Massive Angriffe aus den Reihen seiner eigenen Partei und von Klima-Aktivisten auf Andrej Hunko haben Anfang der Woche für Schlagzeilen gesorgt. Ihm wurde wegen eines Demo-Auftritts und angeblicher Nähe zu "Querfront und Verschwörungstheoretikern" der Rücktritt nahegelegt. Vor allem sei seine Erwähnung von Bill Gates derzeit völlig "falsch", wie einer seiner Parteikollegen betonte. Ein weiteres Element, das Hunko für manche Autoren untragbar macht, sind außenpolitischen Standpunkte, etwa seine Venezuela-Reisen und seine "Milde" gegenüber russischen Positionen.
Dabei wurde kaum mit Hunko selbst gesprochen. Nach seiner umstritteneren sechsminütigen Rede, die er bei der "Mahnwache für unsere Grundrechte" gehalten hatte, sprach nur die Welt mit dem Abgeordneten. Das Manuskript der Rede ist sonst nur auf seiner Internetseite und auf Facebook zu finden. Ausführliche Interviews mit dem Politiker brachten nur die "alternativen Medien" NachDenkSeiten und Sputnik. In einem Meinungsartikel bei Telepolis wurde die Frage gestellt: "Was unterscheidet eine reaktionäre Kritik [an Bill Gates] von einer linken Kritik?" Hunko sei nicht nur der rechten Mitte ein Dorn im Auge, sondern auch Teilen der Linken, wenn es darum geht, "Regierungsfähigkeit" unter Beweis zu stellen, so der Autor.
Hunko machte in seinen Interviews deutlich, dass es ein "urdemokratisches Grundrecht" ist, auf Demonstrationen zu gehen, und kritisierte die aus seiner Sicht willkürliche Genehmigung bzw. Nichtgenehmigung von Demonstrationen durch die Behörden. Angesichts der "unfassbar weitreichenden Folgen" sei es ein Bedürfnis der Menschen, sich kritisch mit der Corona-Politik auseinanderzusetzen, sagte Hunko Sputnik.
Selbst sei er kein Corona-Leugner und Impfgegner, und er sei bei der Kundgebung in Aachen wohlüberlegt aufgetreten. Er wies darauf hin, dass die Kritiker der Anti-Corona-Maßnahmen keine einheitliche Bewegung darstellen. "In Berlin würde ich nicht auftreten", sagte er im Hinblick auf die Zusammensetzung der Proteste in der Hauptstadt.
Angesichts der Dimension der Folgewirkungen, angesichts der weitgehendsten Grundrechteeinschränkungen in der Geschichte der Bundesrepublik erwarte ich schon eine transparente Aufarbeitung der Geschehnisse, eine maximale Evaluierung und Überprüfung der Verhältnismäßigkeit der einzelnen Maßnahmen", sagte er den NachDenkSeiten über seine Motivation, auf die Straße zu gehen.
Er warnte davor, die Proteste pauschal als "esoterisch" oder "rechts" anzusehen, und wies darauf hin, dass es in Aachen am 16. Mai gleich drei Demonstrationen mit Bezug auf die Corona-Maßnahmen gab – eine sei eher einem "esoterischen" Spektrum zuzurechnen, die andere der AfD. In einer Bundestagrede am 14. Mai warf Hunko der AfD Doppelmoral vor: Die Partei gebe sich in der Corona-Krise als Beschützerin der Bürgerrechte, sehe aber den ungarischen Präsidenten Viktor Orbán, der Notstandgesetze erließ, als Vorbild. Die Demonstration, an der er teilnahm, habe gemäßigte Mitte-Links-Positionen vertreten: "Die Leute haben zugehört, sich ausgetauscht, diskutiert, Fragen gestellt."
Wenn jetzt diejenigen, die aus Sorge vor langfristigen Grundrechtseinschränkungen auf die Straße gehen, pauschal als "irre Verschwörungstheoretiker" oder Rechtsextremisten diffamiert werden, so läuft etwas grundlegend falsch. Diese Unterstellungen müssen aufhören. Aber ich will hier auch ganz klar sagen: Mit tatsächlichen Rechtsextremisten oder mit Leuten, die glauben, hinter Corona stehe ein Masterplan zur Ausrottung der Menschheit, will ich auch nichts zu tun haben. Aber das ist nicht die Mehrheit der Menschen, die jetzt auf die Straße gehen", so Hunko.
