Die große Koalition bastelt derzeit an einem Konjukturpaket. Mindestens 50 Milliarden Euro soll es umfassen. Nach Pfingsten soll dann eine Entscheidung fallen, wie der deutschen Wirtschaft in der Corona-Krise geholfen werden soll. Nun kam ein besonders pikanter Vorschlag von Wirtschaftspolitikern der Unionsparteien im Bundestag.
In einem sechsseitigen Papier fordert die Arbeitsgemeinschaft Wirtschaft und Energie der CDU/CSU-Bundestagsfraktion – eine 17-köpfige Parlamentariergruppe um den baden-württembergischen Abgeordneten Joachim Pfeiffer (CDU) – etwa, den Mindestlohn (aktuell 9,35 Euro pro Stunde) abzusenken – oder zumindest eine für das kommende Jahr geplante Erhöhung auszusetzen. Weiter schwebt den CDU/CSU-Politikern vor, das Arbeitszeitgesetz zu ändern. Laut einem Bericht der Deutschen Presse-Agentur heißt es in dem Papier mit dem Namen "Wachstumsprogramm für Deutschland" weiter:
Generell sollte an die Stelle einer täglichen eine wöchentliche Höchstarbeitszeit von 48 Stunden treten, die in tarifgebundenen wie in tarifungebundenen Unternehmen gilt.
Die in der Corona-Krise zunächst für systemrelevante Branchen ermöglichten Ausnahmen vom Arbeitszeitgesetz sollten "sofort auf alle kleineren und mittleren Unternehmen ausgeweitet werden".
Auch die Beiträge zur Sozialversicherung, also die Lohnnebenkosten, sollen "verbindlich und langfristig" auf maximal 40 Prozent gedeckelt werden. Zudem müssten steigende Ausgaben und fehlende Einnahmen durch Einsparungen ausgeglichen werden, insbesondere bei versicherungsfremden Leistungen. Sollte das nicht reichen, müsse der Bundeshaushalt zuschießen.
Außerdem verlangt die AG, dass die Abschaffung der "Solidaritätszuschlag" genannten Ergänzungsabgabe auf den 1. Juli vorgezogen wird und vollständig gelten soll. Dies lehnt der Koalitionspartner SPD aber seit längerem ab. Die Sozialdemokraten wollen diese Abgabe nur für die unteren 90 Prozent der Steuerzahler abschaffen.
Die Reaktionen des Koalitionspartners ließen nicht lange auf sich warten. SPD-Chefin Saskia Esken schrieb bei Twitter, wer Kassiererinnen, Pflegekräften und Paketzustellern applaudiere, dann aber Mindestlohn und Arbeitszeitschutz verweigern wolle, verhalte sich "schäbig". Die stellvertretende SPD-Fraktionsvorsitzende Katja Mast sprach von einem "Schlag ins Gesicht aller, die zu extrem geringen Löhnen arbeiten müssen".
Das geht gar nicht. Es ist völlig unnötig, die Geringverdiener jetzt durch solche spalterischen Vorschläge zu verunsichern", sagte Mast der dpa.
Es bleibe dabei: "Der Mindestlohn gilt, und für seine Erhöhung gibt es ein vereinbartes und bewährtes Verfahren."
Auch in der Opposition sorgte der Vorschlag der Wirtschaftspolitiker der Union für Empörung. Linken-Chef Bernd Riexinger nannte den Vorstoß "nicht nur sozial, sondern auch ökonomisch falsch". Auf dem Kurznachrichtendienst Twitter schrieb der Politiker:
Wir müssen über Leistung reden: Während die CDU munter Zahlungen an Großunternehmen mit Sitzen in Steueroasen ermöglicht, soll andrerseits der Mindestlohn abgesenkt werden!
Die Grünen-Fraktionsvorsitzende Katrin Göring-Eckardt sagte, es sei "vollkommen daneben in diesen Zeiten, Menschen auf diese Art und Weise zu verunsichern". Inzwischen griff die CDU-Chefin ein und wies den Vorstoß mit deutlichen Worten zurück. So schrieb sie auch auf Twitter:
In dieser Zeit brauchen Unternehmen Spielraum und Liquidität zum Investieren. Darüber reden wir beim Konjunkturpaket. Aber für die CDU ist klar: Nicht auf dem Rücken der Arbeitnehmer. Deshalb: Hände weg vom Mindestlohn.
Die CDU berief auch schnell eine Pressekonferenz ein, auf der Generalsekretär Paul Ziemiak Einschnitte beim Mindestlohn ausschloss und sagte: "Die CDU ist die Partei der Mitte und des Zusammenhalts." Besonders Menschen, die auf den Mindestlohn angewiesen sind, hätten es derzeit nicht leicht – zum Beispiel wegen gestiegener Lebensmittelpreise und geschlossener Kitas. Die CDU nehme die ganze Gesellschaft bei der Bewältigung der Corona-Krise in den Blick. Ziel sei es nun, die Wirtschaft nachhaltig anzukurbeln, damit Deutschland gestärkt aus der Krise herauskomme.
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