Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer (CSU) wollte der Mann sein, der das Prestigeprojekt seiner Partei endlich zum Abschluss gebracht hat und sich damit einen Platz in der Geschichte der als Autoland geltenden Bundesrepublik gesichert hätte. Trotz aller Bedenken aufgrund der Klage Österreichs vor dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) in Luxemburg, vergab er im Dezember 2018 den Auftrag mit einem Volumen von etwa zwei Milliarden Euro an den österreichischen Mautbetreiber Kapsch TrafficCom und den Konzertkartenverkäufer CTS Eventim, das Maut-Projekt in Deutschland umzusetzen.
Noch am Tag der Urteilsverkündung am 18. Juni 2019, zeigte er sich siegessicher. Doch es sollte alles anders kommen. Das EuGH stimmte im Sinne der Anklage zu und stoppte die Pkw-Maut, weil sie Autofahrer aus dem Ausland verbotenerweise benachteilige. Damit wurde der umstrittene Ausgleichs-Mechanismus für Inländer gekippt - nur sie sollten für Mautzahlungen über eine geringere Kfz-Steuer voll entlastet werden. Das sollte die Bedingung im schwarz-roten Koalitionsvertrag von 2013 umsetzen, dass kein Inländer extra belastet werden darf. Eigentlich hätte die Pkw-Maut am 1. Oktober dieses Jahres starten sollen.
Seitdem steht Verkehrsminister Scheuer gehörig unter Druck. Weil sein Ministerium die Verträge mit den Betreibern nach dem Urteil gekündigt hatte, fordern sie Schadenersatz von 560 Millionen Euro. Wie Der Spiegel berichtet, legte das Beratungsunternehmen PricewaterhouseCoopers (PwC) bereits zwei Tage nach der Urteilsverkündung dem Ministerium ein Gutachten vor, wonach der Schaden im schlimmsten Fall auf 776 Millionen Euro beziffert wurde. Das geht aus einer Unterlage hervor, die das Verkehrsministerium als "VS-Vertraulich" klassifiziert hat und dem Untersuchungsausschuss aushändigen musste.
Über die Schadenersatzansprüche wird noch in einem Schiedsverfahren gestritten. Fest steht aber, dass auf jeden Fall die deutschen Steuerzahler auf den Kosten sitzen bleiben werden – unabhängig davon, wie hoch diese sein werden.
Eine Zahl ist nun aber bekannt geworden, die ebenfalls im Zusammenhang mit dem Maut-Projekt steht und im Nachhinein als Steuerverschwendung bezeichnet werden kann. Für die seit 2014 angefallenen Kosten für Berater, Gutachten und dem dafür eingesetzten Personal, sind inzwischen 76,7 Millionen Euro an Kosten zusammengekommen. Das teilte das Verkehrsministerium auf Anfrage der Deutschen Presse-Agentur mit.
Zum Jahrestag des Stopps für das einstige CSU-Prestigeprojekt attackierte die Opposition erneut Minister Andreas Scheuer. Er sei unnötige Risiken eingegangen, lautet der Vorwurf. Im Bundestag nimmt ein Untersuchungsausschuss seit Dezember die Vorgänge genau unter die Lupe. Ex-Verkehrsminister Peter Ramsauer (CSU) und Ex-CSU-Chef Horst Seehofer standen schon Rede und Antwort. Auch Scheuer soll noch befragt werden – das könnte aber noch bis Anfang des kommenden Jahres dauern.
Zum Jahrestag des Maut-Urteils am Donnerstag ging es im Ausschuss vor allem um die Vergabe der Maut-Aufträge an Kapsch und Eventim, befragt wurden Zeugen aus dem Verkehrsministerium. Im Raum steht der Vorwurf, dass Scheuer und seine Beamten gegen Vergaberecht verstoßen haben könnten oder sich jedenfalls nicht ausreichend um das beste Ergebnis für den Bund und damit die Steuerzahler bemüht hätten. SPD-Obfrau Kirsten Lühmann machte in der Sitzung zwischenzeitlich ihrem Ärger Luft: Es sei ein "Muster", dass Zeugen auf kritische Fragen immer wieder antworteten, sie seien nicht zuständig gewesen.
Nach Angaben des Ausschussvorsitzenden, Udo Schiefner (SPD), hat der Ausschuss bislang 21 Zeugen und sechs Sachverständige befragt, die Beweisaufnahme dauerte bisher exakt 58 Stunden und 12 Minuten. Die Abgeordneten und ihre Mitarbeiter hätten 2.750 Aktenordner mit insgesamt 820.000 Blatt Beweismaterialien zu sichten, dazu kämen noch 15.000 Mails in digitaler Form.
Schiefner hatte vor Beginn der Ausschuss-Arbeit gemahnt, das dürfe keine "politische Showbühne" werden. Nun fällt sein Zwischenfazit positiv aus: Das sei bisher "erstaunlich gut gelungen", sagte er. Es gehe konzentriert zu und gebe nur wenige "Show-Auftritte". Für eine Bewertung der persönlichen und politischen Verantwortlichkeiten sei es noch zu früh.
Die Opposition sieht das freilich anders. FDP-Verkehrsexperte Oliver Luksic kritisierte:
Ein Jahr nach dem Scheitern bei der Ausländer-Maut wird die große Anzahl der folgenschweren Fehler immer klarer – und die Luft für den Minister dünner.
Grünen-Fraktionsvize Oliver Krischer sagte:
Längst ist nicht mehr nur die Maut ein Skandal, sondern auch, dass Andreas Scheuer immer noch im Amt ist.
Es habe genug Warnungen gegeben, dass die Maut vor Gericht scheitern dürfte. Linke-Verkehrspolitiker Jörg Cezanne sagte, nach den bisherigen Erkenntnissen sei es unstreitig, dass das Ministerium bei Mautaufträgen Vergabe- und Haushaltsrecht gebrochen habe.
Scheuer hat die Vorwürfe mehrfach entschieden zurückgewiesen. "Der Bund will eine schnelle, kostengünstige und wirksame Beendigung des Verfahrens", erklärte sein Ministerium. Angaben zu den Kosten – auch für eine Kanzlei, die den Bund vertritt – seien noch nicht zu machen. Im Verfahren erreichte der Bund einen kleinen Erfolg. Das Schiedsgericht erklärte es nach Ministeriumsangaben für unzulässig, dass die Betreiber schon Wertberechnungen für das eigens gegründete Maut-Gemeinschaftsunternehmen angestellt hatten.
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(rt/dpa)