Union und SPD haben ihren Bericht für den Untersuchungsausschuss zum Beraterskandal unter Verteidigungsministerin von der Leyen (CDU) fertiggestellt. Das Dokument, wonach die Regierungsparteien keinerlei juristische oder direkte politische Vorwürfe gegen die CDU-Politikerin erheben, wurde der Opposition im Bundestag am Montagabend zugeleitet, die nun ihrerseits Schlüsse aus den Untersuchungen vorlegen will.
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Den Regierungsparteien zufolge war die aktuelle EU-Kommissionspräsidentin als Ressortchefin so gut wie gar nicht verantwortlich für die zahllosen bedenklichen und rechtswidrigen Vorgänge im Verteidigungsministerium, die weithin für Empörung sorgten.
Union und SPD verteidigen das "Unschuldslamm"
Vielmehr wird die CDU-Politikerin in dem 75-seitigen Bericht von jeglicher politischer Verantwortung freigesprochen. So mutet laut der Tagesschau der Punkt "IV. Verantwortlichkeiten" des Abschlussberichts an, als habe die Verteidigungsministerin mit den Vorgängen in ihrem Ressort insgesamt sehr wenig zu tun gehabt.
Demnach habe die damalige Bundesministerin der Verteidigung "kaum eine Entscheidungsvorlage zu den untersuchten Vorgängen selbst gezeichnet". Vielmehr sollen die anderen, in diesem Fall die unteren Ebenen, gewissermaßen autonom gehandelt haben – womit die Selbstverteidigungsargumentation von der Leyens übernommen wird, die sie im Februar vor dem Untersuchungsausschuss darlegte.
Zwar wurde jedenfalls ihr Büro von den entscheidenden Vorgängen stets in Kenntnis gesetzt, die Entscheidungen selbst wurden aber häufig auf Ebene der Staatssekretäre getroffen.
Über welche Vorgänge von der Leyens Büro sie konkret informierte, sei ebenso nicht klar. Von der Leyen wird in diesem Drama somit als "Unschuldslamm" beschrieben. Dabei wurde allein in ihrer Amtszeit ein dreistelliger Millionenbetrag für fragwürdige Beratungsleistungen ausgegeben.
Gleich mehrere Vorwürfe bleiben nach mehr als einem Jahr der Untersuchungen ungeklärt, darunter die rechtswidrige Vergabe von Aufträgen in Millionenhöhe, die zumindest fahrlässige Auslegung von Compliance-Regeln, wahrscheinliche Vetternwirtschaft und Machtmissbrauch.
Im Jahr 2018 hatte der Bundesrechnungshof in einem Bericht Wirtschaftlichkeit und Rechtmäßigkeit des Beratereinsatzes im Ministerium stark angezweifelt. Doch sollen die fragwürdigen Entscheidungen gar nicht seitens der Ressortchefin getroffen worden sein.
Zwar war es unter ihrer Führung, als das Ministerium hochdotierte Aufträge an Berater – teils gänzlich ohne Fachkenntnis auf dem jeweiligen Gebiet und offenbar lediglich auf Basis von Bekanntschaften – vergeben hat. Verantwortlich dafür sollen aber andere gewesen sein, so zum Beispiel die Staatssekretäre.
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Erwähnenswert wäre die hochgradig umstrittene Figur Katrin Suder, die millionenschwere Aufträge aus dem Wehrressort an ehemalige McKinsey-Kollegen gelotst hat. Allerdings agiert Suder mittlerweile nicht mehr im BMVg, sondern wurde von der Bundesregierung als Vorsitzende des sogenannten Digitalrats eingesetzt, um diese bei der Digitalisierung zu beraten – zwar sicherlich mit öffentlichen Geldern, allerdings bevorzugt hinter verschlossenen Türen: "Wir agieren nicht über und in der Öffentlichkeit", erklärte Suder.
Von der Leyen hatte die McKinsey-Beraterin auf Basis früherer Zusammenarbeit im Arbeitsministerium rekrutiert, obwohl diese keinerlei direkte Politikerfahrungen mitbrachte. Mit dieser Personalie gelangen – angeblich ebenfalls gänzlich ohne deren Absicht oder Kenntnis der Verantwortlichen – hochdotierte Aufträge an Personen, zu denen Suder auch privat einen guten Draht hatte, wie Timo Noetzel, der mittlerweile bei dem Beratungsunternehmen Accenture tätig war.
Dessen Auftragsvolumen seitens des Verteidigungsministeriums schwoll wie das von McKinsey merklich an, seitdem von der Leyen auf externe Berater setzte. Mit Noetzel wuchs das Einkommen aus dem BMVg innerhalb weniger Jahre von 459.000 Euro auf 20 Millionen Euro.
