an die öffentlichen Güter
Laut einem Bericht im Handelsblatt hatten unter anderem ehemalige Mitarbeiter der "merkwürdigen Firma" Augustus Intelligence angegeben, dass das Unternehmen die Öffentlichkeit über Anzahl der Mitarbeiter bewusst täusche und auch ansonsten über nichts verfüge, was ein seriöses Unternehmen ausmacht: kein Produkt, keine Kunden und keine Umsätze, unklare Finanzierung, also keinen fertigen Businessplan, den üblicherweise hierzulande selbst Kleinstunternehmer bei Bewerbungen um Förderungen vorweisen müssen.
In seiner Selbstauskunft, vor dem Hintergrund kritischer Medienberichterstattung, erklärt Augustus Intelligence die Heimlichtuerei und Unklarheit über alles, was ein Unternehmen ausmachen könnte, als Strategie eines Start-ups und greift auf Terminologie aus dem militärischen Bereich zurück – der Tarnkappenmodus, mit dem es dennoch bereits in deutschen Ministerien unterwegs war, sei demnach üblich, um seine "oftmals gesuchten Spezialisten" und Ideen zu schützen:
Augustus Intelligence befindet sich im sogenannten 'Stealth Mode', eine übliche Praxis im Wagniskapitalbereich bei Unternehmensgründungen in der Frühphase – vor allem in den USA.
Darüber hinaus heißt es, es gebe neben dem Hauptsitz in New York weitere Büros in Menlo Park, Paris und München und aktuell rund 100 Mitarbeiter, es habe keine öffentlichen Schulden und erfülle "selbstverständlich sämtliche anwendbaren Regelungen und Steuervorschriften".
"Nebentätigkeiten" nicht nur für Augustus Intelligence
Amthor stand zunächst nach Berichten über Lobbyarbeit für die Firma Augustus Intelligence in der Kritik, wonach er bereits im Herbst 2018 mit einem Brief an Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) um politische Unterstützung gebeten habe. Damit soll er als Türöffner für das Unternehmen agiert und dessen Mitarbeiter ihn als "geilen Typ" gefeiert haben, bei dem "wir uns echt bedanken müssen". Kurz darauf hatte Amthor einen Direktorenposten bei der US-Firma inne, hielt Aktienoptionen und machte teure Reisen.
Aktuell kommen aber Berichte über Amthors Tätigkeit für die Wirtschaftskanzlei White & Case hinzu, die laut dem Spiegel auch Verbindungen zu Augustus Intelligence hat. Amthor hatte der Bundestagsverwaltung eine "freie Mitarbeit" bei White & Case angezeigt, für die er zwischen 1.000 und 3.500 Euro im Monat erhalten habe. Worin seine Tätigkeit bei White & Case bestand, ließ Amthor auf Anfrage unbeantwortet.
Auch was seine Tätigkeiten für Augustus Intelligence betrifft, ließ Amthor bisher vieles im Unklaren, beispielsweise, ob seine zahlreichen "Geschäftsreisen", etwa zum Oktoberfest in München 2019 oder nach New York, von Augustus Intelligence bezahlt wurden.
Derweil verurteilen gar Parteifreunde wie der Kandidat für den CDU-Vorsitz Friedrich Merz die Fehler des 27-jährigen Amthor. "Man darf nicht seinen Briefbogen als Abgeordneter verwenden, wenn man um Unterstützung für ein Unternehmen bittet, dem man geschäftlich verbunden ist", rügte der Wirtschaftspolitiker in Focus Online. "Er hat einfach Mist gemacht." Doch Merz war einer der Bundestagsabgeordneten, die im Jahr 2006 Klage beim Bundesverfassungsgericht gegen Forderungen nach Offenlegung ihrer Nebeneinkünfte einlegten – während er selbst zahlreiche Nebentätigkeiten ausführte.
Vor dem Hintergrund des sich ausweitenden Lobbyskandals, bei dem Amthor im Mittelpunkt steht, aber alles andere als isoliert agierte, werden wieder Rufe nach einem Lobbyregister laut, um unlautere Einflussnahme und öffentliche Förderungen nicht mehr unter dem Tarnradar laufen zu lassen.
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