Privat finanzierte WHO: Ein Riesenproblem
Die kritische Erwähnung von Bill Gates und seiner Stiftung als Finanzier der WHO verteidigte Hunko: "Weil es viele Menschen beschäftigt." Er habe in den Tagen vor der Kundgebung Hunderte E-Mails zu dem Thema bekommen.
Dass sich die WHO inzwischen nur noch zu etwa 20 Prozent aus regulären öffentlichen Mitteln der Mitgliedsstaaten finanziert, ist ein Riesenproblem.
Mit dieser Kritik steht Hunko in der Fraktion keineswegs allein. Für ihr Video "Wohin fließt unser Geld? Corona, zweifelhafte Stiftungen und globale Organisationen" erhielt die Starpolitikerin der Linken Sahra Wagenknecht auf ihrem Youtube-Kanal weit über 600.000 Klicks und Tausende lobende Kommentare.
Der Linken-Abgeordnete Diether Dehm, der mit Hunko an dem Sputnik-Gespräch teilnahm, wies auf die Position des Partei-Veteranen Gregor Gysi hin, der er "komplett zustimme":
Der Corona-Protest zeigt den schweren Vertrauensverlust in die Politik. Man kann ja immer sagen, das sind alles Verschwörungstheoretiker – aber warum werden es immer mehr? Weil die etablierte Politik nicht ehrlich handelt. Entweder werden falsche Motive angegeben oder Alternativen verschwiegen", sagte Gysi in einem Zeit-Interview.
Immunitätsnachweis verhindert
Auf eine angeblich fehlende Profilierung seiner Partei als Oppositionspartei in der Corona-Krise angesprochen, wies Hunko auch auf die scharfe Ablehnung der Einführung sogenannter Immunitätsnachweise durch die Fraktion hin – ein Vorhaben von Bundesgesundheitsminister Jens Spahn. Auf Drängen von SPD und Linken sei ein entsprechender Passus im Gesetzentwurf am vergangenen Donnerstag gestrichen worden. "Unser Fraktionsvorsitzender Dietmar Bartsch hat als einer der ersten die Stimme erhoben."
Diese Frage – ob nun der digitale Gesundheitspass beschlossen sei oder nicht – habe die Menschen immens bewegt, und dies seien reale Schritte der Regierung, die man auf der Kundgebung in Aachen diskutiert habe, begründete Hunko seine Teilnahme erneut.
Der mediale Sturm auf den Abgeordneten, der sich bislang wohl als einziger Bundespolitiker auf die Straße wagte, zeitigte aus Sicht seiner Gegner und Kritiker offenbar kein zufriedenstellendes Ergebnis. Anstatt gegen die ins Spiel gebrachte Absetzung als Fraktionsvize anzukämpfen, wurde Hunko vom Europarat mit einer wichtigen Aufgabe betraut:
Ich habe aber aktuell nicht vor, auf weiteren Kundgebungen aufzutreten, auch weil ich am Dienstag zum Berichterstatter des Europarates zu gesundheitspolitischen und rechtsbasierten Lehren aus der Corona-Pandemie gewählt worden bin. Der Bericht wird Ende Juni verabschiedet. Auf diese wichtige Aufgabe will ich mich jetzt voll konzentrieren", teilte er mit.
Nicht ohne Häme reagierte die Tagesschau darauf. "Bleibt abzuwarten, wie Hunko Maßnahmen in den anderen 47 Mitgliedsstaaten des Europarats bewerten wird, zu denen auch Russland zählt. Hunko hatte sich im Ukraine-Konflikt mehrfach auf die Seite Russlands gestellt und dies mit Reisen unter anderem nach Moskau demonstriert", schrieb der Sender vielsagend neben einem Bild Hunkos mit Nicolás Maduro. Der Name des kritischen Linken-Abgeordneten dürfte im medialen Umfeld auch in den nächsten Wochen des Öfteren fallen.
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