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Doch der Bericht der Regierungsparteien nennt einen anderen Bekannten von Noetzel als Verantwortlichen. So habe General Erhard Bühler unter Verstoß gegen das Vergaberecht eine Direktbeauftragung angewiesen, wonach die Unternehmens- und Strategieberatung Accenture das Ministerium dabei unterstützen sollte, die Einsatzbereitschaft von Rüstungmaterial wie Panzern zu verbessern. General Bühler muss derweil aber wohl ebenso wenig Konsequenzen fürchten wie von der Leyen oder Suder, wurde der ehemalige NATO-Kommandeur doch kürzlich in den auskömmlichen Ruhestand verabschiedet:
Gedächtnisverlust schützt vor Strafe – nicht?
Mit der Selbstverteidigungsargumentation von der Leyens hatte sie nicht nur sich selbst widersprochen, sondern indirekt auch ihre Vorgänger belastet, zuletzt Thomas de Maizière. Schließlich hätte bei ihrem Amtsantritt im Wehrressort vieles im Argen gelegen und so notwendige Modernisierungen dringendst durchgeführt werden müssen, und zwar in derartiger Windeseile, dass externe Expertise unabdingbar gewesen sei.
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Abgesehen von dem schwerst verletzten öffentlichen Rechtsempfinden, zumal kostenintensive Aufträge nicht nach Freundschaftsgrad, sondern Kompetenz vergeben werden sollten, insbesondere dann, wenn es sich um Steuergelder in dreistelliger Millionenhöhe handelt, birgt diese Praxis der Vergabe an Berater nicht nur Interessenkonflikte, sondern handfeste Gefahren für die öffentliche Sicherheit, da die Beraterfirmen auch Rüstungsunternehmen im In- und Ausland zu ihren Kunden zählen.
Mit den Beratern, die teils zu ihren Kunden wechseln, verlassen sicherheitsrelevante Informationen das Verteidigungsministerium, offenbar ohne jegliche Kontrolle. Das zumindest möchte dieser Bericht der Regierung glauben machen – wie auch die Ex-Verteidigungsministerin selbst.
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Und die Regierungsparteien verweisen darauf, dass der Wiederholung solcher Vorgänge bereits Einhalt geboten sei:
Nach Überzeugung des Ausschusses sind die ergriffenen Maßnahmen, die auch auf die Arbeit des Untersuchungsausschusses zurückgehen, geeignet, dass sich die untersuchten Sachverhalte so nicht wiederholen können. Jedoch empfiehlt sich hier eine engere Beobachtung und Kontrolle durch die Spitze des BMVg", heißt es in dem Bericht von Union und SPD.
Doch weiterhin hatte Ursula von der Leyen, selbst bevor es einen Untersuchungsausschuss gab, im Januar 2018 in einer vertraulichen Sitzung vor dem Verteidigungsausschuss angedeutet, dass sie frühzeitig über "Unregelmäßigkeiten" informiert gewesen sei.
Nicht nur von der Leyen selbst widerspricht ihrer eigenen Verteidigungslinie und damit jener der Regierungsparteien, auch die Opposition möchte diesen Kloß von Freispruch allem Anschein nach nicht einfach schlucken.
So sagte der sicherheitspolitische Sprecher der Grünen-Fraktion, Tobias Lindner, dem RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND), dass Ursula von der Leyen nicht dadurch entlastet werden könne, dass sie von den Missständen bei Beraterverträgen nichts gewusst haben soll.
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"Die eigentliche Frage, die man doch stellen muss, ist, ob sie es hätte wissen können und wissen müssen. Das muss man ganz klar bejahen", so der Grünen-Politiker. "Eine Ministerin, die von Anfang an darauf gesetzt hat, mehr externe Beratung in die Bundeswehr zu bringen, muss sich dann auch kümmern, ob solche Projekte wirtschaftlich und rechtskonform ablaufen."
Marie-Agnes Strack-Zimmermann, verteidigungspolitische Sprecherin der FDP-Fraktion, sagte dem RND: "Frau von der Leyen war die verantwortliche Ministerin, die das Glück hat, heute nicht mehr in Berlin, sondern in Brüssel tätig zu sein. Diese räumliche Distanz entbindet sie aber nicht von ihrer Verantwortung." Schließlich habe von der Leyen diejenige Staatssekretärin eingestellt, die die Berater eingestellt habe, um die sich die Affäre dreht.
Bis Ende Juni wollen die Oppositionsparteien einen Abschlussbericht vorlegen. Angesichts der Aneinanderreihung von Skandalen im Verteidigungsministerium in der Amtszeit von der Leyens dürfte dieser unschwer etwas kritischer ausfallen als der aktuelle Beitrag der Regierungsparteien.
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